Störung am Stellwerk Ost: Diese Meldung ist Fahrgästen der Münchner S-Bahn seit Jahrzehnten auf unangenehme Weise vertraut. Doch das soll sich bald ändern: In den kommenden beiden Wochen wird das neue elektronische Stellwerk (ESTW) am Ostbahnhof in Betrieb gehen. Dann sollen die vielen Ausfälle, die oftmals den gesamten S-Bahn-Verkehr betroffen haben, der Vergangenheit angehören.
Die Fahrgäste mussten darauf lange warten: Die Bauarbeiten haben rund vier Jahre gedauert. Zweimal hat sich die Fertigstellung der Anlage um jeweils ein Jahr verzögert. Als Grund für die Verspätungen nannte die Deutsche Bahn (DB) zuerst die Komplexität des Vorhabens, die vorher offenbar unterschätzt worden war. Rund 400 Kilometer Kabel musste die DB verlegen sowie rund 100 Signale errichten und anschließen. Der Prüf- und Abnahmeprozess werde länger dauern als geplant, hieß es 2023.
Und 2024 folgte die zweite Verschiebung: Schuld war diesmal laut DB „ein bauliches Umsetzungsproblem“, was viele Umplanungen zur Folge hatte. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) reagierte damals erbost und sprach von einer „äußerst ärgerlichen und unverantwortlichen Verzögerung“. Beschleunigt hat die Kritik des OB den Bau freilich nicht. Doch die Fahrgäste bekamen immerhin mit, dass am Ostbahnhof etwas Neues entsteht: Wegen der Bauarbeiten kam es immer wieder zu Sperrungen und Einschränkungen im S-Bahn-Verkehr, ausgerechnet in der Vorweihnachtszeit 2024 etwa bremsten Abnahmeprüfungen für die Leit- und Sicherheitstechnik die Züge aus.
Das 55 Jahre alte Relais-Stellwerk ist deshalb so störanfällig, weil zum Beispiel wiederholt Kabel beschädigt waren, Überspannungen auftraten oder Einzelkomponenten wie Achszähler ausfielen. An den elektromagnetischen Relais selbst kann sogar Staub Störungen verursachen. Doch die DB zögerte lange, noch 2018 hieß es, man denke über einen Neubau nach. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erkannte schließlich, dass die Zuverlässigkeit der S-Bahn ein Politikum ist und setzte sich für einen Neubau des Stellwerks ein.
2020 schließlich fiel der Beschluss, vorher absolvierte Söder während des Kommunalwahlkampfs mit dem damaligen DB-Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla und der Münchner OB-Kandidatin Kristina Frank medienwirksam noch einen Abschiedsbesuch in der alten Anlage. Ein Jahr später, kurz vor dem Baubeginn für das neue Stellwerk, folgte ein Festakt am Ostbahnhof – wieder mit Söder und Pofalla – und der damalige CSU-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer durfte erklären: Bayern habe gedrängt, „wir haben Tempo gemacht und jetzt geht es los“. Und Söder, kein Freund von Untertreibungen, nannte das elektronische Stellwerk das „Gehirn des ÖPNV im Großraum München“.

Doch wie tickt dieses „Gehirn“ eigentlich? Im alten Relais-Stellwerk stellen Fahrdienstleiter Weichen und Signale per Knopfdruck auf einem Stellpult. Im neuen elektronischen Stellwerk – genau genommen handelt es sich technisch um zwei: Ostbahnhof und Leuchtenbergring – kommen hingegen Computer zum Einsatz. Sie stellen Weichen und Signale in Standardsituationen automatisiert. Der Verkehr wird auf dem Display des Computers überwacht. Werden manuell Weichen und Signale gestellt, erfolgt dies per Mausklick. Das elektronische Stellwerk ist der aktuell modernste Standard und ist in der derzeitigen Version erst seit dem vergangenen Jahrzehnt im Einsatz.
Die Fahrdienstleiter sitzen künftig in der Betriebszentrale der DB an der Donnersbergerbrücke. Zusätzlich werden auch in den Technikgebäuden des neuen Stellwerks am Ostbahnhof Bedienplätze eingerichtet, um im Falle von Störungen oder Unregelmäßigkeiten den Zugverkehr auch vor Ort steuern zu können.

Das alte Relais-Stellwerk bleibt übrigens vorerst in Betrieb, von dort aus werden weiterhin die Weichen und Signale der sogenannten Fernbahngleise gesteuert, das sind die Gleise, die im Regelbetrieb nicht von der S-Bahn genutzt werden. In einer weiteren Baustufe wird der Fernbahnanteil in die zwei neuen Stellwerke am Ostbahnhof und Leuchtenbergring integriert.
Im S-Bahn-Netz gibt es bereits einige elektronische Stellwerke: in Pasing, an der Stammstrecke, in Geltendorf, Petershausen und Dachau sowie die Stellwerke Südwest, Riem, Steinhausen, Neufahrn und Mering. Schon 2011 wurde das einst ebenfalls anfällige Stellwerk in Pasing durch ein elektronisches ersetzt. „Unsere Erfahrungen mit dem elektronischen Stellwerk in Pasing sind ausgesprochen positiv“, erklärt ein Bahnsprecher. „Störungen treten nur höchst selten auf und wenn es doch einmal Störungen gibt, handelt es sich dabei in der Regel nicht um Komplettausfälle.“
Das erhofft sich die DB auch vom neuen Stellwerk Ost. Bis alles läuft, brauchen die Kunden aber noch ein wenig Geduld. Wegen der aufwendigen Abnahme kommt es bei der S-Bahn in den nächsten zwei Wochen zu starken Einschränkungen.
Behinderungen in den Pfingstferien
Die Inbetriebnahme des neuen Stellwerks erfolgt in drei Phasen. In dieser Zeit ist der S-Bahn-Verkehr stark beeinträchtigt, die Stammstrecke zeitweise gesperrt. Phase 1 läuft von Freitag, 6. Juni, 22.30 Uhr, bis Samstag, 7. Juni, 5 Uhr. Wegen eines Softwarewechsels im bestehenden Stellwerk für die Stammstrecke ist diese und der Bereich rund um den Ostbahnhof komplett gesperrt. Zwischen Pasing und Riem, Giesing, Trudering sowie Johanneskirchen fahren keine S-Bahnen. Die Linien beginnen/enden vorzeitig. Ersatzweise verkehren Busse entlang der gesamten Stammstrecke zwischen Pasing und Ostbahnhof sowie zwischen Ostbahnhof und Riem, Johanneskirchen und Trudering.
Phase 2 läuft von Samstag, 7. Juni, 5 Uhr, bis Freitag, 13. Juni, 5 Uhr. Die S-Bahn-Gleise sind im Bereich des neuen Stellwerks wegen der Inbetriebnahme nicht befahrbar. Betroffen sind die Strecken rund um den Ostbahnhof bis Isartor, Giesing, Riem, Johanneskirchen und Trudering. Zwischen Isartor und Ostbahnhof fahren Ersatzbusse. Auf der Stammstrecke westlich des Isartors verkehren nur die S2 und S3. Die anderen Linien aus dem Westen enden in Pasing (S6, S8), am Heimeranplatz (S4) oder Hauptbahnhof (S1). Von und zum Flughafen empfiehlt die DB, wegen des Ersatzverkehrs auf der S8 auf die S1 auszuweichen.
Phase 3 läuft von Freitag, 13. Juni, 5 Uhr, bis einschließlich Mittwoch, 18. Juni, hier nennt die DB keine genaue Uhrzeit. In dieser Phase wird die Funktion des Stellwerks im laufenden Bahnbetrieb beobachtet und analysiert. Alle Gleise sind wieder befahrbar, der Betrieb bleibt jedoch eingeschränkt. So verkehren die S1 und S5 nicht auf der Stammstrecke, bei der S2, S3 und S8 fallen Verstärkerzüge aus. Von Donnerstag, 19. Juni an, rollt der S-Bahn-Verkehr wieder regulär.

