Finanzen in München:Experten rechnen mit Zunahme der Überschuldung

Finanzen in München: Schulden bedeuten Stress, selbst wenn man in der Schuldnerberatung Hilfe hat.

Schulden bedeuten Stress, selbst wenn man in der Schuldnerberatung Hilfe hat.

(Foto: Catherina Hess)

Die Anzahl der Menschen in Zahlungsschwierigkeiten ist zuletzt gesunken - trotz oder gerade wegen der Pandemie. Doch der Trend dürfte sich im laufenden Jahr wieder umkehren. An was das liegt.

Von Sven Loerzer

Der Rückgang fällt sehr deutlich aus: Die Zahl der überschuldeten Personen in München ist im vergangenen Jahr um rund 9800 auf 98 436 gesunken. Die Quote der überschuldeten Privatpersonen ist damit um 0,85 Prozentpunkte auf 7,88 Prozent gefallen, den niedrigsten Stand seit mehr als 15 Jahren. Auf den ersten Blick mag diese Entwicklung ungewöhnlich erscheinen, da sich die Corona-Pandemie auf den Arbeitsmarkt und - wegen Kurzarbeit - auch auf das Einkommen vieler Menschen ausgewirkt hat.

Dass die Überschuldungsquote gesunken ist, dafür lieferte Philipp Ganzmüller, Geschäftsführer von Creditreform München, bei der Vorstellung des Schuldneratlas' München 2021 eine plausible Erklärung: "Die große Unsicherheit über die weitere Entwicklung der Pandemie sowie auch befürchtete oder reale Einkommenseinbußen haben viele Verbraucher bei finanziellen Ausgaben deutlich vorsichtiger werden lassen."

Außerdem hätten die Lockdowns den Konsum gebremst, es gab "schlicht weniger Möglichkeiten zum Geldausgeben". Und nicht zuletzt hätten staatliche Hilfen eine Pleitewelle und damit Arbeitsplatzverluste, eine der Hauptursachen von Überschuldung, verhindert.

München liege mit der "Fieberkurve der Überschuldung" im Bundestrend, sagte Ganzmüller, da ging die Schuldnerquote um 1,01 Prozentpunkte auf 8,86 Prozent zurück. In Bayern verringerte sie sich um 0,71 Prozentpunkte auf 6,43 Prozent, der Freistaat hat damit die niedrigste Quote aller Bundesländer.

Überschuldung sei ein städtisches Phänomen, die Quoten sind dort wegen vieler schlecht bezahlter Dienstleistungsjobs bei hohen Lebenshaltungskosten höher als auf dem Land. Am höchsten liegt die Schuldnerquote in den Stadtteilen Altstadt, Am Hart, Ramersdorf und Milbertshofen, am niedrigsten in Obermenzing, Daglfing, Solln und Thalkirchen.

Trotz der insgesamt positiven Entwicklung dürfe nicht übersehen werden, dass bei den meisten Betroffenen, rund 60 Prozent, bereits "harte Überschuldungsmerkmale" vorlägen. "Dort geht der Gerichtsvollzieher ein und aus", erklärte Ganzmüller. In diesen Fällen gestalte sich der Ausweg langwierig und schwierig.

Männer gelten bei Finanzentscheidungen als risikobereiter

Überschuldung sei nach wie vor "männlich", erklärte der Creditreform-Geschäftsführer, die Schuldnerquote bei den Münchner Männern liege mit 10,38 Prozent doppelt so hoch wie bei den Frauen. Ursache sei, dass Männer bei Finanzentscheidungen als risikobereiter gelten und als Hauptverdiener größere finanzielle Belastungen eingehen. Die Schuldnerquoten seien in allen Altersklassen rückläufig, am geringsten sei aber der Rückgang bei den Senioren. Die höheren Lebenshaltungskosten in der Stadt erhöhten gerade für Rentner und Pensionäre den finanziellen Stress.

Gerade aber die Überschuldung älterer Menschen ab 70 Jahren wertete die Münchner Sozialreferentin Dorothee Schiwy bei der Videokonferenz zum Schuldneratlas als bedenklich. "In Ballungsräumen schlagen die hohen Mieten auf die Lebenshaltungskosten durch. Für die ältere Generation ist es schwieriger, damit zurecht zu kommen."

In der Schuldnerberatung gäben aber auch die Nöte von Haushalten mit Kindern in der teuren Großstadt Anlass zur Sorge, sagte Schiwy. Der Anteil von Familien an den Ratsuchenden liege doppelt so hoch wie ihr Bevölkerungsanteil. Entgegen dem Trend sinkender Schuldnerquoten habe sich die Zahl der Ratsuchenden während der Pandemie bei den Stellen von Stadt und Verbänden nahezu verdoppelt.

Die Selbständigen bereiten den Fachleuten derzeit besondere Sorgen

Besondere Sorge bereiten Schiwy die Selbständigen und Kleingewerbetreibenden. Beim Jobcenter stieg die Zahl der Selbständigen, die Hartz-IV-Leistungen bezogen, von 1500 im März 2020 zu Beginn der Pandemie auf fast 5300 Ende 2020; Ende 2021 waren es noch 3400. Viele Soloselbständige hätten während der Corona-Pandemie sogar ihre Rückstellungen und Ersparnisse für das Alter aufgelöst, um die coronabedingten Ausfälle zu kompensieren: "Da stellt sich die Frage, ob es ihnen gelingen wird nach dem Ende der Pandemie, in den nächsten Jahren wieder eine ausreichende Altersvorsorge aufzubauen." Sonst werde die Altersarmut ansteigen.

Mit Blick auf die Energiepreise betonte Schiwy, dass die von der Bundesregierung beschlossenen Zuschüsse für Haushalte mit geringem Einkommen bei weitem nicht ausreichten. Der außergewöhnliche Anstieg der Gaspreise, der sich mit der Ukraine-Krise noch verstärken werde, überfordere diese Haushalte. Sie kritisierte, dass aber nur Wohngeldbezieher - in München gerade einmal 4100 im vergangenen Jahr - den Zuschuss in Höhe von 135 Euro für Alleinstehende und 175 Euro für Zwei-Personen-Haushalte bekommen sollen. Schiwy schloss sich der Forderung des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen nach mindestens 500 Euro pro Haushalt an.

Der Rückgang der Überschuldung sei den staatlichen Hilfen zu verdanken, sagte Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung. "Die Geldflut hat die Verbraucher vor dem Absturz durch Arbeitsplatzverlust gerettet." Aber es seien auch Unternehmen gerettet worden, die in normalen Zeiten als unrentabel gegolten hätten. Wenn die Hilfen entfielen, gingen solche Unternehmen, wie sich schon in Österreich und der Schweiz zeige, in Insolvenz.

Dazu kämen Inflation und Ukraine-Konflikt, der Einfluss auf die Energie- und Rohstoffpreise habe. Das alles, warnte Hantzsch, "wird 2022 zu einer Zunahme der Überschuldung führen". Philipp Ganzmüller rät deshalb Verbrauchern zu "Ausgabenvorsicht" und Verzicht auf "impulsive Anschaffungen".

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