Winterspiele in Japan:"Wir wurden schon etwas durchgehetzt"

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Hans Taubenberger gehörte 1972 zu einer Gruppe von Schülern, die am Austauschprogramm mit Sapporo teilgenommen hat, der Ausrichterstadt der Winterspiele. (Foto: Florian Peljak)

Mit einer Gruppe von Münchner Schülern durfte Hans Taubenberger 1972 zu den Winterspielen nach Sapporo reisen. Erinnerungen an ein Abenteuer mit ungewöhnlichem Essen und engem Terminplan.

Von Yannik Schuster

Hans Taubenberger sitzt in seinem Büro im Münchner Vorort Grasbrunn, hinter sich eine Schaufensterpuppe mit der Startnummer des österreichischen Ski-Helden Toni Sailer von den Olympischen Winterspielen 1956 in Cortina d'Ampezzo, vor sich eine Tasche voller Erinnerungen an die Winterspiele 1972 in Sapporo, die ersten, die in Asien ausgetragen wurden. Hans Taubenberger war damals dabei, vor einem halben Jahrhundert - als 16 Jahre alter Austauschschüler aus München.

Und der Wintersport hat ihn seitdem nie mehr ganz losgelassen. Jahre später gründete er eine nach dem dreimaligen Olympiasieger Toni Sailer benannte Skimodemarke; die Geschäfte führt der 66-Jährige bis heute. Im Grasbrunner Ortsteil Möschenfeld hat das Unternehmen seine Ausstellungsräume, dort hat Taubenberger Fotos, Broschüren und Souvenirs von Sapporo ausgepackt. Seine Mutter hat alles aufgehoben.

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Taubenberger besuchte damals die Fridtjof-Nansen-Realschule in Steinhausen und wurde für die vierwöchige Reise freigestellt. Als einer von fünf Münchner Schülern durfte er im Rahmen der sich anbahnenden Städtepartnerschaft zwischen München und Sapporo bei den Olympischen Winterspielen in Japan dabei sein.

Warum gerade er ausgewählt wurde, weiß Taubenberger bis heute nicht. Er war zwar überaus sportinteressiert und sprach gut Englisch, eine tiefere Verbindung zu Japan oder dessen Kultur existierte aber nicht. Die einzige Verbundenheit zum Gastland sei sein Judo-Training gewesen, sagt Taubenberger. In zwei Vorbereitungstreffen wurde die Reisegruppe, begleitet von ihrem Lehrer, auf japanische Lebensgewohnheiten vorbereitet. Dazu gehörte auch das Essen mit Stäbchen. "Anfangs konnte ich es nicht. Aber ich hatte ja Hunger, also musste ich es lernen", erzählt Taubenberger.

"Roher Fisch war für uns damals komplett neu"

"Ich war gespannt, etwas Neues zu erleben. Wenn man aber vier Wochen weit weg ist in einem fremden Land, dann ist man schon ein bisschen nervös", erinnert er sich. Zumal es die erste Flugreise des Münchners war. Als die Schüler in Japan aus dem Flugzeug stiegen, da habe seine Gastfamilie sie im Fernsehen gesehen und sei schockiert gewesen, wie hoch gewachsen die Jugendlichen waren. Vor lauter Schreck seien sie loszogen, um neue Betten für ihre zwei Austauschschüler zu kaufen, denn in die kürzere, japanische Variante hätten sie nicht reingepasst.

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Die Ärztefamilie mit zwei Töchtern und einem Sohn habe sie sehr nett aufgenommen, sagt Taubenberger. Das Leben dort habe sich gar nicht so sehr von seinen westlichen Erfahrungen unterschieden: gemeinsames Essen, ohne Schuhe im Haus und ein eigenes Zimmer für die beiden Gäste. Die größte Umstellung sei die japanische Küche gewesen. "Roher Fisch war für uns damals komplett neu."

Die meiste Zeit über war Taubenberger jedoch mit der Reisegruppe unterwegs. Fernseh- und Zeitungsinterviews, Sponsorenveranstaltungen, Sightseeing und die Olympischen Spiele selbst nahmen viel Zeit in Anspruch: "Wir sind von Termin zu Termin durchgeschleust worden." Neben der Eröffnungsfeier der Spiele waren die Austauschschüler beim Skispringen, Eiskunstlauf und Bobfahren, immer mit super Tribünenplätzen, erinnert sich der Sohn eines Skispringers.

Am stärksten sind ihm die zwei Tage Aufenthalt in Tokio in Erinnerung geblieben. Die schiere Größe der Stadt und die Masse an Menschen sei schon beeindruckend gewesen. Mit den Menschen in Japan habe er ausschließlich positive Erfahrungen gemacht, sagt Taubenberger. "Es ist eine sehr rücksichtsvolle Kultur." Schon damals seien Masken und Abstand alltäglich und Händeschütteln unüblich gewesen.

Wenn keine Termine anstanden, dann nahm ihn seine Gastfamilie mit. Mal in die Schule, inklusive Schuluniform, einen Tag waren sie Skifahren. Für einen Ausflug in die Tempelstadt Kyoto sei man von Tokio aus mit einem Schnellzug mit mehr als 200 Stundenkilometern unterwegs gewesen, was Taubenberger damals ähnlich beeindruckend fand wie das Ausflugsziel an sich.

Die Stadt München versucht, die Partnerschaft mit Sapporo im Jubiläumsjahr wieder ein wenig zu beleben, pandemiebedingt waren die vergangenen beiden Jahre kaum gemeinsame Aktionen möglich. Taubenbergers Kontakt zur Gastfamilie ist hingegen abgerissen. "In eine der beiden Schwestern dort hatte ich mich verliebt. Im Sommer, beim Gegenbesuch in München, kam aber leider die andere", scherzt Taubenberger. Zunächst habe man sich noch Briefe geschrieben, doch über die Jahre ließ auch das nach. Er habe später noch mehrmals recherchiert, ohne Erfolg.

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Auch zu seinen Mitreisenden hat er keinen Kontakt mehr. Nach der Schule absolvierte Taubenberger eine Ausbildung und arbeitete in kaufmännischen Berufen, ehe er durch einen Freund in die Textilbranche geriet. 2004 gründete er schließlich das Modeunternehmen Toni Sailer.

Hans Taubenberger blickt überaus positiv auf die Reise zurück: "Japan ist ein sehr interessantes und schönes Land mit einer super Kultur." Diese setze stärker auf Traditionen und gegenseitigen Respekt als die deutsche. Die Erfahrung, sich anderen Kulturen gegenüber zu öffnen, habe ihn zudem nachhaltig geprägt. Er sagt aber auch: "Wir wurden schon etwas durchgehetzt. Heute würde ich die Reise anders machen."

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