SEM Nordost:Grundeigentümer haben das Vertrauen verloren

SEM Nordost: Damit im Münchner Nordosten Wohnungen entstehen können, greift die Stadt auf die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme zurück. Diese sieht als letzte Möglichkeit Enteignungen vor.

Damit im Münchner Nordosten Wohnungen entstehen können, greift die Stadt auf die Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme zurück. Diese sieht als letzte Möglichkeit Enteignungen vor.

(Foto: Florian Peljak)

Acker oder Bauerwartungsland, 35 Euro pro Quadratmeter oder bis zu 1200: München streitet mit den Eigentümern um die Flächen für das geplante neue Stadtviertel im Nordosten.

Von Heiner Effern

Es geht um altes Familienerbe, um einen Beruf mit Leidenschaft, um Vertrauen und Kommunikation, und um nichts weniger als ein neues Stadtviertel für bis zu 30 000 Menschen. Zieht man all diese Umstände und Zustände ab, dann geht es gerade auch um etwas viel Banaleres: um Geld. Genauer um die Frage, wie viel die Stadt den Bauern und Eigentümern der Grundstücke zwischen Johanneskirchen und Daglfing bezahlen soll oder muss, deren Flächen sie für das größte Wohnungsbauprojekt in den kommenden Jahrzehnten benötigt.

Der Konflikt startet nun in eine neue Runde, weil die Stadt die Wiesen im Nordosten nach wie vor als landwirtschaftliche Äcker einstuft und nicht als viel lukrativeres Bauerwartungsland. Genau das hatte aber der bayerische Landtag gefordert, als er sich im Herbst 2021 mit einer Petition der Eigentümer befasst hatte. Was das bedeutet, erklärt der örtliche Landtagsabgeordnete Robert Brannekämper von der CSU so: Im schlimmsten Fall könnten die Bauern einen Quadratmeterpreis von 35 Euro für Ackerland erhalten, im besten Fall seien für Bauerwartungsland im preisgedämpften Mietwohnungsbau bis zu 1200 Euro drin, sagte er. Der Landtag habe sich in der Beurteilung der Petition eindeutig auf Letzteres festgelegt. Das sei "ein klarer Handlungsauftrag an die Stadt".

Die sieht das aber keineswegs so, es gebe unterschiedliche Rechtsauffassungen, sagte ein Sprecher des Planungsreferats. Sprich: Die Stadt beabsichtigt weiter, die Petition zu ignorieren. Das wiederum wollen sich weder die CSU noch die Eigentümer gefallen lassen. Diese haben sich in der Initiative Heimatboden zusammengeschlossen und die Petition 2018 auf den Weg gebracht. Nun sind sie entsetzt, dass der gefühlte Sieg nach dem Abschluss der Petition im Landtag zu zerbröckeln droht. Sie fürchteten, von der Stadt enteignet zu werden, sagte Landwirt Johann Oberfranz.

Die Enteignung ist als Horrorvorstellung nach wie vor präsent

Diese "Horrorvorstellung" ist nicht ausgeschlossen als allerletztes Mittel der sogenannten Stadtentwicklungsmaßnahme (SEM), mit der die Stadt die Preise im neuen Stadtviertel eingefroren hat, um Spekulationen vorzubeugen. Und noch eine zweite Enttäuschung mussten die Eigentümer nach eigener Aussage wegstecken: Die Hoffnung, nach der gewonnenen Petition nun endlich auf Augenhöhe über das neue Stadtviertel auf ihrem Grund und Boden verhandeln zu können, sei mit der erneuten Verweigerung der Stadt verflogen. Der Umgang mit den Eigentümern sei "nur noch eine Katastrophe", sagte Oberfranz.

Der Stadt ist andererseits aber klar, dass die Eigentümer mit Klagen die dringend benötigten neuen Wohnungen lange verzögern könnten. In einem Schreiben an die Eigentümer vom Dezember hat sie sich nicht nur über die Petition hinweggesetzt, sondern auch Verhandlungen über den Kaufpreis in Aussicht gestellt. Schon im Sommer 2020 waren im Stadtrat Summen von 200 bis 250 Euro pro Quadratmeter genannt worden, Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) erwähnte in einem TV-Interview damals die Zahl 300.

Eine S-Bahn im Tunnel wurde zuletzt wieder in Frage gestellt

Der Stadt trauen die Eigentümer jedoch aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen nicht, das betonen sie immer wieder. Ihr Misstrauen machen sie an einer weiteren Nachricht zum Jahreswechsel fest. In der Stadt soll es nach Informationen der SZ Überlegungen gegeben haben oder immer noch geben, womöglich von einem jahre- oder jahrzehntelangen Paradigma für den Bau neuer Wohnungen im Nordosten abzuweichen. Bisher galt: Vor der Verlegung der nahen S-Bahn in einen Tunnel geht nichts. Wenn die Stadt hier nicht Wort halte, könne man das nur als "abgrundtiefen Verrat" an den jetzigen und künftigen Anwohnern auffassen, sagte der Abgeordnete Brannekämper. Bleibt zu wünschen, dass dessen Wunsch auf allen Seiten künftig beherzigt wird: In das Verfahren müsse, sagte er, "Wahrheit und Klarheit wieder Einzug finden".

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