Süddeutsche Zeitung

Wohnen in München:Wieder verschwindet eine Sollner Villa

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Früher war das Quartier eine pittoreske Mischung aus Villenkolonie und Dorf. Doch immer mehr Neubauten verändern das Bild. Jetzt soll eine Villa aus den Zwanzigerjahren einer Wohnanlage weichen.

Von Jürgen Wolfram, Solln

Alfred Julius Schmid mag die Moderne. Markante Linien, blendend weiße Fassaden, Fensterfronten, die Lichtfülle versprechen. Für ein Generationenhaus mit solchen Attributen in Schrobenhausen

hat sein Team (Schmidarchitekten) mal den ersten Preis bei einem Wettbewerb gewonnen. Aber der Sollner Architekt weiß: Bauhaus und verwandte Stilrichtungen passen nicht überall. Zum Beispiel nicht im alten Dorfkern von Solln. Dort, im Erdgeschoss eines Gebäudes aus den 1920er-Jahren, hat Schmid sein Büro. Adresse: Kurzbauerstraße 1. Wenn kein Wunder geschieht, ereilt die betagte Villa demnächst dasselbe Schicksal wie zuvor schon so viele geschichtsträchtige Häuser des Viertels: Sie soll einer Wohnanlage mit zwei Mehrfamilienhäusern weichen. Schmid müsste dann wohl bis Jahresende ausziehen. Doch nicht diese Aussicht findet er "erschütternd", denn räumlicher Ersatz wäre bereits in Sicht. Was ihn viel mehr umtreibt, ist der drohende Verlust eines weiteren Stücks Sollner Identität.

Das Haus an der Kurzbauerstraße, in dessen Erdgeschoss früher abwechselnd eine Drogerie, eine Zoohandlung, eine Modeboutique sowie ein Café untergebracht waren, ehe Schmidarchitekten einzogen, wirkt inzwischen renovierungsbedürftig. Auch steht es nicht unter Denkmalschutz. Dieser Umstand begünstigt die Absicht der Eigentümer, einer Erbengemeinschaft, das Gebäude abzubrechen. Zusammen mit dem Gelände im rückwärtigen Grundstücksteil ließe sich das Anwesen höchst lukrativ für eine Wohnbebauung nutzen. Um diese Entwicklung noch zu stoppen, hat Alfred Schmid den Eignern das Angebot unterbreitet, das Haus und einen Teil des Areals zu kaufen. "Dann könnten das Gebäude und unser Büro bestehen bleiben, eventuell würde ich sogar selbst in den ersten Stock einziehen", präzisiert Schmid seine Offerte. Über dem Büro wohnt derzeit ein Mitglied der Erbengemeinschaft.

An den Plänen, zumindest einen Teil des Grundstücks zu versilbern und so intensiv wie möglich zu nutzen, würde der Deal wenig ändern. Doch nur mit baurechtlichen Kompromissen dürfte sich die alte Villa erhalten lassen, glaubt Schmid. Das beste Beispiel einer probaten Formel dieser Art findet sich gleich in der Nachbarschaft: Die ehemalige Bäckerei Popp, Kurzbauerstraße 9, präsentiert sich heute mustergültig saniert und in ihrer Substanz erhalten. Allerdings wurde auch sie im rückwärtigen Grundstücksteil durch Wohnbauten in einst unüblicher Dichte arrondiert.

Zum Problem für angehende Bauherren wird, dass ihr Vorgehen zunehmend auf politische Vorbehalte trifft. Der Bezirksausschuss Thalkirchen-Obersendling-Forstenried-Fürstenried-Solln etwa hat einen entsprechenden Vorbescheidantrag für das Anwesen Kurzbauerstraße 1 schon vor einem Jahr entschieden abgelehnt. Die geplante Baumasse finde in der näheren Umgebung keine Entsprechung, hieß es zur Begründung. Nicht mal mehr in Alt-Solln, möchte man hinzufügen. Einer der Baukörper müsste "deutlich reduziert" und näher an ein anderes Gebäude gerückt werden, fordert das Stadtteilgremium. Um den kostbaren Baumbestand von Winterlinden, Ahorn und Schwarznussbäumen zu erhalten, sei ferner die Tiefgarage anders zu situieren. Mit Bedauern wird vermerkt, dass weder der Denkmalschutz noch der Ensembleschutz in diesem Fall greift. Die Lokalbaukommission scheint über die eingereichten Pläne ebenfalls gründlich nachzudenken. Ein konkreter Bauantrag jedenfalls liegt dem Bezirksausschuss bisher nicht zur Stellungnahme vor.

Allein schon der historische Kontext gebietet es, das Baugeschehen in Solln kritisch zu begleiten. Einst eine pittoreske Melange aus Dorf und Villenkolonie, verliert der Stadtteil, der bis 1938 eine eigenständige Gemeinde war, schleichend seinen besonderen Charme. Die Entwicklung aufzuhalten, gelingt umso weniger, als selbst noch im Herzen Alt-Sollns die Dämme längst gebrochen sind: Zwischen die Einzelbauten und Ensembles mit Geschichte haben sich mehr und mehr Neubauten geschoben. Diese verfälschen zunehmend das charakteristische Bild von ehedem.

Baurechtlich hat die Entwicklung gravierende Folgen. Denn weil einschränkende Bebauungspläne fehlen, wie häufig in München, wird die jeweilige Umgebungsbebauung zum Maß der Dinge. Immer mehr Bauherren können so ihre Vorhaben unter Hinweis auf Bezugsfälle in der Nachbarschaft sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz durchsetzen, notfalls gerichtlich. Zwar hat die Stadtverwaltung wiederholt angekündigt, den schlimmsten baulichen Auswüchsen mit einem Rahmenplan Alt-Solln begegnen zu wollen. Doch präsentiert worden ist dieses Regulierungsinstrument bis heute nicht.

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Quelle:
SZ vom 11.05.2021
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