Drei Tage nach dem tödlichen Vorfall nahe der Theresienwiese halten sich Polizei und Staatsanwaltschaft bedeckt mit weiteren Informationen, vor allem zum Hergang des Geschehens. Wie berichtet, hatte eine 30-jährige Frau am frühen Samstagabend Passanten mit einem Messer attackiert – offenbar in einer psychischen Ausnahmesituation. Als sie auch versuchte, herbeigerufene Polizisten anzugreifen, wurde sie durch Schüsse aus deren Dienstpistolen verletzt. Sie starb anschließend im Krankenhaus.
Mit Hinweis auf die laufenden Ermittlungen antworteten Polizei und Staatsanwaltschaft am Dienstag nicht auf Fragen nach Details, etwa nach der Zahl der eingesetzten Polizeibeamten und der abgegebenen Schüsse oder dem Abstand zwischen Angreiferin und Polizisten zum Zeitpunkt der Schüsse.
Kurz vor der Tat hatte die Frau in einem Supermarkt randaliert
Bekannt ist allerdings, dass die Frau kurz vor der Tat auffällig war – sie randalierte in einem Supermarkt nahe der Theresienwiese, baute sich „den Polizeibeamten gegenüber bedrohlich auf und ballte die Fäuste“. Deshalb wurde sie gefesselt und zur Inspektion 14 in der Beethovenstraße gebracht. Nach etwa einer halben Stunde hatte sie sich nach Angaben der Polizei wieder beruhigt und wurde entlassen.
Laut Polizeisprecher Thomas Schelshorn habe es dazu in dem Moment keine Alternative gegeben: „Nur wenn eine Fremd- oder Eigengefährdung vorliegt, können die Kollegen jemanden dann in eine psychiatrische Klinik bringen. Dies war nicht zu erkennen, also mussten sie sie gehen lassen.“
Schon zum dritten Mal in einem knappen Dreivierteljahr wurden in München Menschen durch Schüsse aus Polizeipistolen getötet: Im August 2024 stellten Beamte eine ebenfalls psychisch auffällige Frau in einem Supermarkt an der Implerstraße und töteten sie, als die 31-Jährige sie mit einem Messer attackiert haben soll. Im September versuchte ein 18-jähriger Österreicher einen Anschlag auf das israelische Generalkonsulat am Karolinenplatz und starb, nachdem mehrere Beamte auf ihn geschossen hatten.
Dass Münchner Polizisten ihre Waffen ziehen und auf Menschen schießen, kam bis zu diesen Vorfällen extrem selten vor. Vor den drei Vorgängen in der vergangenen Zeit datiert der letzte Fall aus dem Jahr 2010: Eine psychisch kranke Frau hatte am Telefon gedroht, ihre Tochter zu töten. Zwei Polizisten fuhren zu der Wohnung im Stadtteil Großhadern und versuchten, Kontakt zu der Frau aufzunehmen. Auch hier wurden sie mit einem Messer angegriffen und erschossen die Frau. Seitdem gab es keine Todesopfer mehr zu beklagen – in manchen Jahren gaben Polizisten das ganze Jahr keinen einzigen Schuss ab. Im Jahr 2023 schossen Münchner Polizisten insgesamt dreimal, es handelte sich jeweils um Warnschüsse. Verletzt oder getötet wurde dabei niemand.
Zeugen sprechen von einem Abstand von gerade einmal zwei Metern
Der Polizeipsychologe Andreas Müller-Cyran wies in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung nach dem Vorfall im Supermarkt im August 2024 darauf hin, dass es „bei den meisten Vorfällen mit Schusswaffengebrauch um Notwehrsituationen geht, die sich oft innerhalb von Sekunden abspielen – der Beamte sieht also sein eigenes Leben in Gefahr“. Zwar unterliegen alle Polizisten der Pflicht, regelmäßig am sogenannten Polizeilichen Einsatztraining (PE) teilzunehmen. Dabei werden auch verschiedene Bedrohungs-Szenarien nachgestellt, auf die die Beamten adäquat zu reagieren haben. Aber bei aller Realitätsnähe – eine Übung ist eine Übung, der Beamte weiß, dass er sein Gegenüber nicht wirklich totschießt.
Dazu kommt, dass ein Angriff mit einem Messer per se lebensgefährlich sein kann – wenn der Angreifer etwa die Halsschlagader seines Gegenübers verletzt, kann der Tod innerhalb kürzester Zeit eintreten. Polizei und Staatsanwaltschaft sagen zwar nichts zum Abstand zwischen Angreiferin und Polizeibeamten an der Theresienwiese – Zeugen sprachen jedoch gegenüber der Süddeutschen Zeitung von gerade mal zwei Metern, die die Frau von den Beamten entfernt war, als die Schüsse fielen. Dies erklärt vielleicht auch, warum die Beamten nicht versuchten, in die Beine der Frau zu schießen, um sie zu stoppen. Ein Zeuge sagte auch, er habe gehört, wie die Beamten die Frau mehrmals aufforderten, das Messer wegzulegen. Warnschüsse seien allerdings nicht abgegeben worden.
Der Bundesinnenminister erneut seine Forderung nach Tasern
Der Bundesinnenminister Alexander Dobrindt und sein bayerischer Amtskollege Joachim Herrmann nahmen den Vorfall zum Anlass, ihre Forderungen nach flächendeckender Einführung von Elektroschockgeräten, den sogenannten Tasern, zu bekräftigen. Dieses Gerät verschießt zwei dünne Drähte, an deren Ende jeweils eine Elektrode befestigt ist. Diese verhaken sich in Haut oder Kleidung des Getroffenen, der dann fließende Strom führt dazu, dass er bewegungsunfähig wird.
Für die Wirksamkeit des Tasers müssen allerdings bestimmte Voraussetzungen stimmen. Die wichtigste dabei: Der Abstand zwischen Schützen und Angreifer sollte etwa sieben Meter betragen. Ist er kürzer, besteht die Gefahr, dass die Elektroden zu nah beieinander landen. Dann wäre der sogenannte Strompfad zu kurz, also die Strecke, die der Strom im menschlichen Körper zurücklegt. Dadurch wäre die Wirkung stark abgeschwächt oder gar nicht vorhanden. Es gibt auch sogenannte Kontakt-Taser, die manuell auf die Haut des Angreifers aufgesetzt werden. Dazu muss dieser aber in die Reichweite des Beamten kommen, was im Fall eines Messerangriffs extrem gefährlich sein kann. Zudem machen sie den Angreifer nicht bewegungsunfähig, sondern verpassen ihm nur Schmerzen. Im Fall Theresienwiese hätte also aller Wahrscheinlichkeit nach ein Taser-Einsatz den Schusswaffengebrauch nicht verhindern können.