Süddeutsche Zeitung

Münchner Nordwesten:Die Stadt kommt nach Ludwigsfeld

In der Siedlung sollen 1800 bis 2000 neue Wohnungen entstehen. Damit vervierfacht sich die Zahl der Bewohner auf etwa 6000. Kritik an dieser erheblichen Verdichtung wurde im Stadtrat mit Verweis auf eine deutliche Verbesserung der Infrastruktur gekontert.

Von Ulrike Steinbacher

Die Siedlung Ludwigsfeld ist eine Insel weit draußen vor der Stadt. Im Südosten trennt der Autobahnring A99 sie vom Rest des Stadtbezirks Feldmoching-Hasenbergl, im Osten verläuft die B304 Richtung Dachau, im Norden liegt die Bus- und Lkw-Teststrecke von MAN. 1500 bis 1600 Menschen leben bisher in den etwa 830 Wohnungen aus zwei verschiedenen Bauphasen. Jetzt bekommen sie neue Nachbarn. Der Planungsausschuss des Stadtrats hat am Mittwoch einem Strukturkonzept für den Weiterbau der Siedlung zugestimmt. 1800 bis 2000 Wohnungen für etwa 4500 Zuzügler sollen entstehen, darin ein hoher Anteil geförderter und bezahlbarer Wohnungen nach den neuen Vorgaben der Sozialgerechten Bodennutzung. Damit wird sich die Zahl der Bewohner in etwa vervierfachen.

Entstanden ist die Siedlung Ludwigsfeld auf dem Gelände des Außenlagers Allach, das einst zum KZ Dachau gehört hat. Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene hatten dort schuften müssen. Nach der Befreiung 1945 blieben viele als Displaced Persons im Lager, und weil sie nicht in die inzwischen kommunistischen Staaten Osteuropas zurückkehren wollten, blieben sie in der vom Bund errichteten Siedlung, in der ihre Nachfahren bis heute leben. Die Straßen wurden nach Edelsteinen benannt, die Häuser in 36 zwei- bis dreigeschossigen Gebäudezeilen mit etwa 660 Wohnungen angeordnet. Die durchschnittliche Wohnfläche liegt bei 43 Quadratmetern.

Von oben betrachtet bildet die Siedlung ein Rechteck mit großzügigen, allgemein zugänglichen Grünflächen, auf denen bis zu 70 Jahre alte Bäume stehen. Daran wurde um die Jahrtausendwende im Süden und Osten eine Erweiterung mit etwa 140 Wohnungen angestückelt, die einem spiegelverkehrten L gleicht. Sie gehört nicht zu dem knapp 32 Hektar großen Gebiet, das jetzt überplant wird.

2007 verkaufte die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) die Bestandssiedlung an das Immobilienunternehmen Patrizia, das die alten Häuser sanierte und weiterverkaufte. So idyllisch die grüne Insel-Siedlung mit ihren alten Bäumen ist - ihre Infrastruktur lässt schwer zu wünschen übrig. Es gibt keine Schule und nur zwei Kindertagesstätten. Abgesehen von einem Getränkemarkt am Onyxplatz liegen die nächsten größeren Einkaufsmöglichkeiten in Feldmoching, der Fasanerie-Nord und Karlsfeld, vier bis sechs Kilometer entfernt. Es gibt je eine Buslinie zur S-Bahn in Karlsfeld und zur U- und S-Bahn in Feldmoching. Die Bewohner sind aufs Auto angewiesen, die Parkplatznot ist groß.

Geplant ist jetzt, die ursprüngliche Siedlung behutsam nachzuverdichten, vor allem entlang der Karlsfelder Straße im Norden, und zusätzlich Flächen im Süden und Osten neu zu bebauen, also an die Gebäude aus den 1990er- und Nuller-Jahren, die nicht Teil des knapp 32 Hektar großen Planungsgebiets sind, eine weitere Neubausiedlung anzuschließen, auch sie in Form eines spiegelverkehrten L. Die Flächen sind großenteils in Privateigentum, die Investoren sind Privatpersonen aus dem Umfeld der Patrizia Immobilien AG, die Büschl Unternehmensgruppe und die PG Granatstraße 12 GmbH.

Entstehen sollen zusätzlich zu den 1800 bis 2000 Wohnungen auch Pflege-WGs, ein Nachbarschaftstreff, sieben Kindertagesstätten und eine sechszügige Grundschule mit Sportplatz und Turnhalle, auch für die Vereine. Das künftige Zentrum der Siedlung samt Supermarkt soll in der Nähe der Schule liegen und neue und alte Bebauung verknüpfen. Zunächst sollen Expressbusse das Nahverkehrsangebot verbessern, langfristig ist eine Straßenbahn geplant.

Außerdem will man den langgehegten Wunsch der Anwohner aufgreifen, einen Gedenkort für das ehemalige KZ-Außenlager einzurichten, wo zwischen 1943 und 1945 mindestens 18 000 Menschen interniert waren. Auf sie weist eine Gedenktafel hin, die 1997 an der letzten erhaltenen Baracke an der Granatstraße 10 angebracht wurde. Heute ist in dem inzwischen denkmalgeschützten, aber verfallenden Bau das Vereinsheim des TSV Ludwigsfeld untergebracht.

Kritik gibt es an der Anzahl der geplanten Wohnungen

Im Planungsausschuss entzündete sich eine Grundsatzdebatte über die Baudichte neuer Wohngebiete, ehe die Stadträte Strukturkonzept und Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan mit großer Mehrheit befürworteten. Nur Dirk Höpner (München-Liste) und Brigitte Wolf (Linke) stimmten dagegen. Beiden war die Zahl der neuen Wohnungen viel zu hoch. Er sehe immer wieder "dieses Muster", dass die Betroffenen, also Anwohner und Stadtviertelvertreter, solche Bebauungspläne ablehnten, sagte Höpner. "Die Bevölkerung ist mit dieser Dichte nicht einverstanden." Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) kritisierte Höpners "rein örtliche Sicht" als "pure Opportunismus-Politik". "Eine gesamtstädtische Verantwortung sieht anders aus", sagte er.

"Wir werden auch in Zukunft neue Wohnungen in dieser Stadt brauchen, weil sie weiter wachsen wird", führte Alexander Reissl (CSU) an. Außerdem brauchten Infrastrukturangebote wie Bus oder Supermarkt eine gewisse Menge an Kunden respektive Fahrgästen. "So ein Viertel funktioniert halt nur, wenn dort 5000 Menschen leben und nicht 1500." Die Planung behebe "wesentliche strukturelle Mängel" in der Siedlung, ergänzte Christian Müller (SPD). Anna Hanusch (Grüne) verwies darauf, dass die Wohnungen, die wegfielen, wenn man die Dichte reduziere, dann an anderer Stelle gebaut werden müssten. Es gehe jetzt darum, die heutigen Bewohner zu "überzeugen, dass sie mit der Planung wirklich einen Mehrwert bekommen".

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