Werneckhof Sigi Schelling: Das neue Wohnzimmer für Münchens Gourmets

Werneckhof Sigi Schelling: Optisch und kulinarisch ein Genuss: Das Essen in Sigi Schellings Werneckhof.

Optisch und kulinarisch ein Genuss: Das Essen in Sigi Schellings Werneckhof.

(Foto: Stephan Rumpf)

Es geht um beste Produkte, präzisestes Handwerk - und Herzlichkeit: Sigi Schelling überzeugt in ihrem Werneckhof mit liebevoller Spitzenküche.

Von Tankred Tunke

Schon mit Eröffnung von Sigi Schellings Werneckhof im vergangenen Juli stand eigentlich fest, dass hier ein neues Wohnzimmer für Münchens Gourmets entstehen würde. Denn nicht wenige kannten und vermissten den Werneckhof, nachdem Zwei-Sterne-Koch Tohru Nakamura im ersten Pandemiejahr hier ausziehen und das Restaurant schließen musste. Und ähnlich viele Feinschmecker kannten und vermissten Sigi Schellings feine "Wohlfühlküche", hatte sie doch als Souschefin im früheren Tantris bis zur Stabübergabe im Herbst 2020 über Jahre zuverlässig wie ein Uhrwerk Hans-Haas-Klassiker auf den Tisch gebracht.

Der Werneckhof und Sigi Schelling - das sei wie "ein Sechser im Lotto", so beschied Haas, den die Köchin bis heute nur "Chef" nennt. Ein "Gasthaus" soll das Gourmetlokal unter ihrer Leitung sein, betont Schelling oft, "ein Haus für den Gast", zugewandt und nicht zugeknöpft, wie sich die Haute Cuisine bis heute mitunter gibt.

Die Gäste dankten es Schelling, indem sie von Beginn an reservierten wie ausgehungert und halb verdurstet - für den Aufbau des Weinkellers, apropos Münchner Gourmetwohnzimmer, garantiert die frühere Tantris-Sommeliere Paula Bosch. Wer in den zwei kleinen Gasträumen mit normal knapp 40 Plätzen einen Tisch ergattern will, sollte also Vorlauf einplanen.

Die Gastlichkeit beginnt an der Tür, wo ein Spender das derzeit wohlriechendste Desinfektionsmittel der Stadt versprüht - in Schelling'scher Handarbeit mit frischer Zitronenmelisse aromatisiert. Hinter der Tür steht der freundliche Service bereit, um die Gäste aus Jacken und Mänteln zu schälen. Die Räume sind nach einem behutsamen Lifting heller geworden, mit einem zarten Blumenfries unter der antiken Holz-Decke.

Werneckhof Sigi Schelling: Sigi Schelling kommuniziert über die Teller mit ihren Gästen.

Sigi Schelling kommuniziert über die Teller mit ihren Gästen.

(Foto: Stephan Rumpf)

An der Wand im Fond zeigt dann eine Kunstinstallation von Hans Haas - "Wellenreiter" ist ein Einzugsgeschenk, bunt bemalte Fischkarkassen auf dem Innenleben einer Doppel-Federkernmatratze -, dass Schelling keine Berührungsängste mit der Präsenz des Mentors hat. Sie müsse sich nicht krampfhaft "eine neuen Küchenlinie aus den Rippen schneiden", sagt die Köchin freimütig in Interviews. Es geht um beste Produkte und präzisestes Handwerk, um einen klassisch basierten Stil, wie sie ihn im Tantris perfektioniert hat.

Hans Haas wird auch im Menü (fünf Gänge abends 170 Euro, drei Gänge mittags 75, vier Gänge mit Wein samstagmittags 155 Euro) zitiert. Mal, weil Schelling sein berühmtes Kartoffel-Lauchpüree mit Nussbutter und Kaviar als Küchengruß schickt, mal, weil die "lauwarme Seeforelle" - genau wie Haas' legendärer Lachs - bei Niedertemperatur unter Folie gegart ist, weshalb sie Schmelz und Biss perfekt vereint. Sigi Schelling sagt, sie wisse aus der Haas-Küche eben, dass das "Bayerische Bresse Hendl" am saftigsten wird, wenn man es erst konfiert und dann mit Dampf und Hitze seiner Knusprigkeit zuführt. Warum ändern? Die Köchin belegt das Huhn üppig mit Perigord-Trüffeln und lässt es am Tisch tranchieren, wo dann die besten Teile neben einem zarten Risotto in glücklich machender Trüffel-Jus baden.

So entsteht nicht immer die modernste Spitzenküche Münchens, wohl aber die tröstlichste und achtsamste. Wie die als zurückhaltend bekannte Hausherrin sich konsequent in den Dienst an Gast und Wohlgeschmack stellt, wie sie liebevoll und subtil über ihre Teller kommuniziert, das ist in Zeiten krachiger Selbstinszenierung ein enormer Wert. Und weit weniger selbstverständlich als von vielen Köchen behauptet. Ist Leise das neue Laut?, hofft man bei Tisch, wenn man sich als Gast gerade wieder besonders behütet fühlt. Wozu auch Sommelier Xavier Didier viel beiträgt.

Werneckhof Sigi Schelling: Nach behutsamem Lifting sind die Räume etwas heller geworden.

Nach behutsamem Lifting sind die Räume etwas heller geworden.

(Foto: Stephan Rumpf)

An zwei Abenden enttäuschte kein Teller. Die Menüs starteten großzügig und mit hohem Behaglichkeitsfaktor. Zum Beispiel beim Gruß aus der Küche: nussig-rundes Linsencremesüppchen, den als kleine Spitze ein Saiblingstatar auf Leinsamchip mit Meerrettich-Creme flankiert. Ihre Entenleberterrine serviert Sigi Schelling mit schmelzigem Preiselbeereis, knusprig-warmer Brioche, Shitake-Pilzen und ein paar extra Trüffelscheiben. Das Dreierlei ausgelöster Krustentiere (Hummer, Langostino, Gamba) besticht durch makellose Qualität und präzise Garpunkte und wird von Kräuteröl und einer Blumenkohlvariation fein begleitet - einer Creme mit fruchtigem Hibiskus-Curry sowie sauer eingelegten Kohlröschen.

Das Highlight aber sind die Soßen, an denen die Köchin immer wieder zeigt, wie zeitlos Klassik sein kann. Der Service stellt leichtsinnigerweise stets kleine Nachgießkrüge auf den Tisch, wo wir uns schamlos bedienen, bis der Brotkorb leer und der Teller blank ist. Seeforelle und Selleriepüree-Nocke schwimmen in einer samtigen Bergamotte-Soße, die die zarten Bitternoten dreier Zitrusfrüchte elegant vereint, wobei winzige Fruchtfleischfasern von Pomelo und Orange reichen, um für einen spannenden Frischekick zu sorgen. Von großartiger Tiefe auch die mit Zitronengras aromatisierte Soße auf Hummerfondbasis, die Sepia-Pasta und bretonischen Steinbutt begleitet, der wiederum eine Krone aus Taschenkrebsfleisch und Passionsfruchtmayonnaise trägt. Tiefe hat hier eh alles, ob die herrliche Bouillabaisse mit Babyseeteufel oder die Jus zum Poltinger Rehrücken mit Topfennudeln, Trompetenpilzen, karamellisiertem Chicorée und Blaukraut.

Die SZ-Kostprobe

Die Restaurant-Kritik "Kostprobe" der Süddeutschen Zeitung hat eine lange Tradition: Seit 1975 erscheint sie wöchentlich im Lokalteil, seit einigen Jahren auch Online und mit einer Bewertungsskala. Etwa ein Dutzend kulinarisch bewanderter Redakteurinnen und Redakteure aus sämtlichen Ressorts - von München, Wissen bis zur Politik - schreiben im Wechsel über die Gastronomie in der Stadt. Die Auswahl ist unendlich, die bayerische Wirtschaft kommt genauso dran wie das griechische Fischlokal, die amerikanische Fastfood-Kette, der besondere Bratwurststand oder das mit Sternen dekorierte Gourmetlokal. Das Besondere an der SZ-Kostprobe: Die Autorinnen und Autoren schreiben unter Pseudonym, oft ist dies kulinarisch angehaucht. Sie gehen unerkannt etwa zwei- bis dreimal in das zu testende Lokal, je nachdem wie lange das von der Redaktion vorgegebene Budget reicht. Eiserne Grundregeln: hundert Tage Schonfrist, bis sich die Küche eines neuen Lokals eingearbeitet hat. Und: Nie bei der Arbeit als Restaurantkritiker erwischen lassen - um unbefangen Speis und Trank, Service und Atmosphäre beschreiben zu können. SZ

Um am Ende Luxusprobleme anzusprechen: An den Desserts ließe sich noch feilen. Ein Kokossoufflé mit eingeweichten Flocken zu aromatisieren, ist für den Geschmack wie für die - so zu faserige - Textur ein Kompromiss. Nach geglückter Eröffnung kann Schelling sich nun erlauben, hier und da etwas mutiger zu werden. Der Chef ist stets herzlichst willkommen. Doch die Küche braucht ihn nicht mehr, denn sie hat jetzt eine tolle Chefin. Schelling hat angekündigt, sich auf Basis des Erreichten "behutsam" weiterentwickeln zu wollen, auch mit Blick auf ihre Wurzeln im Bregenzer Wald. Ist Langsam das neue Schnell? Es wäre zu schön!

Werneckhof Sigi Schelling, Adresse: Werneckstraße 11, 80802 München, Telefon: 089/244189190, Öffnungszeiten: Mittwoch bis Samstag 12 bis 16 Uhr und 18 bis 24 Uhr.

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