Süddeutsche Zeitung

Schwabing:Ein kleines Geschäft mit einer langen Geschichte

Nach mehr als 50 Jahren muss der Metzgerladen vom Elisabethmarkt zeitweise umziehen, weil die Stände abgerissen werden. Gute Gelegenheit für drei Inhaber-Generationen, von ihrem Job zu erzählen.

Von Ellen Draxel

Florian Weil steht jeden Morgen um vier Uhr auf. Außer sonntags, da hat sein Laden zu. Der 34-Jährige fährt dann zum Schlachthof und kauft Fleisch von Bauern aus der Umgebung für seine Metzgerei am Elisabethmarkt. Um sieben Uhr öffnet das Geschäft, bis dahin muss die Ware in der Theke liegen.

Zwölf Jahre lang macht er das nun schon so, 2008 übernahm er den Laden von seinem Onkel Stefan Moll. "Der Florian ist ein Werkler und extrem fleißig", sagt Moll. Es ist ein dickes Lob. Stefan Moll weiß, wovon er redet. Die 18 Jahre, in denen er das Geschäft geführt hat, seien eine schöne Zeit gewesen, meint er. Aber eben auch ein Knochenjob.

Ende Juli hat sich an einem Samstagmorgen die gesamte derzeitige und ehemalige Inhaber-Riege der Metzgerei vor dem Laden versammelt. Aus Nostalgiegründen, denn am 1. August ist der letzte Verkaufstag in dem alten Häuschen. Die in die Jahre gekommenen Stände des Elisabethmarktes werden abgerissen. Bis der neue Markt in zwei bis drei Jahren fertig ist und sie wieder zurück dürfen, ziehen die Händler an die benachbarte Arcisstraße um. Der Interimsmarkt eröffnet nahezu nahtlos am Dienstag, 4. August. Der Auszug ist eine Gelegenheit, die lange Geschichte dieses kleinen Geschäfts in den Blick zu nehmen. Deshalb sind die Gründer der Metzgerei ebenfalls erschienen, Elfriede und Andreas Schrittenlocher, der "Anderl", wie die Familie ihn nennt.

Er arbeitete, bevor er 1968 den Laden in Schwabing bekam, im Münchner Schlachthof als Fleischträger und belieferte mit vier Kollegen die 17 Stände der damaligen Freibank am Viktualienmarkt. Das Geschäft am Elisabethmarkt bekam Andreas Schrittenlocher quasi als Außenstelle. Für Elfriede aber, die gelernte Metzgereiverkäuferin, war das Freibank-Fleisch damals "ein rotes Tuch, Ware zweiter Klasse". Dabei wurde das Fleisch von Tieren, die sich beim Transport verletzt hatten, veterinärmedizinisch gründlicher untersucht als Fleisch von normal geschlachteten Tieren, war also entsprechend hochwertig. Für den Verkauf jedoch galt es nur als "bedingt tauglich" und wurde billig weitergegeben.

Elfriede Schrittenlocher erinnert sich noch, wie sie reagierte, als sie erstmals den Kühlraum ihres neuen Ladens betrat. "Ich habe die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Da lag so wahnsinnig viel Fleisch." Wer, bitteschön, fragte sie ihren Mann, solle denn diese Massen kaufen? Er erwiderte nur: "Morgen um zehn Uhr ist nichts mehr da." Und, sagt sie lachend, "so war es". Um sieben machte der Laden auf, um neun war das Fleisch oft schon ausverkauft. Ein Kilo Freibank-Rindfleisch für Rouladen oder Braten kostete seinerzeit 4,60 Mark, ein Kilo Suppenfleisch 1,80 Mark. Kaufte man es anderswo, bezahlte man das Doppelte oder Dreifache. Heute muss man für ein Kilo Rinderbraten gut 18 Euro hinlegen.

So immens die Menge war, die über den Ladentisch ging - die Leute gingen mit zwei schweren Taschen und nicht wie heute mit einem kleinen Päckchen aus dem Laden -, so anstrengend war der Job. Nicht nur zeitlich bedingt, da man um zwei oder drei Uhr morgens aufstehen musste. Auch körperlich verlangte die Arbeit den Metzgern einiges ab. "Der ganze Verkaufsraum war damals voller Fleischkisten, das war schon schwere Arbeit", erzählt Elfriede Schrittenlocher.

Stefan Moll, der mit seiner Gattin Sabine das Geschäft am Silvestertag 1990 von den Schwiegereltern seines Bruders übernahm, weiß vor allem noch, wie kalt es in dem Stand im Winter war. "Die Messer waren morgens, wenn ich ankam, gefroren, mangels Heizung." Bei den Schrittenlochers sammelte sich das Eis gar an der gesamten Rückwand, so spartanisch war die Ausstattung. Und es gab einen Ölofen, um das Wasser zu erhitzen. Freibank-Ware verkauften die Molls bis 1994 noch, vorwiegend an Familien mit vielen Kindern, aber auch an Schwabinger Akademiker, die Fleisch von Tieren essen wollten, die ohnehin ihr Leben hätten lassen müssen. Mit dem zunehmenden Überangebot an Fleisch jedoch verlor die Freibank ihre wirtschaftliche Basis. Die Molls waren es auch, die das Gebäude am Elisabethmarkt 1998 komplett modernisierten - mit neuen Fenstern, neuer Theke, neuen Fliesen.

Bedingt tauglich, jedoch sehr begehrt

Der Begriff der Freibank wurde im Spätmittelalter geprägt. Zunft- oder ortsfremde Metzger durften damals ihre Waren auf Verkaufstischen, die man als Freibänke bezeichnete, abseits der Zunftmetzger unter Wert verkaufen. Später diente die Freibank besonders in Mangelzeiten der Verwertung möglichst aller tierischen Produkte. Schlachthöfe nutzten die Einrichtung einer Freibank zum Verkauf von Fleisch, das als "bedingt tauglich" eingestuft wurde. Die Ware stammte von Tieren, die nicht für die Schlachtung bestimmt, sondern durch Unfälle oder Notschlachtungen zu Tode gekommen waren. Freibank-Fleisch wurde sehr gründlich untersucht und hatte hervorragende Qualität, war aber zu einem reduzierten Preis zu erwerben und entsprechend begehrt. In München befand sich die Freibank am Viktualienmarkt in dem Gebäude, in dem heute das Wirtshaus "Der Pschorr" zu finden ist. eda

Doch so sehr sich die Einrichtung im Laufe der Jahre veränderte, eines blieb, ganz Familientradition, stets gleich: die Nähe zum Kunden. Wer wen geheiratet hat oder wann welcher Hund Kreuzweh bekam, die Schrittenlochers, Molls und Weils wussten und wissen es. "Anderl hat immer zu den Käuferinnen gesagt: Mädchen, was kriegst Du denn?", erzählt seine Gattin und muss heute noch schmunzeln. "Selbst zu Frauen, die zwanzig Jahre älter waren als er." Stefan Moll erinnert sich an eine Schülerin, die ihm einmal ein selbst gemaltes Bild schenkte. "Diese Kleine kam dann als erwachsene Frau und Vegetarierin wieder. Sie wollte ihrem Freund ein Stück Fleisch kaufen."

Florian Weil wiederum ist so mit seinen Kunden verwoben, dass er nach den Weihnachtsbestellungen am 24. Dezember dasitzt und genau weiß, was die meisten gerade essen. Dazu passt, dass die Wurstsemmel bei ihm nur 1,20 Euro und die Leberkässemmel 1,70 Euro kostet. Damit auch die Schüler des benachbarten Gisela-Gymnasiums und der Berufsschule sie sich leisten können.

"Schwabing", lächelt Florian Weil und erntet Zustimmung, "ist eben wie ein kleines Dorf: Die Leute kennen einen und schließen einen ins Herz." Genau deshalb mache die Arbeit so viel Spaß.

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Quelle:
SZ vom 25.07.2020/amm
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