Die düstersten Prognosen für den Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke sind laut einem internen Papier der Deutschen Bahn nun Planungsrealität. Sie rechnet mit der Fertigstellung bis spätestens 2037 und Kosten von bis zu 7,8 Milliarden Euro. Jetzt richten sich alle Blicke auf den Freistaat Bayern: Dieser soll laut einer Hochrechnung des Konzerns alleine 4,5 Milliarden Euro für die neue Strecke bezahlen. Auf den Bund entfielen demzufolge lediglich 2,3 Milliarden Euro. 200 Millionen Euro kommen von der DB, etwa 300 Millionen von der Stadt. Der Rest soll der Risikovorsorge dienen.
Die Höhe der Kosten und die angedachte Verteilung, die aus dem der SZ vorliegenden Papier der Deutschen Bahn ebenfalls hervorgeht, bergen Explosionsgefahr bis hin zur Frage, ob der Bau der zweiten Stammstrecke ernsthaft in Gefahr gerät. Denn noch im Herbst droht ein weiterer Tiefschlag. Dann soll das Ergebnis der Prüfung vorliegen, ob der Bau der zweiten Stammstrecke bei dem hohen Preis noch voll förderfähig ist, also dass der Nutzen im Verkehr die Kosten überwiegt. Davon geht die Bahn bei ihrer jetzigen Hochrechnung aus. Sollte sich das Gegenteil herausstellen, könnten die Kosten für den Freistaat nochmals in die Höhe schnellen.
Die Schätzung der Bahn ist auch deshalb überraschend, weil der Bund grundsätzlich 60 Prozent der Bausumme als Zuschuss beiträgt. Allerdings trifft dies nur auf die sogenannten förderfähigen Kosten zu. Davon ausgenommen ist zum Beispiel die Planung des Projekts. Das bayerische Verkehrsministerium will sich erst äußern, wenn ihm die neuesten Prognosen und Zahlen vorliegen.
Die Opposition im Landtag schießt sich indes schon auf die CSU und die Staatsregierung ein. "Ein Milliardengrab" nannte der Grünen-Verkehrsexperte Markus Büchler den zweiten Tunnel. Er geht davon aus, dass es "auch bei den 7,8 Milliarden Euro nicht bleiben wird" und fordert volle Transparenz. Dann müsse "seriös und ideologiefrei" entschieden werden, wie den S-Bahn-Kunden am schnellsten und effektivsten geholfen werden könne. Die Grünen favorisieren Alternativen und einen Ausstieg aus dem Bau, die von der Staatsregierung dafür angeführten hohen Kosten hält Büchler für "glatt gelogen".
OB Dieter Reiter (SPD) nennt es ein "Schlamassel von Bahn und Freistaat"
Auch der FDP-Abgeordnete Sebastian Körber, Leiter des Verkehrsausschusses im Landtag, fürchtet "ein riesiges Loch in der Haushaltskasse des Freistaats", wenn die neuesten Zahlen der DB wirklich stimmen sollten. "Ich bin gespannt, wie Söders Staatsregierung dieses Loch stopfen will. Ich denke nicht, dass sich die Staatsregierung auf dieses Szenario vorbereitete und dementsprechend Vorkehrungen traf", sagte Körber. Er werde darauf achten, dass nicht alle Nahverkehrsprojekte im restlichen Bayern unter den Stammstrecken-Kosten leiden müssten.
SPD-Fraktionschef Florian von Brunn ärgerte sich ebenfalls über Kostensteigerungen. "Schlimmer als beim Berliner Flughafen", sagte er. Die SPD im Landtag stellt aber nicht den Bau der Stammstrecke an sich in Frage, sondern fordert eine Beschleunigung der Planung, strikte Kostenkontrolle und schnelle Übergangslösungen für die Fahrgäste der S-Bahn. "Zum Beispiel deutlich mehr Langzüge und Investitionen in die Zuverlässigkeit", sagte von Brunn.

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In der Koalition im Münchner Rathaus schmerzt vor allem die lange Wartezeit auf den zweiten Tunnel. "Was mich neben der sehr unerfreulichen Informationspolitik der Bahn am meisten ärgert, ist, dass es am Ende die Münchnerinnen und Münchner sind und alle, die auf ein funktionierendes S-Bahnsystem angewiesen sind, die das Schlamassel von Bahn und Freistaat jetzt ausbaden müssen", sagte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD).
"Vor einem verkehrspolitischen Scherbenhaufen" sieht Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) die Stadt. Es sei ihr "unbegreiflich", dass die Bahn und die CSU-Verkehrsminister in Bund und Land die Stadt "jahrelang im Glauben gelassen haben, der Zeitplan werde eingehalten", sagte sie.