Schäftlarn bei München:Was bislang zu dem S-Bahn-Unglück bekannt ist

Wie ist die Lage vor Ort? Was weiß man bisher über die Unfallursache? Laut Innenminister Herrmann gebe es keine Hinweise auf ein technisches Versagen. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Markus Balser, Claudia Koestler, Joachim Mölter und Lisa Sonnabend

Was ist passiert?

Am Montagnachmittag gegen 16:35 Uhr kam es in Schäftlarn bei München zu einem schweren S-Bahn-Unfall. Zwei Bahnen prallten auf der eingleisigen Strecke frontal zusammen. Der Knall war weithin zu hören, ein Zug entgleiste.

Wie viele Opfer gibt es?

Ein 24 Jahre alter Passagier kam bei dem Unglück ums Leben. Teile des Führerstandes wurden nach dem Aufprall durch den Waggon geschleudert und klemmten den Mann ein, teilte die Feuerwehr der Süddeutschen Zeitung mit. Er sei durch Quetschungen gestorben. Der 24-Jährige kommt aus Afghanistan und lebte im Landkreis Wolfratshausen. Er saß in der stadteinwärts fahrenden S-Bahn, so die Polizei.

Am Montag wurden 18 Menschen ins Krankenhaus gebracht. Einige sind schwer verletzt, darunter auch die beiden Lokführer, so die Polizei. Zunächst war von fünf Schwerverletzten die Rede, inzwischen sind es sechs. Sie schweben nicht in Lebensgefahr. Zudem mussten 25 Personen ambulant versorgt werden. Insgesamt hatten sich 95 Menschen in den Zügen befunden.

Was ist die Ursache für das Unglück?

Eine S-Bahn war Richtung München, die andere Richtung Wolfratshausen unterwegs. Die stadtauswärts fahrende S-Bahn fuhr dabei mit Verspätung aus dem Bahnhof Hohenschäftlarn los, gab die Bundespolizei bekannt. Unklar ist, warum die beiden Züge gleichzeitig auf dem Gleis unterwegs waren. Die Staatsanwaltschaft München hat dazu nach Angaben einer Bahnsprecherin Ermittlungen aufgenommen.

Laut dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) prüfen die Ermittler derzeit, was die Ursache für den Zusammenstoß war. Es gebe derzeit keine Hinweise auf ein technisches Versagen, sagte Herrmann. Die Ermittlungen konzentrierten sich deshalb auf die Frage, ob menschliches Versagen vorliege - ob etwa einer der Triebwagenführer einen Fehler gemacht habe. Es müsse auch hinterfragt werden, ob die installierte Technik reiche.

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung war die Strecke im fraglichen Abschnitt mit einem elektronischen Sicherungssystem im Rahmen der Punktförmigen Zugbeeinflussung (PZB) ausgestattet. Dabei ermöglicht es die Technik, den Zugverkehr zu überwachen und Züge auch automatisch zu bremsen. In Ermittlungskreisen verlautete am Dienstagvormittag, das System habe in der Unfallsituation angeschlagen und mindestens einen Zug gebremst. Bei dem System überwachen Sensoren die Strecke. Fährt ein Zug in einem Bereich ein, der nicht freigegeben ist - etwa über ein rotes Signal wird die Technik automatisch aktiv. Dies sei auf der eingleisigen S-Bahn-Strecke passiert, heißt es in den Kreisen weiter. Wie es dennoch zu der Kollision kommen konnte, ist bislang offen.

Nach Angaben der Bahn funktioniert das System wie eine Baustellenampel im Straßenverkehr: Ein eingleisiger Streckenabschnitt darf laut Bahn abwechselnd nur in jeweils einer Richtung befahren werden. Entgegenkommende Züge müssen zunächst in einem mehrgleisigen Abschnitt - zum Beispiel in einem Bahnhof - warten, bis die Passage frei ist. Dann bekommen sie vom Fahrdienstleiter das Fahrsignal.

Die Bahn war in den vergangenen Jahren immer wieder dafür kritisiert worden, dass vor allem Nebenstrecken nicht mit der neuesten Sicherungstechnik ausgestattet worden waren. Nach dem Unfall war auch die Frage nach technischen Schwachstellen auf der Strecke aufgeworfen worden.

Wo passierte das Unglück?

Die beiden Züge stießen im Bereich des Bahnhofes Ebenhausen-Schäftlarn zusammen, deshalb fuhren sie mit reduzierter Geschwindigkeit. Sonst hätte es womöglich noch mehr Tote und Verletzte gegeben. Die Schienen verlaufen an der Unfallstelle eingleisig. Ebenhausen ist ein Ort südlich von München, der Bahnhof liegt an der Strecke S 7 nach Wolfratshausen.

Wie ist die Lage vor Ort?

Am Morgen nach dem Unglück ist die S-Bahnstrecke zwischen Höllriegelskreuth und Wolfratshausen noch immer gesperrt, es wurde ein Schienenersatzverkehr mit Bussen eingerichtet. Eine Prognose, wann die Strecke wieder freigegeben werden kann, ist laut Deutscher Bahn derzeit noch nicht möglich. An diesem Dienstag voraussichtlich noch nicht.

Bis spät in die Nacht bereiteten die Einsatzkräfte die Bergung vor und sicherten die Züge mit Kränen. Ein Gutachter der Bahnsicherheitsstelle sei vor Ort, sagt Wolfgang Hauner, Pressesprecher der Bundespolizei der Süddeutschen Zeitung. Die Fahrtenschreiber beider Triebwagen sind inzwischen sichergestellt worden, teilte ein Polizeisprecher mit. Ob diese jedoch ausgelesen werden können oder zerstört sind, sei noch unklar, so die Bundespolizei.

Erst wenn die Beweissicherung abgeschlossen ist, kann auf der Strecke mit den Bergungs- und Reparaturarbeiten begonnen werden. Ein großer Kran ist angefordert. Die Bundesstraße 11, die neben den Gleisen verläuft, ist noch immer gesperrt. Der Verkehr wird umgeleitet.

Wie lief der Rettungseinsatz?

Am Abend des Unglücks waren etwa 680 Helfer von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdiensten und Technischem Hilfswerk im Einsatz. Die Unfallstelle liegt erhöht auf einem Bahndamm, was die Arbeiten erschwerte. Die Einsatzkräfte mussten einen eingeklemmten Mann befreien und einigen Personen aus den Zügen helfen. Einige Passagiere konnten selbst aus den Waggons steigen. Fahrgäste und Angehörige wurden in der Nähe des Unfallortes betreut.

Wie geht es weiter?

Die Bundespolizei und die Münchner Verkehrspolizei nahmen am Abend gemeinsam die Ermittlungen auf. Die Staatsanwaltschaft München ordnete vor Ort erste Gutachten an. Bis es Erkenntnisse gibt, werde es wohl noch dauern, teilte ein Polizeisprecher der Süddeutschen Zeitung mit. Am Dienstag sei voraussichtlich noch nicht mit weiteren Informationen zur Unfallursache zu rechnen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat unterdessen eine zügige Aufarbeitung gefordert: "Alles muss jetzt rasch und umfassend aufgeklärt werden", sagte er. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter teilte mit: "Natürlich muss jetzt sehr genau nach den Ursachen für diesen tragischen Zusammenstoß geforscht und alles dafür getan werden, um ähnliche Unfälle in Zukunft möglichst zu verhindern. Auch ein zweigleisiger Ausbau dieser, aber auch aller anderen Strecken im S-Bahnnetz, muss dringend geprüft werden."

Gab es schon einmal ein ähnliches Unglück?

Vor wenigen Tagen jährte sich das Zugunglück von Bad Aibling zum sechsten Mal. Es kamen zwölf Menschen ums Leben, 89 wurden verletzt, als zwei Meridian-Züge frontal zusammenstießen. Es war eines der schwersten Zugunglücke in der Geschichte Bayerns. Die Strecke war damals wie beim S-Bahnunglück am Montag eingleisig. Der Grund war menschliches Versagen: Ein Fahrdienstleiter war abgelenkt, weil er mit dem Handy spielte, und setzte daraufhin falsche Signale.

Im vergangenen August war es auf der Strecke der S 7 schon einmal zu einem gefährlichen Zwischenfall gekommen. Damals fuhren zwei S-Bahnen bei Icking, nur wenige Kilometer von Schäftlarn entfernt, auf der eingleisigen Strecke aufeinander zu. Die Lokführer bemerkten dies und konnten, da die Züge langsam fuhren, gerade noch rechtzeitig bremsen.

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