München:Schleppend zum Zug

Zustand S-Bahnhof Johanneskirchen

Viele Fahrgäste und viel Gepäck: Nur mit Kraftaufwand ist der S-Bahnhof in Johanneskirchen erreichbar. Rollstuhlfahrer können ihn gar nicht nutzen.

(Foto: Florian Peljak)

Die Bogenhauser S-Bahnhöfe Johanneskirchen und Daglfing der Flughafen-Linie sind bis heute nur zu Fuß über Treppen erreichbar. Die Bahn lehnt Aufzüge wegen der Gleisausbaupläne ab. Das aber könnte noch Jahre dauern

Von Ulrike Steinbacher

Jeder Stadtbezirk pflegt bei der alljährlichen Bürgerversammlung seine eigenen Rituale. Das sind Abläufe, die zwar in keinem Regelwerk festgehalten sind, die sich aber dennoch Jahr für Jahr streng wiederholen. In Bogenhausen sind das drei Dinge: Zuerst zählt die Bezirksausschuss-Vorsitzende Angelika Pilz-Strasser (Grüne) eine lange Litanei von Neubaugebieten auf. Dann erklärt Polizeidirektorin Andrea Ortmayr, dass München die sicherste Großstadt Deutschlands sei und Bogenhausen der sicherste Stadtbezirk Münchens. Und dann geht ein Bürger oder eine Bürgerin ans Mikrofon, schildert in drastischen Worten, wie schwierig es ist, mit Koffern oder auf Krücken in Johanneskirchen oder Daglfing die S-Bahn zu erreichen und beantragt nahezu flehentlich barrierefreie Zugänge. Die Bahnsteige der Bogenhauser Bahnhöfe sind nur über Treppen zugänglich, obwohl sie an der S-8-Strecke zum Flughafen liegen und viele Fahrgäste mit viel Gepäck einsteigen.

Jahr für Jahr wird daher ein Antrag auf Barrierefreiheit gestellt - 2018 war mal wieder die Station Johanneskirchen an der Reihe -, und Jahr für Jahr gibt es dafür überwältigende Zustimmung. Die Bahnhöfe allerdings haben bis heute weder Rolltreppe noch Aufzug, und das wird bis auf Weiteres auch so bleiben. Denn die Bahn, konkret die DB Station & Service AG, hält einen barrierefreien Ausbau für "wirtschaftlich nicht sinnvoll". Mit dieser Standard-Auskunft wollen sich die Bogenhauser Lokalpolitiker jetzt aber nicht mehr abspeisen lassen. Einstimmig empfahl der Bezirksausschuss (BA) in seiner jüngsten Sitzung der Bürgerin, die den Antrag zu Johanneskirchen gestellt hatte, sich rechtlich beraten zu lassen. Der Unterausschuss Verkehr hatte noch deutlich weitergehen und ihr gleich eine Klage auf Basis der Inklusionsrechte nahelegen wollen.

Um zu verstehen, warum die Bahn Aufzüge ablehnt und der BA sie unbedingt haben will, muss man zwei Dinge wissen: Erstens soll die Bahnstrecke zwischen Daglfing und Johanneskirchen, auf der die Flughafenlinie und die Güterzüge zum Rangierbahnhof verkehren, viergleisig ausgebaut werden. Freistaat und Bahn wollen Güter- und Personenverkehr entflechten, damit der Fahrplan einen 15-Minuten-Takt und Express-S-Bahnen zum Flughafen hergibt. Außerdem will die Stadt diese vier Gleise in einen Tunnel verlegen lassen, damit sie oben der Verkehrsanbindung des geplanten Großwohnquartiers im Nordosten nicht im Weg sind. Die DB Station & Service AG argumentiert also sinngemäß, dass das Geld für Aufzüge und Rolltreppen an den alten Bahnhöfen zum Fenster hinausgeworfen wäre, wenn ohnehin alles abgerissen und neu gebaut werden soll.

Zweitens allerdings ist das Ausbauprojekt noch im Planungsstadium und kommt schon seit zehn Jahren kaum voran. Momentan ist von einer Fertigstellung im Jahr 2037 die Rede. Das wären dann noch 18 Jahre ohne Aufzüge und Rolltreppen. Daher hält der Bezirksausschuss die Situation inzwischen für "untragbar", wie Martin Tscheu (SPD) sagte. Und: "Die stereotypen Antworten der Bahn hängen uns und den Bürgern zum Halse raus." Im Unterausschuss Verkehr hatte der Behindertenbeauftragte Berndt Hirsch (FDP) vorgeschlagen, die Bürgerin solle einen Verein gründen und im Rahmen bestehender Inklusionsrechte gegen die Bahn klagen. So weit wollte Ulrich Tetzner (CSU) nicht gehen, der die Sitzung des Gremiums in Abwesenheit der Vorsitzenden Pilz-Strasser und ihres Stellvertreters Robert Brannekämper (CSU) leitete. Jurist Tetzner befand, der BA könne "nicht in die Rechtsberatung einsteigen und eine Klage empfehlen". Daher wurde der Beschluss entschärft und die Bürgerin auf eine Rechtsberatung verwiesen.

Einstimmig billigten die Lokalpolitiker jedoch einen kritischen Brief an die DB Station & Service AG. "Sowohl der viergleisige Ausbau der Strecke als auch die Tieferlegung der Trasse werden voraussichtlich noch mehr als zehn Jahre auf sich warten lassen", resümiert der BA darin. Bis dahin werde ein Aufzug ohnehin erneuerungsbedürftig sein. Daher könne man den Einbau nicht einfach als "wirtschaftlich nicht sinnvoll" abtun, von "verlorenen Kosten" könne keine Rede sein. "Vielmehr wäre der Umbau der Rubrik ,kundenfreundlich' zuzuordnen", urteilen die Bogenhauser Stadtbezirksvertreter.

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