Tantris:Die ausschweifende Kunst des Weglassens

Tantris: Minimalistisches Kunstwerk: Charcuterie-Entenleberterrine mit Topinambur und Spekulatius.

Minimalistisches Kunstwerk: Charcuterie-Entenleberterrine mit Topinambur und Spekulatius.

(Foto: Stephan Rumpf)

Paradies für verwöhnte Feinschmecker: Das Tantris hat sich neu erfunden, bleibt sich aber auch treu. Der dritte Michelin-Stern ist in Reichweite.

Von Marcelinus Sturm

Man erlebt es nicht allzu oft, dass sich eine Restaurantlegende ganz neu erfindet. Und wenn, dann sagt man oft: "Ach, hättet ihr es doch gelassen, wie es war." Im Fall des mittlerweile 50-jährigen Tantris ist das anders. Nicht nur, weil der langjährige Chefkoch Hans Haas in den Ruhestand ging und seine Sous-Chefin Sigi Schelling im Werneckhof nun ihr eigenes Ding macht - und die bisherige Tantrisküche ziemlich stringent weiterführt. Sondern auch, weil nach der aufwendigen Rundumsanierung des Hauses hier nun etwas gänzlich Neues entstanden ist. Und das, obwohl fast alles noch so aussieht wie früher. Etwas anderes hätte der Denkmalschutz auch nicht erlaubt.

Was man nicht sieht: Die Küche befindet sich nun gleich auf zwei Etagen, ist auf der oberen deutlich größer und lichter geworden. Sie muss ja nun gleich zwei Küchenteams und zwei Restaurants bedienen. Denn das Tantris ist unter der Leitung des Executive Chefs Matthias Hahn, zuvor rechte Hand des französischen Starkochs Alain Ducasse, zum Maison Culinaire geworden: mit einem Menürestaurant, dass der junge Spitzenkoch Benjamin Chmura, zuvor Chefkoch bei den Gebrüdern Troisgros, leitet, und einem zweiten Restaurant namens Tantris DNA, das sich vor allem À-la-carte-Klassikern aus der langen Tantrisgeschichte widmet, diese aber neu interpretiert. Chefköchin Virginie Protat kommt aus Lyon und hat dort am berühmten Institut Paul Bocuse gelernt.

Tantris: Der neue Chef de Cuisine im Tantris: Benjamin Chmura.

Der neue Chef de Cuisine im Tantris: Benjamin Chmura.

(Foto: Stephan Rumpf)

Chmura, der 33-jährige gebürtige Kanadier mit deutscher Mutter, ist in Brüssel aufgewachsen. Dieser internationale Hintergrund mag mit ein Grund sein, warum er die Nachfolge von Eckart Witzigmann, Heinz Winkler und Hans Haas relativ unbekümmert antritt. Sind ja große Fußstapfen. Aber schon sein erstes Acht-Gänge-Menü im vergangenen Herbst war eine klare Ansage, dass ihn die glorreiche Vergangenheit des Hauses keineswegs eingeschüchtert hat. Im Gedächtnis bleiben etwa die Rosenblüte aus Radieschen, Petersfisch und marinierter Bete auf einer gelben Nage Sancerre, einer schön sämigen Buttersauce von angenehmer Säure, oder auch die ungewöhnliche Kombination aus Reh und Boskopapfel im Schinkenrand. Auch hier stach wieder die Sauce hervor, eine Sauce Poivrade, die mit dem ordinären Begriff "Pfeffersoße" nur sehr unzureichend beschrieben wäre.

Nach kurzer Winterpause gibt es nun ein neues Menü im Tantris, und wieder zeigt sich, dass Chmura sich stark verlässt auf höchste Qualität der Produkte, die auf seine Teller kommen, und dass er - natürlich - die Saucen für die Königsdisziplin des Kochhandwerks hält. Nichts liegt ihm ferner als das ausufernde Spiel mit Cremes und Schäumchen, bei dem dann das herauskommt, was sein Tantris-Vorgänger Eckart Witzigmann einen "Streberteller" nennt.

Tantris: Trotz Rundumsanierung: Das Tantris ist noch wiederzuerkennen.

Trotz Rundumsanierung: Das Tantris ist noch wiederzuerkennen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Chmuras Kochkunst lebt auch vom Weglassen. Insofern ist es fast schon lustig, dass das erste Amuse bouche ausgerechnet als "Chichi mit Burgundertrüffel" angekündigt wird - es ist ein spiralenförmiges Schmalzgebäck mit Périgord-Trüffel. Überhaupt hat Chmura ein Faible für Backwerk; in einem weiteren Gruß aus der Küche ist zum Beispiel ein Brüsseler Spekulatius verbaut, eine Reminiszenz an seine Kindheit in der belgischen Hauptstadt, und Blätterteig kommt in mehreren Gerichten vor.

Der erste Gang aber ist, sehr salopp gesagt, eine Art Tellersülze - aber was für eine! Die Basis bildet eine Consommé vom Taschenkrebs, darauf gerollter und gefüllter Rettich, mit einem Löffel Kaviar gekrönt. Sehr viel mehr braucht es nicht, um verwöhnte Feinschmecker glücklich zu machen. Beim zweiten Gang staunt man umso mehr, wie sich mit vermeintlich einfachen Zutaten hochkomplexe Gerichte schaffen lassen. Er besteht aus übereinander geschichteten Jakobsmuscheln, jeweils getrennt durch eine Farce aus Périgord-Trüffeln, beides an einer Seite umrandet von blanchiertem Wirsing und Blätterteig.

Tantris: Auch dieses Gericht ist ein Gedicht: Plongee-Jakobsmuschel, Perigord-Trüffel und eine göttliche Vin-Jaune-Sauce.

Auch dieses Gericht ist ein Gedicht: Plongee-Jakobsmuschel, Perigord-Trüffel und eine göttliche Vin-Jaune-Sauce.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die beinahe schon dekadente Schnitte wird serviert auf einem Spiegel von nahezu göttlicher Vin-Jaune-Sauce. Das gleiche Adjektiv drängt sich auch beim nächsten Gang auf, dem bretonischen Hummer mit einer Sauce auf Basis der indischen Gewürzmischung Vadouvan. Und so geht es weiter. Der traumhaft zarte Steinbutt, auf dem seltsamerweise eine fragile Spirale aus getrockneter roter Bete thront, wird begleitet von einer Sauce Matelote, wie man sie sich perfekter nicht vorstellen kann.

Die Desserts, die beim Herbstmenü nicht ganz das hohe Niveau der übrigen Gänge erreichten und eher konventionell waren, überzeugen diesmal beide. Die Variationen von Haselnuss und Buchweizen bieten die ganze Palette von luftig-leicht bis kernig-knusprig. Und die dunkelschwarze Venezuela-Schokolade mit Chili und Mais in Blattform und als Eis erlaubt sich ein ironisches Apercu: Der Mais im Gericht sind einfach drei Popcorn-Trümmer.

Die SZ-Kostprobe

Die Restaurant-Kritik "Kostprobe" der Süddeutschen Zeitung hat eine lange Tradition: Seit 1975 erscheint sie wöchentlich im Lokalteil, seit einigen Jahren auch Online und mit einer Bewertungsskala. Etwa ein Dutzend kulinarisch bewanderter Redakteurinnen und Redakteure aus sämtlichen Ressorts - von München, Wissen bis zur Politik - schreiben im Wechsel über die Gastronomie in der Stadt. Die Auswahl ist unendlich, die bayerische Wirtschaft kommt genauso dran wie das griechische Fischlokal, die amerikanische Fastfood-Kette, der besondere Bratwurststand oder das mit Sternen dekorierte Gourmetlokal. Das Besondere an der SZ-Kostprobe: Die Autorinnen und Autoren schreiben unter Pseudonym, oft ist dies kulinarisch angehaucht. Sie gehen unerkannt etwa zwei- bis dreimal in das zu testende Lokal, je nachdem wie lange das von der Redaktion vorgegebene Budget reicht. Eiserne Grundregeln: hundert Tage Schonfrist, bis sich die Küche eines neuen Lokals eingearbeitet hat. Und: Nie bei der Arbeit als Restaurantkritiker erwischen lassen - um unbefangen Speis und Trank, Service und Atmosphäre beschreiben zu können. SZ

Gerade eben hat das Tantris zwei Michelin-Sterne erhalten; wenn es so weitermacht, ist ein dritter in Reichweite. Die hohe Qualität hat freilich ihren Preis, die acht Gänge kosten stolze 295 Euro. Und wer sich ärgert, dass auch im Tantris die Unsitte herrscht, schon für das 0,1-Liter-Glas Champagner als Aperitif stolze 25 Euro zu berechnen, der sollte mal die Preise für die - allerdings wirklich ganz herausragende - Weinbegleitung zusammenrechnen. Da ist man nämlich bei acht Gängen auch schon mit 279 Euro dabei. Zu zweit sollte man also von einem vierstelligen Rechnungsbetrag ausgehen.

Tantris, Johann-Fichte-Straße 7, 80805 München, Telefon: 089/3619590, contact@tantris.de, Öffnungszeiten: Mittwoch bis Samstag 12 bis 16 Uhr und 19 bis 0 Uhr, Tantris DNA Freitag bis Dienstag 12 bis 15 Uhr und 19 bis 0 Uhr.

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