Süddeutsche Zeitung

Typisch deutsch:Hilfe, die Sandalen kommen

In Syrien werden Riemchenschuhe universell getragen - in Deutschland sind sie nur zu bestimmten Anlässen erwünscht. Über die verschiedenen Tragevarianten der Münchner - und warum unser Autor zwischen den Stilen steht.

Kolumne von Mohamad Alkhalaf, München

Letztes Jahr um diese Zeit habe ich in einem Wellness-Hotel in Garmisch entspannt. Ich fühlte mich ein bisschen leichter und vor allem frei. Das wollte ich auch mit meinen Schuhen zum Ausdruck bringen. Ich schlüpfte in mein liebstes Paar Sandalen von Jil Sander und flanierte in das Restaurant zum Dinner. Da musterte mich bereits am Eingangsbereich ein Mitarbeiter und wies mich freundlich, aber sehr bestimmt, darauf hin, dass offene Schuhe im Lokal untragbar seien.

Es wirft die Frage auf, warum am Tisch nebenan Frauen mit offenen Schuhen sitzen - und Männer sich dafür tadeln lassen müssen. Wo bleibt da die Gleichberechtigung der Geschlechter?

Ja, ich würde gerne in Sandalen, weiten Hosen und einem Leinenhemd zur Arbeit gehen, warum nicht? Ein Zeichen setzen, wie weit man mit Männersandale kommen kann. Aber in weiten Kreisen ist die Sandale verschrieen, gefürchtet gar. Hilfe, die Sandalen kommen!

In Syrien verlieh mir das Tragen von Sandalen ein Gefühl von Freiheit. Doch das Gefühl war mir einst geraubt worden: Als ich wegen eines kritischen Artikels über den Bürgermeister der Stadt Raqqa ins Gefängnis kam, konnte ich die Schuhe nicht tragen. Von den Schlägen der Wärter waren meine Füße zu stark geschwollen.

Die Zeit vergeht, eines bleibt: Über meine Sandalen lasse ich nichts kommen. Problem: Wenn ich sie hier in Bayern auf der Arbeit im Besprechungsraum trage, dann kassiere ich eigenartige Blicke. Drücken sie Bewunderung aus? Ich befürchte, dass es sich eher um Verwunderung handelt.

Warum darf man als Münchner nackt an der Isar fläzen, aber in der Arbeit oder im Restaurant keine Zehen zeigen? Vielleicht liegt genau hier der Kern der Debatte. Manche Menschen in diesem Land tragen Sandalen - verhüllen aber gleichwohl ihre Zehen. Es handelt sich um die Kombination aus Socke und Sandale. So wird ein Schuh draus.

Nur so viel: In Syrien würde man sehr sehr sehr lange suchen müssen, um diese Kombination zu finden. Sie ergibt allen wissenschaftlichen Erkenntnissen meinerseits relativ wenig Sinn - die zentrale Schwierigkeit aber ist eine andere: Socke und Sandale sind schlicht ein stilistisches Schwerverbrechen - wie Nitro und Glycerin, es kann nur böse enden.

Mann muss bei aller Gleichberechtigung einräumen: Die Delikte mit den Tretern werden zu 99 Prozent von männlichen Vertretern begangen. Manche treiben es auf die Spitze und kombinieren Adiletten mit Ringelsöckchen. Als wollten sie einen bewusst provozieren. Warum nicht gleich Trachtenstrümpfe zu Riemchensandalen? Eines muss man den Bewohnern dieses Landes lassen. Sie sind nicht sonderlich modebewusst, geschweige denn stilsicher. Aber eben genau deswegen sind sie besonders mutig. Man darf dem Münchner durchaus zutrauen, dass er, ohne mit der Wimper zu zucken, eine Lederhose mit einem Hawaiihemd kreuzt. Da kennt der Münchner weder Pardon noch Schamgefühl.

Wenn ich mir all die mutigen Bewohner des Bayernlandes so ansehe, dann kann ich den strengen Mitarbeiter im Restaurant inzwischen ganz gut verstehen.

Typisch deutsch

Ihre Flucht hat drei Journalisten nach München geführt. In einer wöchentlichen Kolumne schreiben sie, welche Eigenarten der neuen Heimat sie mittlerweile übernommen haben. Alle Texte dieser Reihe finden Sie unter sz.de/typisch

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