Wieder einmal hat ein metallbeschichteter Ballon einen Kurzschluss an der Oberleitung im Stammstreckentunnel der Münchner S-Bahn verursacht. Nach 18.10 Uhr ging am Sonntagabend zwischen Donnersbergerbrücke und Ostbahnhof stundenlang gar nichts mehr, Tausende Wiesnbesucher, die sonst den Bahnhof Hackerbrücke nutzen, mussten sich Alternativen für die Heimreise suchen.
Mit einem lauten Knall war der Fahrdraht zwischen den Stationen Hauptbahnhof und Hackerbrücke gerissen und auf einen Richtung Pasing fahrenden Zug der Linie S3 gefallen. Nachdem der Strom abgeschaltet und die Oberleitung geerdet waren, wurde der Zug evakuiert.
Rund 300 Fahrgäste wurden aus dem Tunnel zum Bahnhof Hackerbrücke geleitet. Auch zwei weitere Züge mit jeweils etwa 150 Fahrgästen, die durch den Stromausfall im Tunnel stecken geblieben waren, wurden geräumt, einer kurz vor der Station Isartor, der andere kurz vor dem Stachus.
Es ist nach Angaben der DB in diesem Jahr die vierte Störung, die ein Ballon ausgelöst hat. Die Vermutung, dass er auf dem Oktoberfest gekauft wurde, liegt nahe. Doch eigentlich ist laut Paragraf 39, Punkt 10 der Betriebsvorschriften für das Oktoberfest 2024 der Verkauf metallbeschichteter Ballons auf der Wiesn ausdrücklich verboten.
In der S-Bahn und an den Bahnhöfen sind die beschichteten Ballons schon lange verboten, darauf weisen Aushänge hin. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass sie die Stammstrecke lahmlegen. Um dies zu verhindern, hat die DB in den Tunnelstationen an den Decken der Bahnsteige Lamellen einbauen lassen, an denen die Ballons hängen bleiben sollen. Doch wie sich zeigte, ist auch dieses System nicht hundertprozentig sicher.
Zum Kurzschluss an der Oberleitung kommt es, wenn ein leitender Gegenstand zwischen Fahrdraht und Tragseil gerät und so den Stromkreis schließt. Bei einer Spannung von 15 000 Volt entstehen dabei so hohe Temperaturen, dass die Drähte schmelzen können.
Bei einem Plastikluftballon kann das nicht passieren, weil er nicht leitet. Sehr wohl aber bei anderen Gegenständen oder Körpern, da braucht es nicht einmal eine direkte Berührung: Es kann zu einem sogenannten Stromüberschlag kommen. Nicht nur so mancher Vogel, auch Menschen, die auf Dächer von Zügen gestiegen sind, haben dafür schon mit ihrem Leben bezahlt.
Die Reparatur der Oberleitung war aufwendig und dauerte etwa acht Stunden. Zu Betriebsbeginn am Montagmorgen war die Stammstrecke wieder befahrbar. Fahrgastverbände fordern schon lange, den Tunnel mit neuer, weniger anfälliger Technik auszustatten. So ist zum Beispiel im City-Tunnel in Leipzig keine hängende Oberleitung verbaut, sondern eine Art Stromschiene an der Decke. Diese Technik soll auch bei der zweiten Stammstrecke zum Einsatz kommen. Sie ist zwar auch nicht vor Kurzschlüssen gefeit, aber einfacher zu reparieren.
Könnte man die 1972 in Betrieb genommene Stammstrecke damit nachrüsten? Lange hat die DB dies abgelehnt, jetzt schließt sie eine Nachrüstung zumindest nicht mehr aus. „Wir erarbeiten derzeit Sanierungskonzepte, um die zwischenzeitlich über 50 Jahre alte Anlage zu erneuern“, lässt eine DB-Sprecherin wissen. „In diesem Zusammenhang betrachten wir auch die Erneuerung der Oberleitungsanlage. Die Option der Deckenstromschiene wird dabei ebenfalls untersucht.“
Es wäre die späte Reaktion auf ein altes Problem. Am 1. Dezember 1998 etwa legte ein Werbeballon die Stammstrecke lahm. Was nicht verschwiegen werden sollte: Er trug das Logo der Süddeutschen Zeitung.