Relaxen statt Riesenrad:Palmen vor der Bavaria

Relaxen statt Riesenrad: Klettergerüst aus Rohren: Auf der Theresienwiese können Kinder beim "Urlaub dahoam" klettern, balancieren und ohne großen Aufwand Spaß haben.

Klettergerüst aus Rohren: Auf der Theresienwiese können Kinder beim "Urlaub dahoam" klettern, balancieren und ohne großen Aufwand Spaß haben.

(Foto: Stephan Rumpf)

70 Kubikmeter Sand sollen auf der Theresienwiese ein bisschen Karibik-Stimmung verbreiten. Wenn schon das Oktoberfest ausfällt, soll der "Urlaub dahoam" wenigstens so angenehm wie möglich sein.

Von Stephan Handel

Hier wäre ungefähr das Weinzelt, gegenüber würde der Löwenbräu-Löwe brüllen, drüben beim Käfer ginge es wie immer darum, wer reinkommt und wer nicht, und am Toboggan würden sich die Untenstehenden amüsieren über die, die versuchen, das Förderband stehend zu überstehen. In knapp acht Wochen würde das Oktoberfest 2020 beginnen, wenn es denn ein Oktoberfest 2020 gäbe. Statt dessen: Sand, Palmen und Kinderspiele.

Zwei Wochen schon gibt es den Palmengarten auf der Theresienwiese; der Verein "Green City" hat in Zusammenarbeit mit dem Bezirksausschuss Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt 70 Kubikmeter Sand herangekarrt, Liegestühle aufgestellt und Palmen, damit sich beim "Urlaub dahoam" ein anständiges Karibik-Feeling einstellt. Na ja, Karibik - wo kein Sand liegt, ist die Wiesn dann halt doch die dürre Schotterbrache, die sie das ganze Jahr über ist.

Aber wer es schafft, den Blick nicht über den Strandrand hinauszuwerfen, und den Mangel an Wellengang auszublenden, der kann sich schon einigermaßen maritim fühlen. Die vier jungen Männer zum Beispiel, ohne T-Shirts, dafür mit günstigem Wein aus der Flasche: Um 16 Uhr an diesem Samstag sind Sebastian, Ruben, Chad und Niko gekommen, zehn Minuten mussten sie warten, bis vier Stühle frei waren, dann konnte die Bier-Phase beginnen, an die sich nun die Wein-Phase anschließt.

Der Besuch im Palmengarten will gut geplant sein, die neuen Imbissbuden sind ein Stück entfernt, viele bringen ihren Verzehr selber mit. Damit haben die vier kein Problem, überhaupt machen sie einen sehr entspannten Eindruck, Sonnenbrille, Tattoos, so geht es mit Anfang, Mitte 20, wenn man noch nicht weiß, was alles passieren wird, heute und überhaupt. Bisschen Musik wäre schön, meint Ruben, das ist aber zur Erhaltung des Strandfriedens nicht erwünscht. Na ja, leise das Handy dudeln lassen, dagegen kann ja niemand was haben.

Es ist kurz nach 20 Uhr, die Sonne scheint gerade sehr malerisch der Bavaria durch den Lorbeerkranz, bevor sie sich gleich für heute verabschieden wird, da rennt Caspar gegen das Gestänge. Caspar ist zwei Jahre alt und konnte nicht aufpassen, weil er nämlich verfolgt wird, und zwar von Sol, die ist vier. Die beiden sind mit ihren jeweiligen Eltern gekommen, die Mütter ratschen und haben - meistens - ein Auge auf ihre Kinder, die Väter stehen abseits und besprechen Väter-Dinge. Sandra, Sols Mutter, findet, der Strand könne von ihr aus gerne länger bleiben, und erst recht das Klettergerüst, einfache Rohre miteinander verschraubt zum Klettern, Balancieren, Untendurchlaufen - ein großartiges Beispiel dafür, dass Kinder nur ihre Fantasie und ein Spielangebot brauchen, dann machen sie schon was draus.

Relaxen statt Riesenrad: Unter Münchner Palmen genießen drei Lehrerinnnen die Ferien.

Unter Münchner Palmen genießen drei Lehrerinnnen die Ferien.

(Foto: Stephan Rumpf)

Nur eins, sagt Sandra, hat sie gestört: Ein paar Verkaufsbuden stehen weitläufig herum, Sol hat sofort entdeckt, dass es da Luftballons gibt - "man möchte den Schaustellern ja gerne helfen", sagt Sandra. "Aber 9,50 Euro für einen Luftballon, das ist schon heftig." Auch sie hätte gern ein bisschen Musik, allerdings lieber live: "Die Musiker wären doch froh um jede Auftrittsmöglichkeit." Allerdings wird's dann leicht wieder Event statt Entspannung.

Die Trampolin-Anlage ist "vorübergehend geschlossen", aber Sport gibt es trotzdem genug an diesem Wiesn-Samstagabend: Skater und Blader, hinten im Eck spielen ein paar Fußball, Radler, denen nicht anzusehen ist, ob sie es aus Trainingsgründen so eilig haben oder weil sie wirklich wo hin müssen. Unterhalb der Ruhmeshalle steigt eine Runde Flunkyball, das ist eine Mischung aus Völkerball, Kegelscheiben und Wettsaufen - aber alles im Rahmen, wie sowieso keine größeren Ausschweifungen bekannt sind, die Theresienwiese ohne Wiesn ist eine ausgesprochen friedliche Veranstaltung.

Bei Caroline, Pauline und Bianca ist der Wein deutlich besser als bei den vier Jungs zwei Palmen weiter: Silvaner und Muskateller gibt es. Dafür ist die feste Nahrung deutlich anspruchsloser, vor allem, weil die drei Frauen Lehrerinnen an der Berufsfachschule für Ernährung sind: Sie knabbern an Crackern. Bianca sagt, ihr tut es schon leid, dass kein Oktoberfest ist heuer, denn vor kurzem erst ist sie in die Bavariastraße gezogen, da hätte sie es nicht weit gehabt - wahrscheinlich hätte sie sich aber nach dem Fest schon überlegt, ob der Vorteil der kurzen Anreise die Nachteile und Belastungen wirklich überwiegt. Aber so ist es auch recht, zum dritten Mal sind sie hergekommen, und Caroline meint, man könne hier gut "tiefe Gespräche" führen, zumindest, solange es noch nicht zu kalt ist.

Green City wäre natürlich nicht Green City, wenn sie Palmengarten, Klettergerüst und Trampolinanlage nicht auch noch urbanitätstheoretisch unterfüttern würden: Er sei "ein öffentlicher Raum für Erholung, Diskussionen, Kreativität und nachhaltigen Genuss". Und um Ökologie geht's dann auch noch: Sand und Pflanzen sollen nämlich "ein wichtiges Thema erlebbar machen: In Zeiten der Klimaerwärmung brauchen Plätze Schattenwurf durch Pflanzen, um lebenswert und nutzbar zu bleiben". Dieses schattige Erlebnis allerdings scheint den gut 200 Besuchern am Samstagabend nicht so wahnsinnig wichtig zu sein, was vielleicht auch daran liegt, dass die Sonne mittlerweile ganz nach Pasing verschwunden ist und den langen Schatten hinterlassen hat, der Nacht heißt. Der Strand bleibt trotzdem noch bevölkert, solange noch genug Wein, Bier, Spezi und Cracker in den mitgebrachten Taschen sind. In acht Wochen würde hier das Weinzelt stehen, der Löwe würde brüllen und beim Käfer würde sich's drängeln. An diesem Sandstrandabend Ende Juli aber scheint das überhaupt niemand hier zu vermissen.

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