Nahverkehr in München und Umgebung:Nichts wird schneller besser

Lesezeit: 6 Min.

An der Sendlinger Spange wird bereits gebaut. (Foto: Florian Peljak)

Weil die zweite Stammstrecke auf sich warten lässt, versprechen Bahn und Staatsregierung ein großes Modernisierungsprogramm. Doch eine Analyse zeigt: Die meisten Projekte sind schon lange geplant und wären ohnehin gekommen.

Von Heiner Effern und Andreas Schubert

Die Fahrgäste der S-Bahn müssen auf die zweite Stammstrecke mindestens bis 2035 warten. Auf der Pressekonferenz mit Bahn-Chef Richard Lutz am Donnerstag, an dem der neue Zeitplan offiziell bestätigt wurde, ließen Ministerpräsident Markus Söder und der bayerische Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) aber schon durchblicken, dass sie mit der Eröffnung eher erst 2037 rechnen. Was heißt das für die frustrierten Pendler in den kommenden 13 bis 15 Jahren?

Konzernchef Lutz und Minister Bernreiter versprachen, die S-Bahn schon vorher schneller, attraktiver und weniger störanfällig zu machen. Ziel sei "ein echter Qualitätssprung schon lange vor Inbetriebnahme der zweiten Stammstrecke", sagte Lutz. Man habe ein "umfangreiches Modernisierungsprogramm vereinbart", das Programm 14 plus. Das Plus stehe dafür, dass man bereits auf 20 Projekte komme, sagte Minister Bernreiter. Das klingt mit der hinterlegten Summe von eineinhalb Milliarden Euro nach einem großen Wurf, der die geplagten Bahnfahrer trösten könnte.

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Die SZ hat die 20 genannten Einzelvorhaben geprüft und kommt zu dem Ergebnis: Bis auf ein paar neue Projekte handelt es sich fast ausschließlich um bereits bekannte, schon geplante und teils in Bau befindliche Projekte, die so oder so gekommen wären. Die offensichtlich einzig positive Nachricht: Keines der Projekte wird wegen der hohen Kosten der Stammstrecke abgesagt. Viele sind ohnehin eng mit ihr verwoben. Und bei den konkreten Daten für die Inbetriebnahme gibt es mehr Verzögerungen als Beschleunigungen. Der Überblick:

15 zusätzliche S-Bahn-Fahrzeuge, Inbetriebnahme 2023

Um dem S-Bahnverkehr auf den Außenästen kurzfristig mehr Kapazität zu verschaffen, sollten eigentlich schon dieses Jahr 15 Züge vom Typ ET 424 aus Hannover nach München gebracht werden. Sie kommen aber erst nächstes Jahr nach München, weil sie zuvor umgebaut werden, so müssen etwa die Toiletten ausgebaut werden.

Fortschritt für Fahrgäste: Potenziell mehr Stabilität.

20-Minuten-Takt bis zu den Linienendpunkten von Montag bis Freitag ab Dezember 2022

Diese Verbesserung vermeldete die damalige Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) in einer Mitteilung vom 1. Dezember 2021 als beschlossen und finanziert. Der dichtere Takt bis zu den Endhaltestelle sei der größte Ausbau des Angebots der S-Bahn seit 2005, erklärte sie. Schon damals stand der Starttermin im Dezember 2022 fest. In der Mitteilung wird allerdings eingeschränkte, dass dann ein "nahezu durchgängiger" 20-Minuten-Takt umgesetzt werde.

Fortschritt für die Fahrgäste: bessere Anbindung im Großraum.

Elektronisches Stellwerk am Ostbahnhof, Inbetriebnahme Sommer 2023

Eine der aufwendigsten und teuersten Verbesserungen für den Bahnverkehr in München ist der Neubau des elektronischen Stellwerks. Dieses soll das rund 50 Jahre alte und störanfällige Relais-Stellwerk ersetzen. Es wird bereits seit vergangenem Jahr daran gearbeitet, 222 Millionen Euro soll die neue Technik kosten. Wenn alles planmäßig läuft, soll das Stellwerk im Mai 2023 einsatzbereit sein.

Fortschritt für Fahrgäste: weniger Ausfälle.

S-Bahn-Stammstrecke in München
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Jetzt ist es offiziell: Der neue S-Bahn-Tunnel quer durch München wird mehr als sieben Milliarden Euro kosten. Gebaut wird er trotzdem, darauf haben sich Bahn und Freistaat festgelegt - und der Landtag kommt als Kontrollinstanz hinzu.

Von Heiner Effern und Klaus Ott

Einbau von Weichen im Bereich des Hirschgartens, Inbetriebnahme 2023

Mit dem Einbau von vier neuen Weichen auf der Stammstrecke im Bereich Hirschgarten können bei Störungen oder bei Bauarbeiten mehr S-Bahn-Fahrten zwischen Laim und Hackerbrücke ermöglicht werden, obwohl wegen der Bauarbeiten zur zweiten Stammstrecke eine Weichenverbindung in Laim entfällt. Im Zielzustand mit der zweiten Stammstrecke gibt es eine Weichenverbindung mehr als heute.

Fortschritt für Fahrgäste: laut DB mehr Flexibilität und mehr Kapazität.

Sendlinger Spange, Baustufe 1a, Inbetriebnahme 2024

Westlich des Laimer Bahnhofs entsteht eine Verbindung zwischen der S-Bahn-Stammstrecke und dem Laimer Rangierbahnhof. Damit können bei Störungen auf der Stammstrecke und während des Baus der zweiten Stammstrecke zusätzliche S-Bahnen aus Richtung Pasing zum Heimeranplatz geleitet werden. Dort können die Züge wenden und über den Rangierbahnhof Laim auf die Stammstrecke in Richtung Pasing zurückfahren.

Fortschritt für Fahrgäste: mehr Stabilität.

S-Bahn nach Wasserburg, Inbetriebnahme 2026

Die Aufnahme der Strecke nach Wasserburg ins S-Bahn-Netz war laut einer Mitteilung des Verkehrsministeriums vom Ende vergangenen Jahres noch im Jahr 2025 geplant. Dafür muss laut Deutsche Bahn die Verbindung von Ebersberg aus auf 18 Kilometern Länge elektrifiziert werden. Fahrgäste aus der Kleinstadt am Inn müssten dann bis München nicht mehr umsteigen und können auf allen Bahnsteigen barrierefrei in den Zug gelangen.

Fortschritt für die Fahrgäste: für Pendler aus Wasserburg gut spürbar, ebenso für Wochenendausflügler in beide Richtungen.

Neue Fahrzeuggeneration, ab 2027/2028 laufender Austausch

Von 2027 an soll die S-Bahn-Flotte durch neue Fahrzeuge nach und nach ersetzt werden. Ein Triebwagen wird dann so lang sein, wie es heute ein aus drei Fahrzeugen vom Typ ET 423 bestehender Langzug ist, also knapp 210 Meter. Die Kapazität der neuen Fahrzeuge ist deutlich höher.

Fortschritt für Fahrgäste: mehr Platz.

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Die Deutsche Bahn warnte Bayerns Verkehrsministerium frühzeitig, das Milliardenprojekt könne sich um viele Jahre verzögern. Eine 32-seitige Präsentation enthielt viele Vorschläge für Gegenmaßnahmen. Doch das Dokument verschwand in der Schublade.

Von Heiner Effern und Klaus Ott

Zusätzlicher Bahnsteig Markt Schwaben, Inbetriebnahme 2028

Für die S2 Richtung Erding wird ein 210 Meter langer zusätzlicher Außenbahnsteig gebaut. Dieser ist im Paket der zweiten Stammstrecke enthalten und damit auch finanziert. Die Inbetriebnahme war laut DB "voraussichtlich in 2024" geplant.

Fortschritt für die Fahrgäste: erst mal keiner, die Fertigstellung verzögert sich um vier Jahre. Dann verspricht die Bahn eine "Verbesserung der Betriebsqualität und Steigerung der Flexibilität bei Betriebsstörungen".

Zweites Gleis St. Koloman-Aufhausen, Inbetriebnahme 2028

In Richtung Aufhausen wird bei St. Koloman auf einer Länge von 2,6 Kilometern ein zweites Gleis gebaut. Im Bahnhof selbst entstehen zwei neue, barrierefrei Bahnsteige. Im Zuge der Arbeiten wird in Altenerding ein elektronisches Stellwerk errichtet. Das Paket in St. Koloman ist Teil der zweiten Stammstrecke und über diese finanziert.

Fortschritt für die Fahrgäste: erst mal Stillstand, eigentlich sollten die Arbeiten 2023 beginnen und im November 2024 abgeschlossen sein. Vier Jahre später als gedacht hofft die Bahn dann wieder auf eine "Verbesserung der Betriebsqualität und Steigerung der Flexibilität bei Betriebsstörungen".

Abzweigstelle Westkreuz, Inbetriebnahme 2026

Die Bahn will hier die S-Bahnen nach Herrsching und Tutzing höhenfrei zusammenführen. Dafür wird die Bodenseestraße umverlegt, zwei alte Bahnüberführungen werden abgerissen und eine neue gebaut. Die Züge sollen künftig ohne gegenseitige Behinderung einfädeln können.

Fortschritt für die Fahrgäste: Der Betrieb soll schneller und robuster werden.

Abstell- und Wendegleis in Weßling, Inbetriebnahme 2025

Ein neues, 210 Meter langes Gleis soll zum Abstellen und Wenden von S-Bahn-Zügen genutzt werden. Dazu werden drei neue Weichen eingebaut und fünf alte ersetzt. Das Projekt ist im Paket der zweiten Stammstrecke enthalten.

Fortschritt für die Fahrgäste: stabilerer Betrieb.

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Kommentar von Klaus Ott

Zweites Gleis Seefeld-Hechendorf bis Steinebach, Inbetriebnahme 2028

Zwischen Steinebach und Seefeld-Hechendorf soll auf einer Strecke von 2,7 Kilometern ein zweites Gleis gebaut werden. Dazu werden zwei neue Außenbahnsteige entstehen. Die Arbeiten sind Teil der Verbesserungen im Zuge des Neubau der zweiten Stammstrecke.

Fortschritt für die Fahrgäste: Die Ankündigung von Minister Bernreiter bedeutet eine Verzögerung von etwa drei Jahren, bisher wollte die Bahn 2020 fertig sein. Das Gleis ist nötig für den geplanten 15-Minuten-Takt frühestens ab dem Jahr 2035.

Fahrzeitverkürzung zum Flughafen, Inbetriebnahme 2028

Die S-Bahnen zwischen Johanneskirchen und dem Airport sollen durch eine Anpassung der Gleisanlagen, der Leit- und Sicherheitstechnik und der Oberleitungen künftig Tempo 140 fahren können.

Fortschritt für Fahrgäste: Wie viel Zeitersparnis dadurch drin ist, dazu macht die Bahn keine Angaben. Und solange der viergleisige Ausbau zwischen Daglfing und Johanneskirchen ferne Zukunftsmusik bleibt, wird sich die Fahrzeit auf der Strecke der S8 insgesamt nicht signifikant verbessern.

Ausbau Bahnhof Laim, Inbetriebnahme 2026

Am Bahnhof Laim treffen sich künftig die erste und die zweite Stammstrecke. Hier wird der Bahnhof aufwändig umgebaut, damit die Passagiere an einem gemeinsamen Bahnsteig zwischen den Trassen umsteigen können. Am Bahnhof selbst ist das neue Gleis 1, über das künftig die S-Bahnen auf der ersten Stammstrecke stadtauswärts fahren, bereits bald fertig.

Fortschritt für Fahrgäste: In weiter Ferne! Womöglich können sie 2035 oder 2037 von einer Stammstrecke auf die andere umsteigen.

Neubaustrecke Schweigerloh, Inbetriebnahme stufenweise 2025 bis 2028

Die Strecke ist Teil des sogenannten Erdinger Ringschlusses, der den Flughafen besser anbinden soll. Die zwei neuen Gleise sollen vom Flughafen in Richtung Osten bis nach Schwaig führen. In Schwaigerloh sollen ein neuer Halt mit zwei Bahnsteigen und eine Abstell- und Wendeanlage entstehen. Der zweite Teil des Ringschlusses soll im Anschluss kommen.

Fortschritt für den Fahrgast: Der neuer Halt ist ein großer Gewinn für die Menschen in der näheren Umgebung. Dazu gewinnt die Bahn zusätzliche Abstell- und Wendemöglichkeiten.

Abzweigstelle Flughafen West, Inbetriebnahme 2028

Westlich des Flughafens sollen die beiden Linien S1 und S8 zusammengeführt werden.

Fortschritt für Fahrgäste: eine bessere Flughafenanbindung aus Nordostostbayern und aus München, indem Zugfahrten zum Flughafen auf den beiden zusammenlaufenden Strecken künftig ohne gegenseitige Behinderung erfolgen.

Ertüchtigung für Langzüge, Inbetriebnahme 2028

Neu auf der Liste: Abstell- und Wendegleise werden auf einer Länge von 210 Metern in Buchenau und Haar angepasst. Im Bahnhof Geltendorf soll ein zusätzliches, 210 Meter langes Wende- und Abstellgleis gebaut werden.

Fortschritt für die Fahrgäste: mehr Flexibilität im S-Bahn-Betrieb.

Verbesserung Robustheit Lohhof-Freising, Inbetriebnahme 2028

Es sollen zusätzliche Weichenverbindungen in Lohhof und Neufahrn eingebaut werden. Zudem werden die Zugfolgeabschnitte angepasst, und der Bahnhof Neufahrn erhält zusätzliche Signale. Diese Vereinbarung zwischen DB und Freistaat ist ebenfalls neu.

Fortschritt für die Fahrgäste: Bei Bauarbeiten oder Störungen können dann mehr Züge in dichterem Abstand fahren.

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Vor zwei Jahren hatte Bayern den damaligen Bundesverkehrsminister bei der zweiten Stammstrecke eindringlich um Hilfe gebeten. Doch die kam nicht. Merkwürdige Vorgänge bringen die CSU immer mehr in Bedrängnis.

Von Klaus Ott

Verbesserung Robustheit Pasing-Starnberg, Inbetriebnahme Ende 2028

Ebenfalls neu: Es sollen unter anderem zusätzliche Weichenverbindungen in Planegg, Gauting und Starnberg Nord eingebaut werden. Zudem werden die Zugfolgeabschnitte (Blockabschnitte) angepasst. Bei Bauarbeiten oder Störungen können dann mehr Züge in dichterem Abstand fahren.

Fortschritt für Fahrgäste: potenziell mehr Stabilität.

"Großbahnhof Stammstrecke", Inbetriebnahme 2025

Anpassung der Sicherungs- und Leittechnik. Bei Baumaßnahmen oder Störungen in der Stammstrecke müssen aus Westen kommende S-Bahnen nicht mehr an der Hackerbrücke wenden, sondern können bis zu den nachfragestarken Stationen Hauptbahnhof, Karlsplatz und Marienplatz fahren und erst dort wenden. Auch dieses Vorhaben ist laut Ministerium neu.

Fortschritt für die Fahrgäste: Bei Störungen bleibt niemand mehr an der Hackerbrücke hängen, die Züge können weiter in die Innenstadt fahren.

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