Kultur und Freizeit:"Früher hat keiner in den Schlachthof gewollt, jetzt wollen's alle her"

Lesezeit: 5 Min.

Der Umzug des Volkstheaters trägt zur Aufwertung des Schlachthofviertels bei. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Seit dort die Isarphilharmonie und das neue Volkstheater stehen, erlebt die Isarvorstadt eine kulturelle Renaissance, auch mit neuer Gastronomie. Ein Rundgang durch einen neuen Münchner Hotspot, der auch Sendling einschließt.

Von Sarah Maderer

Wo Schlachthof- und Dreimühlenviertel auf Sendling treffen - westlich der Isar, südlich des Glockenbachs, östlich der Wiesn und nördlich des Mittleren Rings - wohnte man bis vor Kurzem noch unter dem Radar. Doch die Gegend hat inzwischen viel zu bieten: Seit dort das neue Volkstheater und die Isarphilharmonie stehen, ist man mittendrin im neuen Münchner Kultur-Hotspot. Auch die Gastronomie zieht nach. Neben Alteingesessenem brodelt es auch in vielen neuen Küchen. Zumal es sich nach dem Wegfall der Sperrstunde und bei einer Saalauslastung von 75 Prozent wieder ausgiebig schlemmen - und wunderbar mit einem Konzert- oder Theaterbesuch verbinden lässt.

Vielfalt im Volkstheater

Das "Schmock" im neuen Volkstheater besticht durch seine coole Optik und die internationale Küche. (Foto: Daniel Schvarcz)

Aller guten Dinge sind drei: Nach 16 Jahren in der Augustenstraße und fünf Jahren in der Brienner Straße hat das Schmock, ehemals "Meschugge", im Volkstheater-Komplex der Tumblingerstraße wiedereröffnet. "Wir wollten anknüpfen an früher, weil sich viele Leute daran erinnern und der Name Schmock gut zieht", erklärt der Wirt Florian Gleibs. Der musste das erste Schmock in der Augustenstraße 2016 wegen antisemitischer Anfeindungen schließen und wagte im selben Jahr als Hausgastronom im Volkstheater mit Intendant Christian Stückl als "Freund der Sache" einen neuen Anlauf. Mag es an Stückls Rückhalt, an Gleibs' humorvollem, unkonventionellem Umgang mit Kritikern oder an der abwechslungsreichen Küche liegen - hier funktionieren Currywurst, Schawarma und Königsberger Klopse wunderbar zusammen - das Schmock ist angekommen und bringt frischen Wind in die eingespielte Theater-Gastro-Symbiose. Treue Schmock-Fans und Theaterpublikum werden um eine neue Zielgruppe aus neugierigen Anwohnern ergänzt, die das zuvor aufführungsgebundene Stoßgeschäft immer mehr aufbricht.

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Das diverse Schlachthofviertel steht dem Schmock gut, findet auch Gleibs: "Es tut sich hier etwas, was für München untypisch ist. Alles ist miteinander verschmolzen. Man spricht nicht mehr nur von ein paar Freaks, die Graffiti sprühen. Jetzt stehen irgendwelche Yuppies auch schon mit der Bierflasche auf der Straße und finden's geil. Man kann das gar nicht mehr definieren, wer in welche Gruppe gehört." Mit dem Definieren hat es das Schmock ohnehin nicht; welcher Mitarbeiter welcher Nationalität angehört, wo der Barbereich aufhört und das Restaurant anfängt, ob die neue Foyer-Bar jenseits der gläsernen Doppeltür mehr Schmock- oder Volkstheater-Interieur ist, kümmert Gleibs nicht. "Wir sind hier eingebettet im Volkstheater. Wir gehören eigentlich nicht zusammen, und doch gehören wir zusammen."

Dolce Vita und Gemütlichkeit

Die gute Seele der Straße: Wirtin Irmgard Jörg vom Stüberl "Bierschuppen" im Dreimühlenviertel. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Schon vor den jüngsten gastronomischen Neuzugängen in Schlachthof- und Dreimühlenviertel herrschte hier eine rege Viertelkultur. Familien treffen sich zum Picknick auf dem Spielplatz, Nachbarn grüßen sich beim Bäcker, Hinterhoffeste werden zu Happenings. In der warmen Jahreszeit versammelt man sich zum Abendsonne-Absorbieren auf dem Pflaster der Ehrengutstraße, am Isarufer oder bei den Brüdern Tomaso und Elio des Eiscafés Italia am Roecklplatz. Wobei Letztere die "warme Jahreszeit" freier interpretieren. Nur von 5. Dezember bis 22. Januar dauerte ihre Winterpause diesmal, die Terrasse ist schon jetzt voll besetzt mit Daunen-isolierten Dolce-Vita-Fans.

Einwohner und Besucher müssen im Winter hier generell nicht auf die vierteltypische Gemütlichkeit verzichten. Stattdessen können sie sich vor der Kälte in urige "Boazn" flüchten, ins griechische "Zenetti Pils" direkt gegenüber dem Volkstheater zum Beispiel, in die "Geyerwally", ins "Valentin Stüberl" oder in Irmgard Jörgs "Bierschuppen in der Reifenstuelstraße, wo die Halbe Bier 2,80 Euro kostet und der junge Indie-Radiosender nicht aus Musikgeschmacksgründen eingestellt ist, sondern weil der Empfang am wenigsten Stress macht. "Irmi" betreibt ihren Bierschuppen seit gut 36 Jahren, steht an sechs Tagen die Woche (außer sonntags) allein hinterm Tresen. Dass sich die Klientel im Viertel über die Zeit verändert hat, ist Irmi schon länger aufgefallen. "Früher hat keiner in den Schlachthof gewollt, jetzt wollen's alle her", stellt sie fest.

Trotzdem sind ihr neben den Stammgästen auch "Fremde" willkommen, die es bislang eher durch Führungen in den Bierschuppen verschlagen hat. Besonders Trinkfeste können sich hier übrigens ausgiebig einstimmen auf den Konzert- oder Theaterbesuch, Irmi sperrt nämlich schon um 10 Uhr auf.

Genuss rund ums Rad

Treffpunkt für Radler und Kaffeeliebhaber: Inhaber Jens Hoffmann (rechts) in seinem Laden "3Mills Cycling & Coffee". (Foto: Robert Haas)

Schräg gegenüber Irmis Bierschuppen an der Ecke Reifenstuel- und Dreimühlenstraße hat vergangenen Herbst ein weiterer neuer Nachbar seine Pforten geöffnet: 3Mills Cycling & Coffee macht es der Laufkundschaft beim Blick ins Innere nicht leicht. Fahrradladen, Werkstatt, Café oder Vierteltreff? Am besten alles auf einmal, wünscht sich Betreiber Jens Hoffmann. "Wir machen hier den Laden, den ich aus Ländern wie Italien, Spanien, Belgien, Frankreich oder Holland kenne und bisher in München vermisst habe." Weniger reines Verkaufsgeschäft soll es sein als vielmehr Treffpunkt für Radler und Kaffeeliebhaber.

Und er ist davon überzeugt, den besten Kaffee im Viertel haben. Die Röstung stammt aus dem Hause "19grams", einer Berliner Marke für Speciality Coffee, die Maschine - Kees van der Westens Modell "Spirit" - nennt Hofmann liebevoll "die Königin unter den Kaffeemaschinen". Dieser Kaffee, Croissants und Pain au Chocolat von der Boulangerie "Dompierre" und Rennräder von Cinelli, Gios und Time inklusive der Beratung seines internationalen Teams - Hoffmann setzt auf Spitzenqualität. Auch Kultur und Veranstaltungen räumt der ehemalige Sportjournalist und Filmemacher Platz in seinem Laden ein: An den Wänden darf Fotograf Olaf Unverzart stets wechselnde Fotoserien aushängen, in den Regalen finden sich Bücher des Covadonga-Verlags zum Schmökern und bald soll es auch Coffee-Tastings, Lesungen und Rad-Workshops geben.

Angesagte Subkultur

Der ausgemusterte Ausflugsdampfer "MS Utting" ist als Lokal und Veranstaltungsort das Markenzeichen des Event-Areals "Bahnwärter Thiel". (Foto: Catherina Hess)

Mit dem Event-Areal "Bahnwärter Thiel" und dem Ammersee-Dampfer Alte Utting hat Daniel Hahn vor Jahren die Subkultur in den Schlachthof und in Sendling einziehen lassen. Heute sind diese beiden Hotspots nicht minder beliebt, gelten aber wohl kaum noch als Geheimtipp. Mit dem New York Times-Artikel "Is Munich getting cool - look for the boat on the bridge" hat es der Ruf der Utting sogar über den großen Teich geschafft.

In Sachen Subkultur bleibt das Dreimühlen jedoch "under construction" - momentan wortwörtlich. Nicht nur das 3Mills muss sich vorerst mit einer Baustelle vor der Tür arrangieren, auch Sobi Darkhals neuer Künstlertreff "Le Hygge" in der Ehrengutstraße büßt baustellenbedingt Hygge, die dänische Heimeligkeit, ein. Der gebürtige Perser - dank seines Cafés Sobicocoa in der Georgenstraße bereits eine bekannte Münchner Gastrofigur - nimmt's gelassen. Seit gut einem Jahr lockt er alternatives Publikum mit einer Mischung aus recyceltem Do-it-yourself-Mobiliar, eigenen Fotografien an den freigelegten Wänden und veganer Küche. Allein an einem Auberginengericht habe er sieben Monate lang gefeilt. Dennoch liegt sein Fokus woanders. Er möchte einen Ort für Künstler aus aller Welt schaffen.

Das "Yol" gehört zu den alteingesessenen Lokalen im Dreimühlenviertel und lockt mit bodenständiger türkischer Küche. (Foto: Stephan Rumpf)

Nicht nur künstlerisch, auch kulinarisch zeigen sich Schlachthof- und Dreimühlenviertel international: Regional angefangen bei Vesperplatten in der Vesperia oder ambitioniert-gehobener Küche im Roecklplatz, die zunehmend mit vegetarischen und veganen Gerichten aufwartet (fleischloser Kick: die Pilzessenz mit Maultasche, Haselnuss, Lauch und Schwarzwurzel), weiter gen Osten mit Meze und Kebap in der türkischen Taverne Yol oder mit raffiniertem Sushi in der Sushi- und Weinbar Kinchia bis in den Süden nach Bella Italia.

Im stilvoll eingerichteten Monti Monaco beispielsweise könnte man bei Rindertartar und Jakobsmuscheln glatt vergessen, dass man mitten im backsteingesäumten Schlachthof speist. Selbiges im gemütlichen und authentischen Quattro Tavoli in der Dreimühlenstraße. Im Diskokugellicht serviert Inhaber Maurizio Cinosi eine Pinsa Romana, die ihresgleichen sucht, während er mit den Gästen in seiner Muttersprache plaudert. Seit 2011 betreibt der gebürtige Italiener das Restaurant. Auch er hat durch das Theater eine neue Zielgruppe bekommen. Im Laden an der Ecke Ehrengut- und Dreimühlenstraße sei zum Beispiel schon das siebte Gastro-Konzept eingezogen, seit er vor Ort ist. Cinosi dagegen ist wie viele andere seiner Kollegen gekommen, um zu bleiben.

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:In München geht was

Erst eröffnet die Isarphilharmonie, dann das Volkstheater - und ringsum denken die Anwohner: Hui, da passiert was Großes. Spaziergang durch eine Gegend, die gerade hip wird.

Von Julia Schriever (Text und digitale Umsetzung) und Alessandra Schellnegger (Fotos)

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