Süddeutsche Zeitung

Schüsse im Englischen Garten:Mann drohte mit "täuschend echt aussehender" Plastikpistole

Der Zustand des Mannes, der bei einer Kontrolle im Englischen Garten angeschossen wurde, ist stabil. Wie oft die Polizei abfeuerte, ist noch unklar.

Von Joachim Mölter

Man kann die Einsätze an einer Hand abzählen, bei denen sich Münchner Polizisten genötigt sehen, ihre Schusswaffe nicht nur zu ziehen, sondern auch abzufeuern: Mehr als fünf in einem Jahr waren es nie in jüngerer Vergangenheit, in manchen Jahren mussten sie es überhaupt nicht. Das liegt daran, dass das Polizei-Aufgabengesetz eindeutig regelt, wann geschossen werden darf - nämlich nur in einer Notwehrsituation, "um eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben von Beamten oder Anderen abzuwehren". Der eigene Ermessensspielraum der Polizisten ist da sehr begrenzt.

Einer Bedrohung für Leib und Leben hatten sich offenbar die Beamten ausgesetzt gesehen, die am Mittwoch gegen 18 Uhr einen Mann in der Nähe des Oberföhringer Stauwehrs im Englischen Garten niederschossen haben, den sie ursprünglich nur kontrollieren wollten. Der Mann, nach ersten Erkenntnissen ein 38 Jahre alter Rumäne aus dem Obdachlosenmilieu, wurde dabei einmal im Oberkörper getroffen. Er wurde nach der Erstversorgung durch einen Notarzt in ein Krankenhaus gebracht und dort noch in der Nacht operiert; sein Zustand sei stabil, teilte die Polizei am Donnerstag mit.

Wie in solchen Fällen üblich, wenn Polizeibeamte schießen und Menschen dabei zu Schaden kommen, prüft nun das Bayerische Landeskriminalamt als unabhängige Dienststelle, ob der Schusswaffengebrauch rechtmäßig gewesen ist. Für gewöhnlich werden dabei die Schusswaffen gesichert und die Beamten befragt; alles in enger Zusammenarbeit mit der zuständigen Staatsanwaltschaft. Im aktuellen Fall ermittelt zudem die Münchner Kriminalpolizei, wie es zuvor zu der Eskalation der Kontrolle kommen konnte.

Nach ersten Angaben der Polizei sei eine Zivilstreife zum nördlich des Mittleren Rings gelegenen Stauwehr geschickt worden, weil ein Passant eine Person gemeldet hatte, die sich dort verdächtig verhalte. Der Mann soll einen verwirrten, apathischen Eindruck gemacht haben. Bei der Kontrolle habe der Mann dann einen spitzen Gegenstand in der Hand gehalten, den er trotz mehrmaliger Aufforderung der Beamten nicht weggelegt habe. Stattdessen habe er sich plötzlich hingekniet und einen "schusswaffenähnlichen Gegenstand" gezogen. Angesichts dieser Bedrohung haben die Beamten zu ihren Waffen gegriffen und mehrmals geschossen, "um die für sie bestehende akute Gefahrensituation abzuwenden", hieß es in der Pressemitteilung der Polizei weiter. Wie viele Kugeln dabei genau abgefeuert wurden, war zunächst nicht zu erfahren.

Bei dem kürzlich bundesweit in die Schlagzeilen geratenen Einsatz in Würzburg hatte ein Beamter einen Verdächtigen ins Bein geschossen und damit kampfunfähig gemacht. In Polizeikreisen wird das als beinahe lehrbuchmäßiges Vorgehen in einer außergewöhnlichen Stresssituation gelobt. Allerdings wird dabei auch darauf verwiesen, dass die Beamten in Würzburg bereits über die Gefahrenlage informiert waren, als sie am Einsatzort eintrafen. Bei dem Einsatz im Englischen Garten am Mittwoch habe aber zunächst nichts auf eine bedrohliche Lage hingedeutet. Die sei erst entstanden, als der Mann sich hinkniete, was dann vermutlich auch dazu geführt hat, dass es nicht mehr möglich war, einen gezielten Schuss ins Bein abzugeben.

Nach den ersten Ermittlungen handelte es sich bei dem spitzen und scharfen Gegenstand um ein messerähnliches Objekt, das der Verdächtige womöglich selbst gebastelt hat. Der "schusswaffenähnliche Gegenstand" habe sich als täuschend echt aussehende Pistole aus Plastik herausgestellt, die in Größe und Beschaffenheit auf den ersten Blick nicht von einer echten Waffe zu unterscheiden gewesen sei, wie ein Beamter versicherte, der am Einsatzort war. Dort war die Münchner Polizei mit etlichen Streifenwagen präsent gewesen. Auch ein Polizeihubschrauber war im Einsatz, "zur Übersicht", wie ein Sprecher erklärte. Für Unbeteiligte habe demnach keine Gefahr bestanden.

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