Wohnen:Ein ganzes Leben in Kartons

Wohnen: Manchmal hilft ein Lastenaufzug, ansonsten nur die Muskelkraft. Mitarbeiter zu bekommen, wird für die Umzugsfirmen aber immer schwieriger.

Manchmal hilft ein Lastenaufzug, ansonsten nur die Muskelkraft. Mitarbeiter zu bekommen, wird für die Umzugsfirmen aber immer schwieriger.

(Foto: Erwin Fleischmann/Heimerl)
  • Im vergangenen Jahr verzeichnete die Münchner Stadtverwaltung mehr als 326 000 Umzüge, davon 107 434 im Stadtgebiet.
  • Vielen Umzugsfirmen fehlt es jedoch an Personal und Material, besonders wenn der Umzug ins Ausland führt.
  • So ein Ortswechsel ist nicht nur logistisch eine Herausforderung. "Ein Umzug ist relativ intim", sagt ein Spediteur.

Von Sabine Buchwald

Eine Straße in Untersendling. Tagelang stehen vorschriftsmäßig aufgereiht sechs Halteverbotsschilder, die mit dem Datum, das auf einen Umzug hinweist. Ein Schild vorne, eines hinten, Platzhalter für Sprinter und Lkw.

Sechs Schilder, zwei pro Umzug, das macht drei Ortswechsel an nur einem Wochenende, alle nebeneinander. Drei Mal weg aus den begehrten, aber teuren Altbauten des Stadtteils. Es gibt einen Moment, als die Nachbarn, die schon kurz darauf keine mehr sind, diese Koinzidenz bemerken und miteinander ins Gespräch kommen. Sie bedauern, dass man sich nicht früher wahrgenommen hat. An den Umzugstagen, bei 35 Grad im Schatten des Lastwagens, spürt man ein Mitgefühl füreinander und beglückwünscht diejenigen, die mit ihrem neuen Domizil fortan einen Aufzug haben werden.

Umziehen ist immer eine Ausnahmesituation, besonders im Sommer. Leider ist das die bevorzugte Umzugszeit, besonders häufig für Familien, bevor das neue Kita- oder Schuljahr beginnt. Das bestätigen nicht nur die vielen Schilder an den Straßen von Mai bis September, sondern auf Nachfrage auch die Umzugsprofis.

Die Firma Hasenkamp zum Beispiel. Nach eigenen Angaben ist sie Weltmarktführer in Kunsttransporten, hilft aber auch Menschen und ihren Habseligkeiten, von A nach B zu kommen. Wenn mehr als Kistenschleppen inklusive ist, gar erst mal die Suche nach einer neuen Wohnung, Behördengänge oder die Zwischenlagerung von Möbeln, dann ist nicht mehr von Umzug die Rede, sondern von Relocation. Hasenkamp bietet, wie viele Firmen mittlerweile, einen solchen Rundumservice an. Das verschlingt nicht selten einen fünfstelligen Betrag, für den der Arbeitgeber aufkommt. "Der Sommer ist eine Spitzenzeit", sagt der Firmensprecher. Auch Ende des Jahres gehe es bei ihnen hoch her, wenn Arbeitsverträge auslaufen oder Unternehmen Mitarbeiter abziehen. Besonders auffällig sei seit vergangenem Jahr die Bewegung weg aus London.

Die Firma Santa Fe Relocation hat dort ihren Hauptsitz mit Filialen rund um den Globus. Martin Reichenbach betreut seit 2006 von München aus vor allem die Ortswechsel von Angestellten großer Firmen. München sei ein Hotspot wegen der vielen Unternehmen hier. Seit einiger Zeit beobachtet er allerdings den Trend, dass nicht mehr mit der ganzen Familie umgezogen werde. Manche Mitarbeiter kämen projektbezogen gar nur für einige Monate nach München oder würden nur für kurze Zeit entsendet.

Insgesamt verzeichnete die Münchner Stadtverwaltung im vergangenen Jahr mehr als 326 000 Umzüge, allein innerhalb des Stadtgebietes über 107 434 Wohnungswechsel. Marc Eichenseer, Geschäftsführer der gleichnamigen Münchner Umzugsfirma, stöhnt, als er nach der Auslastung im Sommer gefragt wird. Für sie sei es die absolute Hochsaison, sagt er. Es fehle an Personal und Material. "Wir bekommen viele Anfragen von Firmen, die komplett am Anschlag sind", erzählt er. Sie könnten aber auch nicht immer helfen. Sein subjektives Gefühl: Alle wollten gerade nach Berlin oder in die Schweiz, sagt er.

Der Aufwand für einen Umzug innerhalb des Landes oder zu den Nachbarn ist keinesfalls derselbe, obwohl die Schweiz kaum zwei Autostunden von München entfernt liegt. Für das Nicht-EU-Land müssen Einfuhrlisten geschrieben werden, die die Zöllner an der Grenze oft akribisch kontrollieren. Das kostet Zeit und Nerven. Dabei geht es nicht nur um Werte wie den Hundertwasser von Tante Elisabeth oder um Tisch und Stühle, sondern auch um die Zahl der T-Shirts und Unterhosen. Wenn die Ladung versichert werden soll, dann verlangen Umzugsunternehmen auch im Inland genaue Wertangaben.

BHs und Boxershorts wollen aber nicht nur tabellarisch vermerkt, sondern auch verstaut werden. "Ein Umzug ist relativ intim", sagt Eichenseer. Selbst wenn die Kunden mit eigenen Händen einpacken. Ohne Namen oder persönliche Details zu verraten, erzählt er ein bisschen von seinen langjährigen Erfahrungen. Frauen seien oft überwältigt von dem Durcheinander, wenn der Inhalt eines Zuhauses nach und nach in Kartons verschwindet. Deshalb komme es bei den Umzugsmitarbeitern nicht nur darauf an, diese Kartons auch schleppen zu können. Manchmal hätte er gerne einen Seelsorger oder Psychologen dabei. Besonders, wenn Tränen fließen.

Wohnen: Vorsicht ist nicht nur die Mutter der Porzellankiste: Habseligkeiten müssen registriert, transportsicher verpackt und verladen werden.

Vorsicht ist nicht nur die Mutter der Porzellankiste: Habseligkeiten müssen registriert, transportsicher verpackt und verladen werden.

(Foto: Erwin Fleischmann/Heimerl)

Damals etwa, als sie ein ganzes Mietshaus leerräumen mussten, das sanierungsbedürftig war. Sehr "belastend" seien Eigenbedarfskündigungen, erzählt Eichenseer, besonders wenn alte Leute betroffen sind. Viele Menschen, die umziehen, hätten das Bedürfnis, über ihre Wohnung und ihre Zeit dort zu sprechen. Aber sie seien ja keine Lebensberater, auch wenn man während des Umzugs für eine Weile zu einer Art "Leidensgemeinschaft" werde.

Wahrscheinlich könnten Bekannte und Angehörige delikate Situationen besser auffangen. "Doch in München kommen selten Freunde, um zu helfen", sagt Eichenseer. Vor allem nicht im Sommer, wenn man stattdessen im Biergarten sitzen kann. In Berlin oder im Ruhrgebiet hingegen sei das noch anders.

"Ein Umzug geht an die Grenzen der Existenz", sagt Eva Rosenfeld. Wenn man mittendrin stecke, lasse sich nur schwer vorstellen, wie der neue Wohnort jemals gemütlich werden könne. Sie und ihr Mann sind Eltern von drei Kindern, die nun nach und nach selbständig werden. Deshalb ist die Familie vor Kurzem in München in eine kleinere Wohnung gezogen. Das bedeutet Abschied nehmen von Spielsachen, Bilderbüchern und Schulheften. Rosenfeld ist dankbar, dass ihr eine Freundin beim Ausmisten geholfen hat, weil sie "Distanz zu den Sachen" hatte. Das Klavier, die Schränke und Kisten haben sie Profis schleppen lassen. Die waren "freundlich und höflich". Ein wichtiger Aspekt für sie, wenn "im eigenen Leben gekramt" wird.

Mitarbeiter mit hoher Qualität sind schwer zu bekommen. Vor allem der Markt für CE-Fahrer, die auch Lkw mit Anhänger lenken dürfen, sei leergefegt, sagt Peter Kalbitz, Geschäftsführer eines der ältesten Umzugsunternehmen Münchens. Dessen Name geht auf den Firmengründer Michael Heimerl zurück, der 1900 mit einem Pferdefuhrwerk den ersten Umzug für eine Familie gemacht hat. Kalbitz ist seit 1975 dabei. Die Auslastung im Sommer sei auch schon früher hoch gewesen, weiß er. In den Fünfzigerjahren aber mussten sie im Winter Leute entlassen. Inzwischen werden rund ums Jahr Möbel bewegt, aber die Ansprüche an die Umzugshelfer haben sich verändert. "Sie müssen auch Schränke auf- und abbauen, TV-Wandhalterungen andübeln und dabei die Nervosität von Kunden abfedern können."

Waschmaschinen die Treppe runtertragen gehört genauso zum Geschäft wie die Stimmung hochhalten, wenn gegen Abend die Kräfte schwinden. Über den Stundenlohn der Männer mit den starken Armen wollte niemand der Befragten sprechen. Ein Umzug in München sei sicher erheblich teurer als etwa in Leipzig, sagt Kalbitz. Weil die Umzugshelfer hier mehr verdienten und die Grundstücke für den Fuhrpark mehr kosteten.

"Kein Umzug gleicht dem anderen", sagt Kalbitz. Nur zur Brotzeit gibt es meist die immer gleichen Leberkässemmeln. "Vielleicht mal was anderes anbieten - und bitte keinen Alkohol", rät er. Den darf man sich erst nach getanem Umzug gönnen. Zumindest als Kunde.

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