Der Ärger über die Bahn ist so groß, dass auch gute Ideen gerne untergehen. Aus dem SEV lässt sich was machen. Das Kürzel steht nicht nur für Schienenersatzverkehr inklusive Chaos. In dem seit Samstag geltenden SEV auf der Werdenfelsbahn zwischen dem Münchner Hauptbahnhof und Starnberg steht S für Sport, E für Ertüchtigung (jeweils für Körper und Geist) und V für Verbindung (zwischen Menschen). Zu danken ist das einer seit Monaten geplanten, zweiwöchigen Baustelle.
Gewöhnlich braucht der Zug von Murnau nach München knapp eine Stunde. Das ist zügig, aber auch ungesund, sitzt man doch bewegungslos da. Deshalb nutzt die Bahn den SEV, um ihre Passagiere zu ertüchtigen. Dafür gönnt sie ihnen die nötige Zeit: Aus der knappen Stunde Fahrtzeit regulär werden gut zwei Stunden.
Auf nach München! In Starnberg läuft der Passagierpulk aus der Bahnunterführung mangels Wegweisers nach rechts. Da stehen viele Busse, da muss es weitergehen. Falsch! Der SEV startet linker Hand. Also alles kehrt, mitten auf der Straße. Das Hin und Her hilft Herz und Kreislauf, auch der Frau mit Rollator tut Tempo gut. Dass am Samstagmittag nur zwei Busse für einen ganzen Zug fahren und viele Passagiere zurückbleiben, ist sicherlich DB-durchdacht. Stehen in frischer Luft ist eine Wohltat. Und die ältere Frau? Im Rollator eingebaut hat sie ja ihren Privatsitz dabei.
Auch eine sechsköpfige Familie auf dem Rückweg aus dem Urlaub wird nicht mehr mitgenommen. Das macht ihre bestimmt eintönige Rückreise ins Sauerland aufregend und abwechslungsreich. Wann kommt der nächste Bus? Kriegen wir den Anschluss in München? Mami sucht nach Alternativen: Ankunft nachts gegen drei? Im nächsten Urlaub ein Mietauto? Die Familie organisiert ein Großraumtaxi, Kostenvoranschlag bis zum Hauptbahnhof: um die 80 Euro.
Wer eine halbe Stunde auf den nächsten Bus wartet, ist in München froh über seine Fitness. Der Bus hält, wegen der Baustellen am Bahnhof, in der Elisenstraße, beim Aussteigen landet man auf einem Radweg. Alle sind jetzt so flexibel, dass sie fix vor jedem Radler zur Seite springen können. Noch fixer muss man sein, wenn das Gepäck auf der Fahrerseite im Kofferraum verstaut ist: Beim Ausladen gilt es, den Autos auszuweichen.
Mit dem SEV-Stopp in der Elisenstraße hat die Bahn auch die geistige Ertüchtigung ihrer Fahrgäste bedacht. Wie weiter zum Hauptbahnhof? Wegweiser wären was für Hirnfaule. Wer sich durchschlägt, via Lämmer-, Hirten- und Pfefferstraße, lernt über Münchens Innenstadt, dass sich Fußgänger den Gehweg schon mal mit wartenden Taxis teilen müssen.
Ein Schweizer Paar, gerade in der Elisenstraße ausgestiegen, plant schon die Rückfahrt. Wo geht’s los nach Starnberg? Schräg gegenüber, am Luisengymnasium. Mit Fernglas könnten sie vielleicht das violette SEV-Logo dort erahnen. Das Paar dankt und lacht freundlich, die Bahn, man versteht sich. SEV fördert Völkerverbindung.
So richtig gefordert wird, wer weiter gen Alpen will
Wer am Hauptbahnhof ankommt und weiter gen Alpen will, wird richtig gefordert. „Zug fällt aus“, steht auf den Anzeigetafeln. Ein Wegweiser am Starnberger Flügelbahnhof, wo die Werdenfelsbahn startet, zum SEV-Halt? Ach, es gibt doch für smarte Kunden den DB-Navigator. Da erfährt man vom SEV und: „Bushalt ist nicht am Bahnhof.“ Klingt geheimnisvoll. Wie weiter? Vielleicht einfach an Gleis 26 entlang zum Querbahnsteig, von dort erkennt man an der Arnulfstraße ein großes SEV-Logo. Klein darunter hängt ein Lageplan samt zweisprachiger Info: „Richtung/Direction Pasing“. Die DB denkt auch an internationale Fahrgäste, und die wissen bestimmt, dass „Pasing“ nichts zum Essen ist. Bloß, wo liegt dieses Pasing? Und dass der Bus nach Starnberg gar nicht über Pasing fährt? Egal. Der Fußmarsch in „Direction Pasing“ zur Elisenstraße führt über zwei Zebrastreifen, vier Tramgleise und zwei Ampelkreuzungen.
Die SZ hat der DB Fragen zu ihrem Fitnessprogramm gestellt. Die Detailantworten haben Verspätung, ein halber Tag reiche nicht aus. Aber das lässt sie schon mal wissen: Man greife auf Erfahrungen aus früheren Sperrungen zurück, ein SEV müsse sich „oftmals erst einspielen“, man steuere aber nach.
Wem der Sport noch nicht reicht, sollte sich in einen vollen Bus drängen. Das ermöglicht einen Stehplatz und verlängert die Fahrt: Mit stehenden Passagieren darf ein Bus maximal Tempo 60 fahren, auch auf der Autobahn. Sitzen dagegen alle, und gibt es keinen Stau, verdirbt das dem fitnesssüchtigen Fahrgast die Freude: Dann braucht der Bus nach Starnberg nicht die versprochenen 70 Minuten. Man kommt eine halbe Stunde zu früh an.