Politische Bildung:Stadt gibt Tipps, wie Lehrer auf politische Fragen reagieren können

Schulbeginn Baden-Württemberg

Wie gehen Lehrer mit politischen Fragen ihrer Schüler um?

(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)
  • Der Oberbürgermeister Dieter Reiter und die Bildungsreferentin Beatrix Zurek geben den Lehrkräften an den 124 städtischen Schulen anhand von Fallbeispielen Ratschläge zur politischen Bildung.
  • Die Beispiele für die Lehrer behandeln Themen wie die Einordnung von aktuellen Debatten oder auch den Umgang mit dem eigenen politischen Engagement.
  • Im Extremfall, wie beispielsweise bei der Denunziation eines Pädagogen im Internet, bietet die Stadt auch juristische Hilfe an.

Von Dominik Hutter

Was tun, wenn Schüler nachfragen, ob auch der Lehrer Hitler und die Nazis für eine Randnotiz hält? Angesichts von mehr als 1000 Jahren "erfolgreicher" deutscher Geschichte, wie es ein Bundestagsabgeordneter formulierte. Gut möglich, dass sich dann mancher Münchner Lehrer scheut, klar Position zu beziehen - weniger demokratisch gesinnte Kreise könnten derartige Aussagen nutzen, um den der Neutralität verpflichteten Staatsdiener medial an den Pranger zu stellen und Unparteilichkeit einzufordern. Oder mit der Justiz drohen.

Das Szenario mit der Randnotiz stammt aus einem Papier, das Oberbürgermeister Dieter Reiter und Bildungsreferentin Beatrix Zurek an die Lehrer der 124 städtischen Schulen verteilen ließen. Ähnlichkeiten mit realen Ereignissen sind zweifellos beabsichtigt. Es gehe darum, den Pädagogen den Rücken zu stärken, so Zurek. Wer vor einer Klasse steht, soll wissen, was er sagen darf und was nicht. Und was er unbedingt sagen sollte. Denn die bayerische Verfassung fordert explizit, die Schüler im Geiste der Demokratie und im Sinne der Völkerverständigung zu erziehen.

Weshalb die an Münchner Schulen kursierende "Handreichung für städtische Lehrkräfte zur Demokratieerziehung" anrät, eine solche Aussage eines Abgeordneten keinesfalls unwidersprochen im Raum stehen zu lassen. Es verstoße nicht gegen die Neutralitätspflicht des Lehrers, sich entschieden gegen die Behauptung zu stellen, dass zirka 50 Millionen Tote im Zweiten Weltkrieg, der Holocaust und der Vernichtungskrieg nur eine Randnotiz der deutschen Geschichte seien.

Es sei ein "wichtiges Anliegen, dass wir unsere städtischen Lehrkräfte dabei unterstützen, bei schwierigen Fragen die richtigen Antworten zu finden", betont Reiter. So könnten sie "vorbildlich für unsere Verfassung und unsere Demokratie einstehen". Rassistische und antisemitische Tendenzen oder die Relativierung des Nationalsozialismus seien in den sozialen Medien allgegenwärtig, die Achtung der demokratischen Grundwerte leider nicht selbstverständlich. Das Papier aus dem Rathaus sei ein Unterstützungsangebot, um sachgerecht reagieren zu können. Falls es hart auf hart kommt, darauf weist die Stadtspitze ausdrücklich hin, bietet die Stadt eine Rechtsschutzhilfe an. Zum Beispiel, wenn der Name eines Lehrers anprangernd oder nebst Beleidigung im Internet auftaucht.

Mit dem Papier reagiert die Stadt auf den zunehmenden Druck, dem Pädagogen vor allem aus der rechten Ecke ausgesetzt sind. Konkrete Ereignisse an den Münchner Schulen sind im Bildungsreferat bisher nicht bekannt. Klargestellt werden soll vor allem, was eigentlich der immer wieder vorgeworfene "Verstoß gegen das Neutralitätsgebot" genau ist - und welche Äußerungen nicht darunter fallen. Grundtenor der Handreichung: Ein klares Bekenntnis zur Demokratie und den Menschenrechten ist nicht nur erlaubt, sondern geradezu die Pflicht eines Pädagogen. Geht es um Parteipolitik, ist hingegen Zurückhaltung angesagt.

Dazu hat das Rathaus mehrere exemplarische Situationen plus die jeweils sinnvolle Lehrer-Reaktion zu Papier gebracht. Neben dem Randnotiz-Szenario erinnert noch ein weiteres Fallbeispiel an reale politische Debatten: eine Debatte in der Deutschklasse einer Realschule, ob notfalls - wie von einer hochrangigen Politikerin gefordert worden sei - aus ihrem Heimatland geflohene Kinder mit Waffengewalt am Übertreten der Grenze gehindert werden können. Darf die Bundespolizei wirklich auf Kinder schießen? In diesem Fall empfiehlt das Papier den Lehrern einen Hinweis auf die geltenden Polizeigesetze und eine klare Einordnung des Vorstoßes als rechtswidrig und mit den Bestimmungen des Grundgesetzes unvereinbar.

Zur Vorsicht rät die Stadt bei klaren parteipolitischen Botschaften, also etwa einem Sticker, den ein Lehrer klar sichtbar trägt und der sich klar gegen eine bestimmte Partei richtet. Ordnet dann die Schulleitung an, der Button müsse abgenommen werden, sei sie im Recht. Stichwort unzulässige politische Meinungsäußerung während des Unterrichts. Ähnlich sieht es bei Werbung für ein Volksbegehren aus. Dies sei, so warnt die Stadt, den Lehrern nicht gestattet. Völlig in Ordnung sei es hingegen, auf das Instrument der Volksabstimmung als Mittel der unmittelbaren Demokratie hinzuweisen und dessen Bedeutung zu betonen.

Eher vage geht die Handreichung mit der (eigentlich ziemlich vorlauten) Schülerfrage um, welche Partei der Lehrer denn bei der nächsten Wahl zu unterstützen gedenke. Falls der Pädagoge darauf partout eine konkrete Antwort geben wolle, solle er zumindest darauf achten, dass dieses Bekenntnis keinesfalls als Werbung verstanden werden könnte. Was nicht ganz einfach ist, da gerade jüngere Schüler noch sehr beeinflussbar seien und außerdem ein gewisses Machtgefälle besteht.

Einfacher dürfte da der Tipp umzusetzen sein, schlicht auf das Wahlgeheimnis hinzuweisen und eine Antwort höflich zu verweigern. Denn natürlich habe der Schüler keinerlei Anspruch darauf, zu erfahren, welche Partei der Lehrer bevorzugt, steht in dem Papier.

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