Süddeutsche Zeitung

S-Bahn:Neue Pläne für zweite Stammstrecke: Bis zu 200 Millionen Euro teurer

  • Die Bahn stellt ihre neuen Pläne für die zweite S-Bahn-Stammstrecke vor. Wichtigste Änderung: Der Halt am Ostbahnhof soll verlegt werden, die Trasse entsprechend anders verlaufen.
  • Neu ist auch, dass zwischen den beiden Gleistunneln eine dritte Röhre als Fluchtweg gegraben werden soll - dafür entfallen vier Rettungsschächte.
  • Das alles soll 100 bis 200 Millionen Euro mehr kosten, die Bauarbeiten aber nicht noch länger verzögern, als ohnehin schon bekannt.

Von Heiner Effern

Gut, dass unterhalb des Panoramafensters des Infopavillons am Marienhof ein paar schwere Lastwagen und Raupen unterwegs sind. Sonst würde man kaum glauben, dass an der zweiten S-Bahn-Stammstrecke schon gebaut wird. Denn oben im Bahngebäude mit Blick auf die Grube erläutert Projektchef Markus Kretschmer gerade detailliert die Plan-Änderungen, die Anfang Juli noch etwas bruchstückhaft verkündet worden waren. Betrachtet man diese in der Summe, könnte man von einem halben Neustart für die zweite Stammstrecke sprechen.

Die Deutsche Bahn (DB) will ein komplett neues Rettungskonzept mit einer dritten Röhre von Laim bis Haidhausen umsetzen. Bisher waren nur zwei Tunnels vorgesehen. Die Trasse will sie östlich der Isar anders führen und den S-Bahn-Halt am Ostbahnhof vom Orleansplatz auf die Seite an der Friedenstraße verlegen. Fünf geplante Rettungsschächte mit oberirdischen Großbaustellen sollen wegfallen: an der Kellerstraße, an der Donnersberger Brücke, an der Zollstraße (nähe Hauptbahnhof), am Lenbachplatz und an der Maximilianstraße. Ein neuer Rettungsschacht wird am DB-Gelände nahe der Rosenheimer Straße dazukommen.

Die Stammstrecke in der überarbeiteten Planung wird laut Bahn 100 bis 200 Millionen Euro mehr kosten. Damit bewege man sich aber noch deutlich im Puffer der maximal veranschlagten 3,8 Milliarden Euro, sagt Projektleiter Markus Kretschmer. Die steigenden Baukosten seien schon eingerechnet. Auf den bereits auf 2028 verschobenen Betriebsstart sollen sich die Änderungen laut DB nicht auswirken, wohl aber auf den zeitlichen Ablauf bis dahin: Für die Ostseite der Stammstrecke wird ein aufwendiges, neues Planfeststellungsverfahren nötig. Für den zusätzlichen Tunnel auf dem westlichen Abschnitt der Strecke soll ein einfaches Planänderungsverfahren reichen. Dafür veranschlagt die Bahn insgesamt maximal zweieinhalb Jahre an Aufschub. Die entsprechenden Anträge will sie schon in Kürze beim Eisenbahn-Bundesamt einreichen.

Die Verzögerung von gut zwei Jahren könne wettgemacht werden, da mit den neuen Plänen schneller gebaut werden könne, sagte Projektleiter Kretschmer. Es fallen aus der Baumasse schließlich vier Rettungsschächte komplett weg, und auch der neue Halt am Ostbahnhof wird laut Bahn die Arbeiten bedeutend erleichtern. Die komplexen Abläufe am engen Orleansplatz, an dem der Bahnhof bisher geplant war, entfielen. Die Bautiefe betrüge nur noch 16 statt 37 Meter. Die Wartephase für den Planfeststellungsbeschluss im Osten will die Bahn nutzen, um bis 2023 ein neues elektronisches Stellwerk am Ostbahnhof zu errichten. Dieses soll die bestehende S-Bahn-Stammstrecke deutlich weniger störungsanfällig machen.

Neue Gerichtsverfahren fürchtet die DB nicht, da alle bisherigen Kläger bereits informiert seien und zudem in der Regel besser gestellt würden, sollte die Umplanung genehmigt werden. "Wir erwarten keinen Widerstand. Das ist doch, was die Bürger in Haidhausen wollten", sagte Kretschmer. Beide Großbaustellen im Viertel der meisten Kläger würden wegfallen. Von den Nachbarn des neuen Halts an der Friedenstraße drohe kein Ärger. Diese freuten sich über den neuen Anschluss. Die umfangreichen Planänderungen bedeuten aber nicht, dass nun nichts mehr passiert. Das bestehende Baurecht gilt weiter, die Bahn wird am Hauptbahnhof, am Marienhof und am Haidenauplatz wie geplant ihre Bauarbeiten fortsetzen oder beginnen.

Grundzüge der neuen Pläne hatten Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU), Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und Bahnchef Richard Lutz bereits am 2. Juli verkündet. Da wurde die zweijährige Verzögerung des bislang für 2026 vorgesehenen Betriebsstarts noch hauptsächlich mit den umfangreichen Änderungen am Hauptbahnhof erklärt. Dort wird die Stadt für 400 Millionen Euro vorsorglich einen Tunnel für die gewünschte U-Bahn U 9 errichten - der war in den bisherigen Plänen nicht enthalten. Diese zwei Jahre Verzögerung kann die DB nun für massive Änderungen ihres Konzepts nutzen.

Die Pläne dafür hätten sich nicht erst in den vergangenen sechs Wochen ergeben, sagte Projektchef Kretschmer, sondern seien Ergebnisse eines langen Prozesses. Seit der Vergabe der Arbeiten im Jahr 2016 und 2017 würde die DB mit den Firmen und den Ausführungsplanern ständig diskutieren, "was das optimale Bauverfahren ist". Zudem habe eine neue EU-Richtlinie aus dem Jahr 2016 ein Verfahren ermöglicht, vom bisherigen Rettungskonzept abzuweichen, sagte Kretschmer. Die Idee der dritten Röhre nahm Gestalt an.

Diese soll exakt zwischen den beiden Zug-Tunnels liegen. "Die müssen wir um keinen Millimeter verschieben", sagte Kretschmer. Alle 333 Meter wird es einen Durchgang in die Rettungsröhre geben. Von dort sollen die Passagiere bei Feuer oder Rauch in den nächsten S-Bahnhof laufen können. Die bisher geplanten Schächte lagen maximal 600 Meter auseinander.

Durch diese hätten die Fahrgäste bis zu 40 Meter über Treppen nach oben steigen müssen. Der neue kleine Tunnel soll bis zu vier Meter breit sein und auch für die Wartung genutzt werden können. Den unterirdischen Einsatz von Rettungsfahrzeugen wird er aber nicht zulassen. Gebaut wird er als erste der Röhren, da ihn die DB als Erkundungsstollen einplant. Die nötige Maschine, die sich durch die Erde fressen muss, könne rechtzeitig beschafft werden, kündigte Projektchef Kretschmer an.

Ein weiterer Vorteil der neuen Planung sei, dass die Kapazität der zweiten Stammstrecke um ein Viertel gehoben werden könne. Die 210 Meter langen Bahnsteige könnten modernste S-Bahn-Züge anfahren, was zu Beginn des Verfahrens nicht abzusehen gewesen sei. Regionalzüge können aber nach wie vor die Tunnels nicht nutzen. Den erwarteten erhöhten Andrang auf die zweite Stammstrecke erklärt die Deutsche Bahn mit dem Wachstum des Großraums München. Besonders drastisch sind die Prognosen für den Halt am Hauptbahnhof. Dort würden die Fahrgastzahlen "explodieren", sagte Kretschmer. Wenn die U 9 in den 2030-er Jahren ans U-Bahnnetz gehe, sei ein Zuwachs von 80 Prozent im Vergleich zu bisherigen Annahmen zu erwarten. Der neue Hauptbahnhof soll 2029 stehen. Mit der zweiten Stammstrecke, den U-Bahnen, Trambahnen und Bussen werde im Herzen Münchens "die frequentierteste Station in Europa" entstehen.

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