Eine Schule für alle, ohne Noten und Sitzenbleiben, wird es in München in absehbarer Zeit nicht geben. Diese Modellschule sollte vieles anders machen, als die meisten Einrichtungen in Bayern es bisher tun – doch das bayerische Kultusministerium hat den Antrag der Stadt auf einen Schulversuch abgelehnt. Ein Ablehnungsgrund, so heißt es in dem Schreiben des Kultusministeriums, sei die weitreichende Autonomie der Modellschule, wie das Rahmenkonzept sie vorsieht.
„Mit einer solchen Reformschule hätten wir in München vorbildhaft zeigen können, wie mehr Bildungsgerechtigkeit hergestellt werden kann“, sagt Grünen-Stadträtin Anja Berger. Würden alle Kinder bis zu ihrem Abschluss an einer Schule unterrichtet, hänge es weniger vom Geldbeutel der Eltern ab, ob sie Abitur, Mittlere Reife oder den Mittelschulabschluss schafften.
Im vergangenen Herbst hatte die Stadt den Antrag auf den Schulversuch gestellt, da wollte München es wieder einmal versuchen. Grün-Rot hatten es sich in ihren Koalitionsvertrag geschrieben: eine neue Modellschule für München. Eine Schule, vom Kindergarten bis zum Schulabschluss, ohne Noten und ohne Sitzenbleiben, das sah das Konzept vor.
In den 1970er-Jahren hatte München zwei Schulversuche beantragt – beide wurden genehmigt. Deshalb gibt es in München mit der Willy-Brandt-Gesamtschule im Norden der Stadt und der Orientierungsstufe in Neuperlach zwei Schulen, die auf ihre Art und an diesem Ort einzigartig sind. Doch dieses Mal läuft es anders.
„Wir bedauern die Absage sehr. Die Gespräche haben wir aber als sehr konstruktiv erlebt und die Tür ist noch nicht zu“, sagt Michael Kirch. Der promovierte Pädagoge lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität, unter seiner Leitung wurde am Bildungsreferat das Rahmenkonzept der Modellschule erarbeitet. „Ich hoffe, dass wir möglichst viele unserer Elemente aus dem Konzept retten und in einem anderen Rahmen umsetzen können.“
Es war von Anfang an so gedacht, dass die Modellschule nicht nur eine besondere Schule werden sollte – sie sollte auch Ideengeber sein. Einzelne Elemente des Konzepts, die gut funktionieren, sollten an anderen Schulen eingeführt werden. Diese Möglichkeit schließt das Kultusministerium in seinem Schreiben nicht aus. Man sei gerne bereit, den bislang sehr konstruktiven Diskussionsprozess weiterzuführen, um an verschiedenen Schulen realisierbare Elemente des Rahmenkonzepts umzusetzen.
Ein zentrales Element aus dem Rahmenkonzept ist die Idee, keine Noten zu geben. „Noten braucht man vor allem, um zu entscheiden: Darf ein Kind in das nächste Schuljahr vorrücken oder in welche Schule soll ein Kind nach der Grundschule gehen?“, hatte Kirch der SZ in einem Interview gesagt, kurz bevor der Antrag auf den Schulversuch gestellt worden war.
Für den Lernerfolg sei Feedback wichtig, aber es gebe gute Alternativen zu Noten, wie etwa Lernentwicklungsgespräche. „Und das Sitzenbleiben macht auch im bestehenden Schulsystem keinen Sinn, das wissen wir aus der Forschung.“ Die Modellschule sei dennoch eine leistungsfördernde Schule, sagte Kirch. „Die Aufgabe von Lehrkräften sollte es sein, die Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten, um den besten Weg für jeden einzelnen zu finden, um auf diese Weise individuellen Erfolg möglich zu machen.“
Schulversuche haben in München eine gewisse Tradition: 1970 genehmigte das Kultusministerium den Schulversuch der Gesamtschule, die Orientierungsstufe wurde 1973 gegründet. Das Besondere an der Willy-Brandt-Gesamtschule ist, dass Kinder dort länger gemeinsam lernen, dass sie ab der sechsten Klasse in den einzelnen Fächern in Kurse eingeteilt werden – A für Gymnasium, B für Realschule, C für Mittelschule –, dass aber auch später noch Wechsel möglich sind.
Etwas anders läuft es an der Orientierungsstufe: Dort haben die Kinder nach der Grundschule zwei Jahre Zeit, um herauszufinden, wo ihre Stärken liegen und welcher Weg der richtige für sie ist. Erst dann wechseln sie auf Mittelschule, Realschule oder Gymnasium.