Zweite S-Bahn-Stammstrecke:Verkehrsminister bleibt Antworten schuldig

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Gebaut wird natürlich schon längst an der zweiten S-Bahn-Stammstrecke. Nur wie lange noch? Und was wird das am Ende alles kosten? (Foto: Deutsche Bahn)

Wie konnte es zur gewaltigen Kostenexplosion und Bauverzögerung bei der zweiten S-Bahn-Stammstrecke kommen? Die Landtags-Opposition stellt den verantwortlichen CSU-Minister zur Rede. Doch Christian Bernreiter schiebt die Schuld anderen zu.

Von Heiner Effern

Die Opposition hat im Landtag höflich gefragt, wie es zu diesem Desaster kommen konnte bei der zweiten S-Bahn-Stammstrecke. Sie hat geätzt, gebohrt und gegraben, doch letztlich erging es ihr wie den Arbeiten am Tunnel: Sie kam kaum voran. Der bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) und Bayerns Bahnchef Klaus-Dieter Josel saßen zwar bei der Sitzung des Verkehrsausschusses auf dem Podium, sie sagten auch geduldig etwas zu jeder Frage, doch der Inhalt ihrer Antworten blieb extrem spärlich.

Immerhin wurde bekannt, wie es bei der Aufarbeitung der Kostenexplosion von 3,8 auf bis zu 7,2 Milliarden Euro und der um neun Jahre verzögerten Fertigstellung bis 2037 weitergehen soll. Ende Juli soll es ein Spitzengespräch in München geben zwischen Staatsregierung und Deutscher Bahn. Bis Anfang Oktober will die Bahn ihre aktualisierten Berechnungen bekannt geben. Im selben Zeitraum wird das Ergebnis einer wichtigen Prüfung erwartet: Der Nutzen-Kosten-Faktor wird wegen der höheren Bausumme neu untersucht. Nur wenn dieser über der Zahl eins liegt, bleibt das Vorhaben unstrittig förderwürdig.

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Der Verkehrsminister musste sich eine geballte Ladung Vorwürfe gefallen lassen, doch im Wesentlichen beschränkten sich seine Antworten auf die Gnade seines späten Amtsantritts. Er sei erst in diesem Februar als Minister vereidigt worden und habe seither alles unternommen, um den Bau voranzubringen. Fragen zur eigenen Verantwortung blockte er ab. Als es um wichtige Details ging, verwies Bernreiter darauf, dass er nicht "Sachbearbeiter" der zweiten Stammstrecke sei.

Ausschusschef Sebastian Körber von der FDP zog gegen Ende der fast zwei Stunden dauernden Befragung das Fazit: "Wir können den Minister nicht zwingen, etwas zu sagen." Die SPD-Abgeordnete Inge Aures wurde schon etwas plastischer, als sie Bernreiters Verweis auf seine kurze Amtszeit nicht mehr ertragen konnte. Sie verwies auf eigene Erfahrungen als Oberbürgermeisterin in der Kommunalpolitik: "Ich war auch OB und musste den Scheiß ausbaden, den mein Vorgänger gemacht hat."

Abbruch und Rückbau seien keine Option - das allein koste zwei Milliarden Euro

Klar blieb Minister Bernreiter nur beim Bekenntnis zum Bau der Stammstrecke. Dies bleibe "ein für alle extrem wichtiges Projekt". Die Münchner S-Bahn bewältige zwei Drittel des Fahrgastaufkommens in Bayern. Der Freistaat werde seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen, der Bund müsse seine Förderzusagen von 60 Prozent der Baukosten einhalten. Das Land Bayern könne auf die nun prognostizierte Bauzeit bis 2037 gerechnet "200 Millionen extra pro Jahr für die Stammstrecke schaffen". Auch Bayerns Bahnchef Josel bekannte sich zu dem Projekt: "Wir brauchen die zweite Stammstrecke für München und die Metropolregion."

Bernreiter und Josel betonten, dass ein Abbruch und Rückbau keine Option seien. Zwei Milliarden Euro würden dann fällig, so die Schätzung. Josel nannte als Gründe 200 laufende Verträge, für die Schadenersatz fällig würde, sowie die nötigen Rückbaumaßnahmen. Bayern hätte dann drei Milliarden Euro für nichts ausgegeben, denn eine Milliarde sei bereits verbaut.

Bohrende Nachfragen, seit wann die Staatsregierung von der Kostenexplosion und Bauverzögerung wusste, brachten wenig Erhellung. Die Opposition vermutet, dass das Kabinett schon länger unterrichtet war, die Information aber unterdrückte, um keinen negativen Einfluss auf die Kommunalwahl 2020 und die Bundestagswahl 2021 zu riskieren. Bis dahin hatte die CSU auch die Position des Bundesverkehrsministers inne. Doch immer wieder betonte Bernreiter, dass seinem Haus die neuen Zahlen erst im November 2021 vorgelegen hätten. Ein hoher Beamter seines Ministeriums räumte lediglich ein, dass es vorher "einen Verdacht" gegeben habe, dass die Angaben der Bahn nicht mehr realistisch sein könnten.

Noch nie sei in München so tief gebaut worden

Bahnchef Josel nannte als Gründe für die Preissteigerung umfangreiche Erweiterungen wie den Rohbau für die geplante U 9 am Hauptbahnhof, die Auswirkungen "massiver Marktpreisentwicklung", die längeren Genehmigungsverfahren am Ostbahnhof und neue Erkenntnisse aufgrund der fortschreitenden Arbeiten. Die Bahn leiste "Pionierarbeit", sagte Josel, noch nie sei in München so tief gebaut worden. Die Bahn lege großen Wert auf einen "realistischen Zeit- und Kostenplan".

Diese Aussage nutzte der Grünen-Abgeordnete Martin Runge für einen historischen Exkurs. Seit den ersten Planungen seien die Kosten von damals geschätzten 500 Millionen Euro auf nun 7,2 Milliarden gestiegen, die Fertigstellung sei von 2010 auf nun 2037 verschoben worden. Im Herbst soll es nun eine zweite Runde der Aufarbeitung im Landtag geben.

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