Süddeutsche Zeitung

Start der Schulferien:Ganz München schaltet in den Ferienmodus

In Haidhausen finden Autofahrer freie Parkplätze, in Schwabinger Cafés bleiben Plätze leer und an der Isar gibt es auf einmal Liegeplätze ohne Handtuchkontakt mit den Nachbarn. Viele Münchner sind überzeugt, dass die vier Augustwochen die schönsten des Jahres sind.

Von Heiner Effern

Wenn der Münchner wieder einmal das Gefühl hat, dass er nur ruckelnd vorwärts kommt, egal ob mit Auto oder S-Bahn, dass immer mehr Menschen hier immer nur teurer wohnen und sowieso sonst alles zu eng und zu voll wird, dann gibt es neuerdings eine sehr moderne Diagnose: Die Stadt ist gestresst. Ganz besonders wird dieser Zustand im Juli vermerkt, wenn zum dichten Alltagsprogramm noch die Terminhatz dazukommt: Sommerfeste, Hortverabschiedungen, Grilleinladungen. Doch mit dem letzten Schultag ändert sich der Rhythmus der Stadt. Alles wird langsamer, entspannter, leichter, als ob eine Stunde 61 Minuten hätte und nicht die gefühlten 59 im Juli. In Haidhausen sind freie Parkplätze zu finden, in Schwabing freie Café-Plätze und an der Isar Liegeplätze ohne Handtuchkontakt mit den Nachbarn. Viele Münchner sind überzeugt, dass die vier Augustwochen in der Stadt die schönsten des Jahres sind. Eine Spurensuche zum Start der Sommerferien.

Flucht in den Süden

Obwohl der Süden längst nicht mehr so ist, wie er früher einmal war, nämlich konstant und verlässlich zehn Grad heißer und deutlicher trockener als München, zieht es die meisten Familien nach wie vor dorthin. Die Autobahnen Richtung Brenner und Tauern waren am Wochenende wieder voll. Auch an den kommenden Samstagen erwartet der ADAC nochmals mächtige Reisewellen, München leert sich wie ganz Bayern sukzessive bis Mitte August. Dann erst starten die Letzten-drei-Wochen-Urlauber, die auf günstigere Preise und weniger dicht belegte Strände hoffen. Auch am Flughafen ist die Priorität für den Süden zu erkennen: Von den 53 000 Ferien-Flügen, 1000 mehr als im Vorjahr, gehen 2400 nach Italien, mehr als 2000 nach Spanien, 1300 nach Frankreich und knapp 1000 nach Griechenland.

Mehr Gäste aus dem Ausland

Trotz der vielen Ausreisenden brummt in den Sommerferien die Innenstadt. Es findet eine Art Bevölkerungsaustausch statt, für den es mehr und mehr eine fixe Regel zu geben scheint: Jeder Einheimische wird durch einen Touristen oder einen Besucher aus dem Umland ersetzt. Im August 2018 kamen 750 000 Gäste nach München, die für 1,6 Millionen Übernachtungen sorgten. Dazu weiß Wolfgang Fischer von der Vereinigung der Innenstadt-Händler, dass jeder Tag mit Wolken und Nieselregen die Urlauber am Alpenrand zu einem Ausflug nach München inspiriert. Im Zentrum sei deshalb mit steigenden Umsätzen zu rechnen, sagt auch Martin Drognitz von der IHK München. "In den Geschäften und großen Einkaufsstraßen wird es also auch in den kommenden Wochen sehr betriebsam zugehen." Einen Beleg dafür lieferte das bayerische Genussfestival am Odeonsplatz. Am frühen Samstagabend waren trotz des nachmittäglichen Gewitters die Bänke dicht besetzt, selbst von den Treppen und Geländern der Feldherrenhalle ließen Besucher die Beine baumeln - mit einem Glas Weißwein oder Rosé in der Hand.

Ein Sitzplatz mehr frei

In den vier Augustwochen wird sich das Wuseln in der Stadt aber auf den Bereich beschränken, den der Münchner dann ohnehin gerne meidet. Als am späten Samstagnachmittag beim Genussfest längst alle Tische besetzt waren, fanden Besucher des Biergartens im Hofbräukeller ein ebenso ungewöhnliches wie deutlich sichtbares Angebot an freien Sitzplätzen vor. Am Spielplatz auf dem Weg zum Maximilianeum stand etwas verloren ein einziger Kinderwagen. Abseits der Innenstadt wird auch der Nutzer von U-Bahn, Tram und Bus bald leichter einen Sitzplatz finden. Zehn bis 15 Prozent weniger Fahrgäste verzeichnet die MVG in der Regel in den Sommerferien, trotz der vielen Touristen. Von den 550 Bussen fahren nur 500, die Tramlinie 22 macht Pause. Grundsätzlich gilt in den Ferien noch mehr: Je weiter weg vom Zentrum man lebt, desto ruhiger wird es.

Eine Umdrehung weniger

Auch in den Operationssälen der städtischen Kliniken sind die Pläne weniger dicht gedrängt. Das liegt neben der Ferienzeit auch daran, dass sich Patientinnen und Patienten Operationen, die aus medizinischer Sicht nicht unmittelbar stattfinden müssten, bevorzugt in andere Monate legten, erklärt eine Sprecherin. Langweilig wird dem Personal dennoch nicht: Hitze und viele Urlauber sorgen dafür, dass gerade in den Notfallambulanzen eher mehr als weniger Patienten versorgt werden müssen. Auch die Polizei wird im August ihre Mindeststärke in den Inspektionen und auf der Straße halten, obwohl sie hofft, dass der Juli-Stress nachlässt. Allein am Donnerstag vergangener Woche verzeichnete sie mehr als 1300 Einsätze.

Niedriger Zählerstand

Die Stadtwerke erkennen an den Wasserzählern, dass weniger Münchner in der Stadt sind. Zur ersten Ferienwoche erwarten sie einen Rückgang beim Trinkwasser-Verbrauch von um die zehn Prozent. Auch die Schwimmbäder erwarten an den Drehkreuzen einen Besucherrückgang im Vergleich zu den letzten heißen Schulwochen. Die Oper und die großen Theater haben im August keinen niedrigen Zählerstand, sondern sogar einen Stillstand: Künstlerpause. Ähnliches zeigt sich bei den Künstlern am Herd, Sterne-Köche neigen im August zur schöpferischen Pause. "Sommerpause Sonntag, 4. August 2019, bis einschließlich Dienstag, 3. September 2019", heißt es zum Beispiel im Atelier im Bayerischen Hof, dem einzigen Drei-Sterne-Restaurant der Stadt.

Zwangsurlaub adé

In den großen Industriebetrieben der Stadt sind klassische Betriebsferien mit einem damit verbundenen Produktionsstopp nicht mehr üblich. "Wenn bei uns Sommerferien sind, werden in China trotzdem Autos verkauft", sagt der Münchner IG-Metall-Chef Horst Lischka. "So etwas wie Ferragosto in Italien gibt es bei uns nicht mehr." Wenn der Betrieb mal kurz stillsteht, würden die Unternehmen das für Revisionen und Instandhaltungen nutzen. "Wenn die einen Ferien machen, kommen andere zum Arbeiten." Kleinere Handwerker kennen schon noch Betriebsruhe und ein Sommerloch, wenn sie nicht gerade in der Baubranche beschäftigt sind. Im Friseursalon Coiffeur Petra B. in Germering zum Beispiel wurde im Juni unter Saunabedingungen ein volles Auftragsbuch abgearbeitet, sagt Chefin Petra Plank. Vor den Ferien kämmen noch die Mütter und die Schüler für einen Urlaubsschnitt, dann bliebe im August wieder mehr Luft, was dann auch nötig ist: "Das hat man ja vorher schon hereingearbeitet."

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Quelle:
SZ vom 29.07.2019
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