Süddeutsche Zeitung

Upcycling:Aus altem Gold wird neuer Schmuck

In der "Tragbar" an der Zenettistraße arbeiten vier Goldschmiedinnen ausschließlich mit recyceltem Material. Wer will, kann auch alten Schmuck vorbeibringen - und erhält kleine Kunstwerke zurück.

Von Franziska Gerlach

20 Jahre sind keine Ewigkeit. Früher war man in diesem Alter noch nicht volljährig, und wer 20 Jahre Ehe übersteht, darf lediglich die Porzellanhochzeit feiern. Wenn allerdings vier Goldschmiedinnen so lange gemeinsam eine Schmuckgalerie mit Werkstatt betreiben, wie Anne Gericke, Sarah Cossham, Pura Ferreiro und Barbara Decker es mit der "Tragbar" tun, noch dazu in München, das im Ruf steht, nicht das einfachste Pflaster für Kreative zu sein, dann wird man schon mal fragen dürfen: Wie funktioniert das? Und was ist das Besondere?

Das lässt sich natürlich nicht mit einem Satz erklären. Die Kaffeemaschine muss erst mal ausgiebig laufen, ehe der Zuhörer versteht, dass es der nachhaltige Umgang mit den kostbaren Materialien ist, der die "Tragbar" ausmacht. In der Ladenwerkstatt mit dem schönen Fliesenboden wird nicht nur Schmuck aus recyceltem Gold gefertigt. Es wird auch alter Schmuck geupcycelt, also ausgediente Dinge werden einem neuen Dasein zugeführt.

Das Edelmetall wird immer teurer, zuletzt befeuerte die Pandemie die Nachfrage nach Gold als Investitionsanlage. Die Bestände sind begrenzt und die Gewinnung schadet der Umwelt. Häufig werden giftige Chemikalien eingesetzt, Wälder müssen weichen und riesige Erdmassen bewegt werden, um an das begehrte Edelmetall zu gelangen.

Das Material alter Schmuckstücke wird wiederverwendet

Und deshalb wollen sie es an der Zenettistraße 33 anders machen. Vier Einzelunternehmerinnen teilen sich dort nicht nur die Fixkosten, sondern auch die Ladenzeiten und Aufgaben. Gericke hatte 2003 erfahren, dass die Fläche frei wird. Und dachte sich: "So ein Laden, der kommt nie wieder. Das muss ich jetzt machen." Wer das ehemalige Lebensmittelgeschäft betritt, dessen Blick bleibt am Eingang an Ohrringen hängen, die Cossham aus Glaskugeln in vielen Farben fertigt. Außerdem upcycelt sie den Schmuck der Münchner: "Ich schürfe am liebsten nach Gold und Steinen bei meinen Kunden in den Schubladen", sagt sie. Die Diamanten eines Rings, dessen Ästhetik in die Jahre gekommen war, hat sie zum Beispiel auf moderne Weise auf einen neuen Ring gesetzt. Das Gold des ursprünglichen Rings wird selbstverständlich wiederverwertet. Seinen Wert verrechnet Cossham mit ihrer Arbeit.

In den Designs von Gericke und Decker dürfen Edelsteine ihre Schönheit entfalten, auf ihre jeweils eigene Art. Ferreiro steht vor einer Vitrine und blickt auf ihre Kollektion "Früchtchen", Anhänger oder Ohrringe in Form von Litschi, Lotus oder Maiglöckchen. Außerdem beherrscht sie die antike Technik der Granulation, bei der winzige Goldkügelchen mit einem Pinsel zu einem Muster gelegt werden.

Ferreiro hat sich schon vor 15 Jahren Gedanken über die Herkunft des Edelmetalls gemacht, damals verwendete sie Silber aus fairem Handel. Dabei werde auf gerechte Löhne geachtet, ökologische Unbedenklichkeit garantiert das aber nicht. Mittlerweile arbeitet man an der Zenettistraße mit einem Münchner Händler zusammen, der sie mit recyceltem Edelmetall aus einer zertifizierten Scheideanstalt beliefert. Beim Recycling wird Gold per Elektrolyse von fremden Materialien getrennt. Dabei ist es unerheblich, ob ein altes Handy, ein Paar Kreolen oder Zahngold dieses Verfahren durchlaufen: Das Endprodukt ist Gold in gehabter Qualität. "Das ist noch besser, weil gar nicht mehr abgebaut wird", erklärt Ferreiro. Decker wiederum bezieht ihre Edelsteine über kleine Händler. Zum Beispiel über einen Brasilianer, der in Deutschland aufgewachsen ist. Weil der die Produktionsbedingungen in der Mine kenne.

Tragen von recyceltem Schmuck wird zum Trend

Letztlich ist es eine Frage des Vertrauens - für alle Beteiligten. Viele Münchner kommen in die "Tragbar", weil sie gezielt nach recyceltem Gold suchen. Dem steht die gefühlte Mehrheit derer gegenüber, die in den großen Kaufhäusern einkaufen oder im Internet, wo die Transparenz der Lieferkette schnell an ihre Grenzen stößt. Obwohl es insbesondere in kleinen Betrieben inzwischen üblich sei, mit recyceltem Gold zu arbeiten, wie sie an der Zenettistraße sagen, bestehe noch viel Luft nach oben. Doch so langsam bildet sich das Tragen von recyceltem Schmuck zu einem Trend heraus. Manchmal dauert es eben, bis sich beim Konsumenten ein Umdenken vollzogen hat, das war bei grüner Mode und Bio-Lebensmitteln nicht anders. Dabei liegt es im Wesen des Goldschmieds, sparsam mit den kostbaren Materialien umzugehen. Es wurde schon immer jeder Span gesammelt.

Decker sitzt am Werktisch und sägt an einem Ring. Schon mit 14 belegte sie ihren ersten Kurs im Goldschmieden. "Ich liebe an dem Material, dass immer wieder Neues entstehen kann", sagt sie. Und während Gericke an ihrem Beruf "die Interaktion mit den Menschen" schätzt, stellt das Goldschmieden für Cossham "die effektivste Meditation der Welt" dar und für Ferreiro "einen Kanal, in dem sich die Fantasie entfalten kann".

Vier Goldschmiedinnen, für die die "Tragbar" als Basis auch deshalb so gut funktioniert, weil sie sich ihre Freiheit lassen: Ferreiro hat zwischendrin Kunstgeschichte studiert, Gericke arbeitet zudem für das städtische Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft. Cossham hat unter dem Namen "Others and me" gerade einen Schmuckpodcast gestartet. Darin will sie Schmuckkünstler vorstellen. Die erste Folge aber ist der "Tragbar" gewidmet. Eh klar.

"Tragbar im Gespräch" am 12. März um 10.30 Uhr am "Schmuck-Infopoint" im Neuen Rathaus am Marienplatz 8 (Begleitprogramm der Internationalen Handwerksmesse).

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