Süddeutsche Zeitung

Europawahl:Tausende rumänische Wähler müssen stundenlang warten

  • Das EU-Land Rumänien hat erhebliche Probleme gehabt, die Europawahl in Deutschland für seine hier lebenden Landsleute zu organisieren.
  • So mussten am Sonntag unter anderem in München, Nürnberg, Offenbach, Ulm und Bochum Tausende Menschen lange vor Wahllokalen warten.
  • Offenbar hat Rumänien nicht genügend Wahlurnen für seine Bürger in Deutschland bereitgestellt.

Von Ingrid Fuchs und Kassian Stroh

Das Gegenteil von Politikverdrossenheit ist an diesem Sonntag in München und vielen anderen deutschen Städten zu sehen gewesen: Rumänische Wähler haben stundenlange Wartezeiten auf sich genommen, um ihre Stimme abzugeben.

Für die Frauen und Männer ging es nicht nur um die Europawahl, sondern auch um ein umstrittenes Justiz-Referendum. Rumäniens Staatspräsident Klaus Johannis ließ über Amnestien für korrupte Politiker entscheiden - ein Vorhaben, das gerade bei im Ausland lebenden Rumänen auf Kritik stieß. Von einer Amnestie dürfte der Vorsitzende der regierenden Sozialdemokraten (PSD), Liviu Dragnea, profitieren. Er darf nicht Ministerpräsident werden, weil er wegen Wahlmanipulationen vorbestraft ist - jedoch gilt er als Strippenzieher der Regierung.

Schon am frühen Sonntagmorgen stellen sich deshalb die ersten Menschen vor dem rumänischen Generalkonsulat an der Richard-Strauss-Straße in die Schlange, viele standen noch mehr als fünf Stunden später an. Eltern mit kleinen Kindern wurden zwar bevorzugt, aber auch sie mussten oft mehrere Stunden vor dem sogenannten Rumänienhaus ausharren. Am Nachmittag schätzte ein Polizist die Zahl der Wartenden auf mehr als 1500.

Auch aus anderen Städten wurde von Tausenden Menschen berichtet. In Ulm, Offnbach, Bochum und Nürnberg warteten die Wähler bis zum späten Abend. Der rumänische Staat habe nicht genügend Wahlurnen für Rumänen in Deutschland bereitgestellt, sagte die Polizei in Ulm.

In München warteten abends um Viertel vor neun noch mehrere hundert Menschen vor dem Generalkonsulat auf Einlass. Die Polizei war samt Unterstützungskommando angerückt und baute Absperrungen auf. Der Wahlleiter des Generalkonsulats ließ zunächst bekannt geben, dass jeder noch wählen dürfe, der sich bis 21 Uhr innerhalb dieser Absperrung befindet. Als das bekannt gegeben wurde, jubelten viele Menschen. Eine Frau in roter Strickjacke, das Staatswappen am Revers, scheuchte alle in den Innenraum - und Punkt 21 Uhr machten die Polizisten das Gitter zu. Nach Angaben der Polizei warteten zu diesem Zeitpunkt noch etwa 500 Menschen.

Viele Dutzend Schaulustige verfolgten die Geschehnisse. Gelegentlich skandierten einige Rumänen Sprechchöre vor dem Gebäude. Was die Menschen da immer wieder riefen? "Da sind keine besonders freundlichen Sachen", erklärte ein Mann vorsichtig, "sie beziehen sich auf die Regierungspartei PSD". Eine Frau erzählte, sie habe am Vormittag im Generalkonsulat bereits abgestimmt. Das alles dauere jedoch sehr lange, denn dort drin könnten nur sechs oder acht Menschen gleichzeitig wählen. Und auch die Personalien zu prüfen, dauere lang. Das Generalkonsulat selber wollte am Abend zur Situation keine Stellungnahme abgeben.

Die Polizei, so berichtete es die Einsatzleiterin, sei gegen 18 Uhr gekommen, als sich abgezeichnet habe, dass der Andrang weiterhin hoch sei. Etwa 100 Beamte waren am Abend im Einsatz, zwei Dutzend Wagen vorgefahren, zeitweilig war die vielbefahrene Richard-Strauss-Straße vor dem Konsulat abgesperrt, weil die Menschen auf dem Bürgersteig keinen Platz mehr fanden. Ein Münchner Polizist, der Rumänisch spricht und zufällig vor Ort war, informierte die Wartenden per Megaphon über die Lage. Größere Probleme, Ausschreitungen gar, habe es aber nicht gegeben, teilte die Polizei mit. Allein ein deutscher Mann, nach eigenem Bekunden Lebensgefährte einer Rumänin, lieferte sich eine kurze handgreifliche Auseinandersetzung mit Polizisten, von denen er nach deren Einschätzung etwas zu aufdringlich Auskunft über den Einsatz verlangt hatte.

Es ist nicht das erste Mal, dass Abstimmungen für rumänische Wähler chaotisch abliefen. Bei der Präsidentenwahl vor knapp fünf Jahren war es ähnlich, damals vermuteten viele dahinter das Kalkül des damaligen Regierungschefs. Die Frauen und Männer, die an diesem Sonntag in München aufs Wählen warteten, nannten oft eine Erklärung für das Chaos: "Korruption."

Die 21-Uhr-Regelung in München wurde strikt eingehalten. Gegen halb zehn tauchte eine Gruppe junger Männer am Gitter auf. Er habe arbeiten müssen, sagte einer von ihnen, was solle er machen? Er wolle unbedingt noch abstimmen. Sein Protest aber fand kein Gehör, die Polizisten ließen das Gitter geschlossen. An der Haltestelle vor dem Gebäude stieg ein Mann aus dem Bus. Er hatte ein Sixpack Wasser besorgt. Das schenkte er den Wartenden hinter dem Gitter. Neun Liter für Hunderte Wartende.

Um 21.50 Uhr droht die Lage vorübergehend zu eskalieren. Da macht die Nachricht die Runde, dass das Konsulat nun doch geschlossen und die Wahl beendet werde. "Schämt euch, schämt Euch!", skandiert die Menge. Und: "Wir fordern eine Erklärung!" Die Polizei bestätigt das Gerücht, die Stimmung heizt sich auf, die Straße wird wieder gesperrt, im Nu füllt sich der Platz vor dem "Rumänienhaus", wie das Gebäude auch genannt wird. Dann aber zerstreut sich die Menge doch relativ rasch. Beim Gehen sind viele erkennbar wütend auf die rumänischen Behörden, manche skandieren: "Deutsche Polizei, danke, Polizei!" Die wiederum drängt die letzten Wartenden vom Eingang weg und sperrt das Gebäude dann wieder ab, um es zu schützen.

Eine Frau erzählt, sie habe hier seit elf Uhr am Vormittag ausgeharrt, elf Stunden also, aus Liebe zu ihrem Land. Es sei skandalös, wie Rumänien hier agiere. Dass nun die Wahl beendet werde. Weil in der Hauptstadt Bukarest die Wahlcomputer heruntergefahren worden seien, könne man hier nun nicht mehr abstimmen. Und das Generalkonsulat? "Keine Getränke, keine Toiletten", ihr Mann sei auch dabei, er sei krank - und nun habe sie nicht einmal gewählt. Jetzt müsse sie gehen - früh um vier müsse sie zum Arbeiten gehen.

Manche haben Tränen in den Augen. "Wir wollen einfach nur unser Recht, wir wollen einfach nur wählen", sagt die Frau mit der roten Strickjacke. "Wir sind friedlich, aber eines Tages werden wir nicht mehr friedlich sein." Es sind sicher mehrere hundert Menschen, die erfolglos gewartet haben.

In den anderen Städten lief es überwiegend ähnlich ab: Die Wahl wurde beendet, zurückblieben wütende Menschen, die ihre Stimme nicht abgeben konnten. Wütende, meist friedliche Menschen.

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Quelle:
SZ vom 27.05.2019/infu
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