Es sollte einer der großen Befreiungsschläge gegen die Wohnungsnot in München werden, doch der steht nun vor dem Aus. Fast 4000 Menschen sollten ursprünglich in das Baugebiet an der Muttenthalerstraße in Solln einziehen, in bis zu 2000 neue Wohnungen. Mittlerweile haben die städtischen Planer die Zahlen schon halbiert, noch 1000 Wohnungen können sie sich an der grünen Grenze im Süden der Stadt vorstellen. Das ist einer Bürgerinitiative und der Fraktion der Grünen im Stadtrat aber weiterhin zu viel.
Sie fordern eine komplette Kehrtwende des Planungsreferats und wollen die Felder und die Koppeln des hier ansässigen Reitvereins Corona aus der städtischen Bauplanung herausnehmen. Die Flächen sollen stattdessen dem nahen Landschaftsschutzgebiet zugeschlagen werden. Eine entsprechende Petition der Baugegner wird am Mittwoch im Planungsausschuss behandelt.
Die Chancen für einen Sieg stehen ausgezeichnet, denn auch die CSU im Stadtrat stellt sich hinter ihre Ziele. „Man muss den Menschen in einer immer enger werdenden Stadt die Luft zum Atmen und Flächen für die Erholung lassen“, sagt Stadträtin Veronika Mirlach. Ihre Fraktion werde deshalb gegen die Baupläne und auch für die Aufnahme der Flächen in das nahe Landschaftsschutzgebiet stimmen.
Mit ihrem Widerstand trifft eine Bürgerinitiative einen Nerv
Wenn es so kommt, wird Sabine Braun tief durchschnaufen. „Das ist der Wahnsinn“, hat sie sich gedacht, als sie von den Bauplänen gehört hat. „Da müssen wir was dagegen tun.“ Schnell fanden sich Gleichgesinnte zusammen, und die Bürgerinitiative (BI) Grüngürtel München Süd war gegründet. Sie will die landwirtschaftlich genutzten Felder und die Koppeln für die Pferde als Naherholungsgebiet und Kaltluftreservoir für die angrenzenden Viertel erhalten.
Mit ihrem Widerstand hat die BI offenbar einem Nerv im gesamten Münchner Süden getroffen. Mehr als 5500 Unterstützerinnen und Unterstützer haben eine Online-Petition unterschrieben. Der zuständige Bezirksausschuss hat sich ebenfalls einstimmig gegen die Baupläne ausgesprochen. Gemeinsam mit der Grünen-Fraktion hat sie nun zu einem Ortstermin in den Reitverein Corona eingeladen. Auf den Koppeln stehen Pferde, ein kleiner Parcours mit Hindernissen zum Springreiten ist aufgebaut. Daneben liegen Felder, die landwirtschaftlich genutzt werden. Am anderen Ende des potenziellen Baugebiets liegt der Sollner Krautgarten, auf dem Bürger gegen Pacht ihr eigenes Gemüse anbauen können.
Neue Wohnungen seien enorm wichtig, sagt Grünen-Stadträtin Anna Hanusch, als es von den Koppeln zurück durch den Stall ins Reiterstüberl geht. „Aber das hier ist der falsche Platz dafür.“ Die Stadt hat das Areal allerdings schon in den Achtzigern und Neunzigern als potenzielles Baugebiet im Flächennutzungsplan festgelegt. Passiert ist seither nichts, doch 2022 gab es einen Eigentümerwechsel beim Gelände des Reitvereins, die Stadt hat im Umgriff eigene Grundstücke, und der Druck auf dem Wohnungsmarkt wächst. Das Planungsreferat sucht dringend Flächen, auf denen die von der Politik geforderten neuen Wohnungen gebaut werden können.
An der Muttenthalerstraße wird es diese nun wohl nicht finden. „Seit Jahrzehnten schwebt eine mögliche Bebauung bedrohlich wie ein Damoklesschwert über dem Viertel. Wir setzen uns im Münchner Stadtrat dafür ein, hier endlich Klarheit zu schaffen“, erklärte die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Sybille Stöhr, nach dem Besuch im Reitclub.
Nicht zuletzt sei auch dieser ein Grund, der einen Kurswechsel notwendig mache. „Der Reitverein erfüllt eine wichtige Aufgabe in der Münchner Sportlandschaft. Er ist ehrenamtlich geführt und speziell auch von vielen Mädchen besucht.“ Sollte ein großer Teil der Außenflächen als Bauland wegfallen, sei das für den Verein existenzgefährdend, sagt die Zweite Vorsitzende Sabine Urban.
Die SPD ist verärgert, dass „eine strukturkonservative Mehrheit“ aus CSU und Grünen endgültig alle Baupläne in der Muttenthalerstraße beenden will. So sagt es Christian Köning, Fraktionschef und Stadtvorsitzender. Die SPD will hier auch nicht sofort ein neues Quartier hochziehen, allerdings will sie der Stadt die Möglichkeit offen halten und das Gebiet nicht in ein Landschaftsschutzgebiet umwandeln. „Wir halten es für richtig, perspektivisch und langfristig auch das Gebiet an der Muttenthalerstraße für bezahlbares Wohnen weiter zu denken und uns so wichtige Optionen für die Stadtentwicklung möglich zu lassen – auch wenn lautstarke und gut organisierte Partikularinteressen das anders bewerten“, sagt Köning.