Die junge Frau streift unterm Regenschirm, den eine Freundin schützend über sie hält, ihre Outdoorjacke ab und zupft das schwarze, mit luftigen Maschen gehäkelte Bustier, das sie darunter über nackter Haut trägt, zurecht. Aus dem Rucksack, der zwischen ihren Knien klemmt, kramt sie ein selbst gebasteltes Schild heraus. „Mein Körper geht dich einen Scheißdreck an, einen Scheißdreck geht der dich an!“ steht da mit schwarzem Edding geschrieben. Die junge Frau reckt die Pappe mitten auf dem Marienplatz in die Höhe.

Um sie herum ist es bunt. Es sind viele junge Menschen, die sich am Samstag gegen 14 Uhr im Herzen Münchens bei Nieselregen in frühlingsgrün gefärbter Stoppelfrisur, pinken Netzstrümpfen oder mit Brustwarzen, die allein von Aufklebern in Regenbogenfarben bedeckt sind, um einen großen Veranstaltungstruck scharen. Sie demonstrieren für sexuelle Selbstbestimmung, die Anerkennung von sexueller Vielfalt und gegen sexualisierte Gewalt. So umschreiben das die Verantwortlichen des Münchner „Slutwalk“, der auch in diesem Jahr nach einer Kundgebung am Marienplatz zum Gärtnerplatz und wieder zurückführt. Mehrere Hundert Menschen schließen sich an.
Die Bewegung hat sich 2011 in München im Zuge der weltweiten Slutbewegung gegründet, erinnert eine der Aktivistinnen zur Begrüßung. „Hintergrund ist ein Präventionskurs im kanadischen Toronto gewesen, bei dem ein Polizist Frauen erklärte, sie sollen sich nicht wie Schlampen anziehen, wenn sie nicht zu Opfern sexualisierter Gewalt werden wollen.“ Das sei eine Täter-Opfer-Umkehr, „egal, was wir tragen, Kleidung ist niemals die Erlaubnis zu sexuellen Handlungen!“ Aus Solidarität wurde daraufhin der Spaziergang der Sluts, also Schlampen, initiiert. „Dann sind wir alle gemeinsam Schlampen“, schlussfolgert die Aktivistin.

Das Münchner Motto in diesem Jahr: „Nein, das ist nicht okay! Von sexistischen Witzen bis zu struktureller Diskriminierung.“ Denn oft bleibe es halt auch nicht bei einem Wort und man müsse auf die „kleinsten und noch so subtilen Bemerkungen reagieren“, mahnt die Rednerin.
Den Graubereich der Grenzüberschreitung kennt Eva Merrath auch. Die 27-jährige Psychologin kommt am Samstag mit einer Freundin zum Slutwalk. Beide tragen selbstbewusst und an diesem Tag sehr bewusst ultrakurze Röcke. „Es ist traurig, dass manche kein Nein akzeptieren können“, sagt Eva Merrath und meint damit auch „Personen, die einen im Club antanzen und nicht wahrnehmen wollen, dass man sie zur Seite schiebt“. Ihre 26 Jahre alte Freundin, die öffentlich nicht mit ihrem Namen in Erscheinung treten will, spricht davon, „dass es nicht das Problem ist, dass Frauen ihre Grenzen nicht deutlich machen, sondern dass sie nicht akzeptiert werden“. Was sich Eva Merrath wünscht: „Dass Männer Frauen einfach in Ruhe lassen.“
Das Slutwalk-Team erinnert auf dem Marienplatz an die erste bundesweite repräsentative Dunkelfeldstudie zu sexualisierter Gewalt. Sie wurde diese Woche vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim veröffentlicht. Gelistet sind hier nicht nur polizeiliche Zahlen, sondern etwa auch Annäherungsversuche über digitale Kanäle, die Zusendung pornografischer Bilder oder aufgedrängte Gespräche über sexuelle Inhalte. Befragt wurden 10 000 Personen zwischen 18 und 59 Jahren. Der Untersuchung zufolge hat jede fünfte Frau angegeben, im Kindes- und Jugendalter von sexueller Gewalt betroffen gewesen zu sein – Täter war meistens ein Mann.
„Schlampe – Mensch, der selbstbestimmt Sex hat“
Unter den vielen Schirmen in Regenbogenfarben stehen am Samstag Menschen, die auf Jacken, Taschen und Kleidern alle den gleichen Aufkleber pappen haben: „Schlampe – Mensch, der selbstbestimmt Sex hat.“ Die Veranstalterinnen gehen auf dem Marienplatz durch die Reihen und verteilen einen nach dem anderen. Genauso wie vorbereitete Demoschilder. „A Dress is not a Yes“ steht auf einem, „Fotzenstreik“ auf einem anderen.
Bei der Mariensäule bildet sich eine Gruppe von Frauen mit weißen Regenschirmen, die „Omas gegen Rechts“. Susanne, eine der Großmütter, die nur ihren Vornamen preisgeben will, erzählt, warum sie sich mit auf den Slutwalk macht: „Meine Theorie ist, dass jede Frau im Lauf ihres Lebens sexuelle Übergriffe erleben musste, völlig egal, wie man sich kleidet und gibt.“ Für manche Männer entspreche man einfach dem Beuteschema. „Die Verantwortung liegt bei den Männern und da sind deutsche genauso dabei wie alle anderen auf der Welt auch.“ Selbst sie sei heute mit Regenmantel und Gummistiefeln nicht gefeit davor, sagt die 63-jährige Münchnerin. „Auch nicht als ältere Frau.“