Süddeutsche Zeitung

München:Ruhig mal was verpassen

Im gemeinsamen Bilderbuch "Im Land der Wolken" erzählen die Autorin Alexandra Helmig und die Illustratorin Anemone Kloos von Freundschaft und der Qualität des Nichtstuns

Von Nicole Graner

Wenn der Wind Wolken zu Fantasie-Tieren formt, zu Trollen mit langen Bärten oder Riesen, die den Menschen von oben die Zunge rausstrecken - dann sind solche Tage Traumtage. An diesen wünscht man sich in das Land der Trolle, die über unseren Köpfen imaginäre Abenteuer bestehen, spinnt Geschichten zusammen, webt aus Millionen von Wassertröpfchen Poesie.

Der Münchner Schauspielerin und Autorin Alexandra Helmig mag es auch so gegangen sein. Irgendwann. Da hat sie an einem schönen Sommertag - vielleicht auf einer Wiese liegend - in den Himmel geblickt und sich mitziehen lassen von Wolkengebilden. Denn dort, am Ort vieler Sehnsüchte, spielt ihre Geschichte vom kleinen Henry, der so ganz anders ist als alle anderen. Anders als die Kinder, die gut Freund sind mit Cirrus und Cumulus, jedes Tröpfchengebilde nur anzutippen brauchen, um eine neue Idee, eine neue Geschichte zu erhalten. Rot, grün, blau oder türkis sind dann die Wolken, "in denen Schneeflocken von verliebten Regentropfen singen , in denen Schmetterlinge Wollmäuse kitzeln". Henry ist das alles zu viel: Das ganze Bohei um die beste Wolke, die schönste Geschichte, die ultimative Idee. Er sitzt da, schaut in den Himmel. Aus. Mehr nicht. Dass die anderen das natürlich komisch finden, macht Henry einsam. Bis zu dem Tag, an dem er Sara trifft und sie das Nichtstun mit ihm teilt.

Es ist eine einfache, liebevolle Geschichte, die Alexandra Helmig erzählt. In einer stillen, klaren Sprache, ein Bilderbuch, das eigentlich nur eines transportieren will: Alles Schöne kann auch zu viel sein. Die Menschen, die nach dem Besten und Tollsten suchen, können dem Anderen zu viel werden in ihrer stetigen Hast nach dem Ultimativen. Wenn man so will, ist Henry ein Aussteiger, einer, der das Stille leise genießt, keine Messlatte braucht für das Wort "schön", der nicht mitmacht im Alltagsgerenne, in dem kaum Platz bleibt für sich selbst. Und am Ende, ja, am Ende passiert nicht viel. Nichts Spektakuläres jedenfalls. Henry hat durch sein "Innehalten" die anderen Kinder bestärkt, endlich auch mal Luft zu holen, nicht mehr nur nach oben zu blicken, aus lauter Angst, die schönste Wolke zu verpassen, sondern nach unten, dorthin, wo sich das Wesentliche abspielt: die Hinwendung zum Anderen nämlich, Freundschaft und ein Miteinander, das nicht ausgrenzt, sondern eint.

Das Buch lebt auch von seiner Buntheit, seinen aquarellierten Zeichnungen. Anemone Kloos arbeitet mit leichtem Strich. Filigran sind ihre Traumwelten, filigran ihre Menschen. Markenzeichen: Stupsnase, verwegene Frisuren, große Augen und überlange Wimpern wie Strahlen - nur über dem rechten Auge. Das mag an Manga-Figuren erinnern, hat aber nicht dieses Stereotype, Austauschbare. Jedem Kind verleiht Anemone Kloos einen eigenen Charakter, sogar eine eigene Mode. Dem einen Kind eine Fliegerbrille, dem anderen Clownshosen. Und Henry einen Strubbelschopf mit großen, traurigen, braunen Augen, die am Ende in einem glücklichen Gesicht strahlen.

Lange, sagt Alexandra Helmig, habe man nach der passenden Illustration zur Geschichte gesucht. "Wir wollten etwas Neues, und vor allem etwas Junges." Die Form, wie Kloos mit Aquarellen umgehe, habe sie sehr fasziniert. Und: inspiriert. Denn als die 1986 geborene Kommunikationsdesignerin ihre Entwürfe verbesserte, die Geschichte mit neuen Details immer neu poetisierte, entstanden auch bei Alexandra Helmig neue Wortspiele im Kopf. "Zum Beispiel, was in den Wolken passierte, wurde mir durch ihre Zeichnungen noch viel bewusster. Und ich änderte kleine Textpassagen." Ein kreativer Dialog also entstand, der im optimalen Fall zwischen Autor und Illustrator immer entstehen sollte.

Anemone Kloos spielt mit Farben, lässt sie über ihre Bilder fließen. Die Farben der Wolken im Buch werden gleichsam auch zur Farbe der Stadt. Und sie drücken etwas aus. So ist es kein Wunder, dass die Illustratorin die neugierige Sara in einem feurigen, orangeroten Kleidchen zeichnet und Henry mit einem braunen T-Shirt und dunkelgrüner Hose: Sara verkörpert das Positive, seelische Kraft und das bewusste Erleben. Braun verdeutlicht die Sehnsucht nach Geborgenheit, Grün einen Neuanfang. Passt alles zu Henry.

Mit dem ersten großen Bilderbuch habe man, so die 40-jährige Autorin, für Kloos einen "Stein ins Rollen" gebracht. "Das Nachwuchstalent", das an der Hochschule in Augsburg studierte und in Leipzig lebt, ist mittlerweile sehr gefragt. Vielleicht darf man auch Rückschlüsse ziehen: Wer einen so wunderbaren blumigen Vornamen hat, muss die Freude an Farbe wohl in sich tragen. Ein praktisches Geschenk, wenn man Kinderbücher illustriert. Und so ist das Buch nicht nur ein Bilderbuch, das Alexandra Helmigs Kindheitserinnerungen an Wolkenträume mit Worten fühlbar macht, sondern auch ein Buch der Farben, das Gefühle wach werden lässt: auch das vom Nichtstun.

Im Land der Wolken: von Alexandra Helmig und Anemone Kloos, Mixtvision Verlag, ist am Freitag, 29. Januar, erschienen; für Kinder von drei Jahren an, 14.90 Euro, ISBN 978-3-95854-052-1. Lesung und Workshop mit der Autorin und Illustratorin am Samstag, 5. März, 16 Uhr, im Kinderkunsthaus München, Siegesstraße 20.

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SZ vom 30.01.2016
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