München:So will die Stadt mit belasteten Straßennamen umgehen

Die Meiserstraße in München wurde in Katharina-von-Bora-Straße umbenannt
(Foto: Frank Leonhardt/dpa)
  • Straßennamen haben oft eine historische Bedeutung, die vielen Menschen gar nicht bewusst ist.
  • Die Namen sind Produkte ihrer Zeit - und daher heute nicht immer unumstritten.
  • In München sollen sich Historiker des Problems annehmen und Straßennamen prüfen.

Von Dominik Hutter

Franzosenviertel. Das klingt nett. Es gibt die Sedan- und die Bazeillesstraße, den Weißenburger und den Pariser Platz. Was frankophil klingt, ist in Wahrheit ein Beispiel für das nationalistische und militaristische Denken einer anderen Zeit - die Straßen in Haidhausen rühmen den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Soll das so bleiben? Bedarf es einer Umbenennung oder zumindest einiger historischer Hinweise? Oder akzeptiert man einfach, dass die meisten Passanten beim Anblick der Schilder ohnehin nicht an Kriegsschauplätze denken, sondern einfach nur an französische Städte?

Diese Fragen will das Stadtarchiv in den kommenden Jahren klären - im ganz großen Stil. Der Verwaltungs- und der Kommunalausschuss des Stadtrats haben kürzlich ein aufwendiges Paket zum Thema Straßennamen beschlossen. Demnach sollen Experten in den kommenden Jahren sämtliche Münchner Straßenbezeichnungen systematisch auf problematische Fälle durchleuchten, das historische Prozedere der Namensgebung klären und eine Empfehlung aussprechen, wie damit umzugehen ist.

Einfach wollen es sich die Historiker dabei keineswegs machen, das Ergebnis muss nicht immer zwangsläufig eine Umbenennung sein. Denn Straßennamen sind schließlich auch ein Stück Geschichte, ein "Ausdruck eines zeitgebundenen Werte- und Normensystems", wie das Stadtarchiv formuliert. Es dürfe nicht das Ziel der Aktion sein, eine "erinnerungskulturelle Flurbereinigung" zu betreiben und Zeugnisse einer anderen Zeit einfach aus dem Stadtbild zu tilgen. Die Historiker wollen deshalb ein "wirkungsvolles Instrumentarium" entwickeln, wie mit problematischen Straßennamen umzugehen ist.

Allerdings, das ist auch dem Archiv klar, wird es bei der Suche Treffer geben, bei denen eine rasche Umbenennung zwingend ist. Ehrungen aus der Nazizeit etwa oder auch für zweifelhafte Akteure in den deutschen Kolonien. In den vergangenen Jahren hat sich die Debatte über historisch vorbelastete Bezeichnungen deutlich intensiviert, diverse Straßen tragen bereits einen anderen Namen. So wurde 2007 die Von-Trotha-Straße in Hererostraße umbenannt, statt des Täters wird nun der Opfer gedacht. 2010 büßte Landesbischof Hans Meiser seine Straße in der Maxvorstadt ein, 2014 verschwanden der Leonhard-Moll-Bogen und die Paul-Lagarde-Straße. Jüngster Fall ist der Friedrich-Berber-Weg, der nun Brunnthaler Weg heißt.

Die Stadt gibt zu, bei der Namensgebung seit den Fünfzigerjahren nicht immer eine glückliche Hand gehabt zu haben. Zahlreiche Problemnamen wurden erst in jüngerer Zeit vergeben. Inzwischen stehen erneut mehrere Bezeichnungen in der Kritik: die Hilblestraße in Neuhausen, der Kißkaltplatz in Schwabing, die Treitschkestraße in Moosach, die Alois-Wunder-Straße in Pasing und der Georg-Freundorfer-Platz im Westend.

Straßennamen haben eine besondere Bedeutung

Die Bedeutung von Straßennamen ist nach Ansicht des Stadtarchivs nicht zu unterschätzen. "Straßennamen informieren, erinnern und ehren", so die Historiker. In ihnen spiegelten sich oft die regionalen und lokalen Besonderheiten einer Stadt wider. Die Benennung einer Straße nach einer Person verkörpere in München die höchstmögliche Form der Ehrung. Allerdings sei die Einschätzung dieser Person stets zeitgebunden. Spätere Generationen beurteilten den Geehrten oft ganz anders. Insofern seien Straßennamen auch ein "Fenster in die Vergangenheit".

Schilder mit Straßennamen gibt es in München erst seit 1810 - damals wurden an den Ecken der nur etwa 150 Straßen Holztafeln befestigt. Im Mittelalter waren Gassen und Plätze nicht offiziell benannt, die Bezeichnungen wurden lediglich mündlich verwendet. Schilder waren in der damals noch recht überschaubaren Stadt nicht üblich - schon deshalb, weil kaum jemand lesen konnte. Vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert, so das Stadtarchiv, wurden Straßennamen dann symbolisch aufgeladen und für patriotisch-nationalistische Zwecke genutzt.

Aus dieser Zeit stammen Sedanstraße und Co. Ein halbes Jahrhundert früher hatte bereits König Ludwig I. seine Abneigung gegen Frankreich in Straßennamen verewigt: Die Barer, Brienner und Arcisstraße erinnern an die Befreiungskriege gegen Napoleon. Von 1933 an widmete sich das Nazi-Regime akribisch der "Entjudung" der Straßennamen. Etwa 200 Straßen mussten nach dem Krieg erneut umbenannt werden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite verschiedene Beispiele von Straßennamen, die unter die Lupe genommen werden.

Welche Straßen kritisch sein könnten

Von-Erckert-Straße, Von-Erckert-Platz

Zwei Orte, eine Straße und ein Platz, sind Friedrich von Erckert gewidmet: Es sind zwei Orte von vielen in München, die Militärs der deutschen Kolonialgeschichte ehren. Von Erckert war ein Offizier aus Pommern. Er meldete sich 1904 freiwillig, um in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika gegen die aufständischen Herero und Nama in den Krieg ziehen zu dürfen - in einen Krieg, den die Bundesregierung heute als Völkermord bezeichnet. Zeitgenossen dagegen galt von Erckert als "Vater der Kamelreiter-Truppe": Als Bezirkskommandeur rüstete er seine Soldaten mit Kamelen aus, um Aufständischen in die Wüste folgen zu können; 1908 wurde er im Kampf erschossen. In der Heimat war von Erckert ein literarischer Held, die Nazis stilisierten ihn weiter zum Vorbild. Die Straßenschilder in Waldtrudering tragen mittlerweile Tafeln, die auf die Geschichte hinweisen.

Leonhard-Moll-Bogen

Diese Benennung hat der Stadtrat bereits rückgängig gemacht: Der frühere Leonhard-Moll-Bogen im Stadtteil Sendling-Westpark heißt seit 2014 Landaubogen, nach der niederbayerischen Stadt an der Isar. Der zuvor geehrte Moll war ein Münchner Bauunternehmer, dessen Firma ganz unterschiedliche Aufträge erfüllte. Sie errichtete ebenso einen Dachstuhl für die Synagoge an der Reichenbachstraße, wie sie 1938 im Auftrag der Nazis die Hauptsynagoge an der Herzog-Max-Straße abriss. Mit einem Straßennamen geehrt wurde Moll unter anderem deswegen, weil er nach Kriegsende Geld für Altenheime gespendet hatte. 1989 widmete ihm der Stadtrat die vorherige Tübinger Straße. Doch dann ergaben Studien, dass der Mann in seinen Fabriken viele Zwangsarbeiter beschäftigt hatte - und die Stadt schwenkte um.

Hella-von-Westarp-Straße

Sie galt erst als Opfer der Revolutionswirren, dann als völkische Märtyrerin: Hella von Westarp war eine von zehn Geiseln, die am 30. April 1919 im damaligen Luitpold-Gymnasium an der Müllerstraße von Rotarmisten erschossen wurden. Doch wie die anderen Ermordeten, etwa Franz von Teuchert, Fritz Linnenbrügger und Walter Deike, nach denen ebenfalls Straßen benannt sind, war von Westarp Mitglied der Thule-Gesellschaft. Der 1918 als Münchner Ableger des völkisch-antisemitischen Germanenordens gegründete Bund nahm viele Ideen der Nazis vorweg. Sein Emblem war das Hakenkreuz, sein Gruß lautete "Heil und Sieg". In der Rätezeit finanzierte er das paramilitärische "Freikorps Oberland", dessen Nachfolger, der "Bund Oberland", mit den Nazis zusammenarbeitete. Die Straßenbenennungen veranlasste NS-Oberbürgermeister Karl Fiehler 1936.

Sedanstraße

Nach Sedan, einer Kleinstadt in den Ardennen, sind viele Straßen benannt: in Berlin, Köln, Regensburg oder auch München. Denn im Kaiserreich war Sedan ein Symbol für die Überlegenheit über Frankreich. Im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 erlitt Frankreich dort eine folgenreiche Niederlage; Kaiser Napoléon III. geriet in Gefangenschaft, Frankreich rief die Republik aus. Im Deutschen Reich wurden daher an den Jahrestagen am 2. September "Sedantage" als provisorische Nationalfeiertage gefeiert. Und häufig ergoss sich der Hass auf den "Erbfeind" Frankreich in Straßennamen, auch in München. Wie die Sedanstraße erinnern zum Beispiel die Balan-, die Bazeilles- und die Weißenburger Straße sowie der gleichnamige Platz - im Grunde das ganze "Franzosenviertel" in Haidhausen - an jenen Krieg.

Georg-Freundorfer-Platz

NSDAP-Mitglied war er nicht, aber eine Nähe gab es offenbar doch. Georg Freundorfer, gelernter Bierbrauer und gebürtiger Münchner, machte Anfang des 20. Jahrhunderts als Zitherspieler und Komponist Furore und wurde zu einem der beliebtesten Unterhaltungskünstler der Zwanziger- und Dreißigerjahre. Lange lebte er an der Westendstraße; seiner Heimat widmete er den "Schwanthaler Höher Marsch". Auf dieser liegt auch der nach Freundorfer benannte Platz. Zuletzt aber ergaben Recherchen des "Kulturladens Westend", dass sein "Freundorfer Trio" gerne bei "bunten Abenden" der Nazi-Partei auftrat. Freundorfer selbst komponierte 1935 den Marsch "Gruß an Obersalzberg". Der heute zu Berchtesgaden gehörende Ort war Hitlers langjähriger Ferienort und wurde seit 1933 immer mehr ausgebaut. Der Marsch wurde später gewissermaßen entnazifiziert: Er heißt heute "Gruß an Oberbayern".

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