SZ-Adventskalender:"Immer wenn jemand klingelt, ist die Angst wieder da"

SZ-Adventskalender: Viel Zuwendung braucht die vierjährige Elli. Noch immer hat sie furchtbare Ängste und schläft deswegen nachts neben der Mutter.

Viel Zuwendung braucht die vierjährige Elli. Noch immer hat sie furchtbare Ängste und schläft deswegen nachts neben der Mutter.

(Foto: Robert Haas)

Ellis Vater hat die Familie terrorisiert und die komplette Einrichtung demoliert - und jetzt ist sogar noch der Herd kaputt gegangen.

Von Sven Loerzer

Wenn die kleine Elli am Küchentisch sitzt und malt, dann scheint die Welt für sie in Ordnung zu sein. Doch wenn sie allein ins Wohnzimmer gehen soll, sagt die Vierjährige: "Ich habe Angst." Ellis Vater, erzählt die Mutter, "hat uns ganz schlimm terrorisiert." Als sie ihn nach dem Tod des Vaters ihrer beiden älteren Kinder kennengelernt hat, stand dahinter auch der Wunsch, "dass mein Sohn einen Papa hat, wenn er in die Pubertät kommt. Aber das ist nach hinten losgegangen, lieber gar keinen Vater als so einen."

Am Anfang sei fast alles in Ordnung gewesen, doch nach Ellis Geburt wurde es schlimm. "Er wurde mir gegenüber handgreiflich. Meine Kinder hat er runtergemacht." Weihnachten vor drei Jahren habe ihn "die Aggression gepackt, er hat alles in der Wohnung kaputt gemacht". Er hat die Zimmertüren zerstört, "in die Badezimmertür reingehauen, dass das Blut rumspritzte". Er warf Gläser auf den Boden, demütigte die Kinder. "Ich konnte nicht glauben, dass ein Mensch so abgrundtief böse sein kann." Sie ging zur Polizei, erstattet dann aber doch keine Anzeige, weil sie Angst davor hatte, dass alles noch schlimmer wird. "Ich hatte keine Kraft mehr."

Aber sie nahm die allerletzten Kräfte zusammen, ging ins Sozialbürgerhaus zu einer Bezirkssozialarbeiterin, die sie schon von früher kannte: "Ihr habe ich alles erzählt. Sie hat uns wirklich gut geholfen." Die Behörden, Jobcenter und Kreisverwaltungsreferat arbeiteten zusammen, dem Mann blieb daraufhin keine andere Wahl, als das Land zu verlassen, um es nicht zur Abschiebung kommen zu lassen. Seitdem sind zwei Jahre vergangen. "Immer wenn jemand klingelt, ist die Angst da, ob er nicht doch wieder zurückgekommen ist." Allmählich fasst die Familie wieder Fuß. "Wir haben uns Stück für Stück über Ebay günstig neue Türen besorgt und per Tram mit dem Kinderwagen abgeholt."

Der Sohn macht noch immer eine Verhaltenstherapie, um alles aufzuarbeiten und wieder Selbstvertrauen zu gewinnen. Er wünscht sich sehnlichst eine elektrische Gitarre. Auf einer gebrauchten akustischen Gitarre hat er sich selbst das Spiel beigebracht. "Er ist musikalisch sehr begabt und schreibt eigene Stücke." Aber Instrumentalunterricht kann die Mutter nicht bezahlen, denn durch den Ex-Partner hat sie auch ihre Stelle als Sachbearbeiterin in der Buchhaltung verloren. Der Versuch eines Wiedereinstiegs über einen Ein-Euro-Job scheiterte, weil ihre Tochter den Kindergartenplatz verlor - alles deutet auf ADHS hin. "Sie ist ein Treibauf, ich muss mich ihr viel widmen. Wenn sie keine Zuwendung hat, dreht sie richtig auf." Ihre beiden älteren Kinder würden gerne Freunde zu sich einladen, aber dazu müsste die Wohnung hergerichtet werden. Doch die Familie braucht erst einmal einen neuen Herd, denn jetzt sind auch die letzten beiden Platten defekt.

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