Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: "Bericht aus Berlin":Zwischen Sondierung und Bürosuche

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Die Münchner Abgeordneten Jamila Schäfer und Sebastian Roloff sind neu im Bundestag. Neben der politischen Arbeit müssen beide erst einmal Organisatorisches erledigen.

Von Heiner Effern und Anna Hoben

Noch hat sie das Sondierungspapier nicht gesehen, aber gleich ist es so weit. Jamila Schäfer ist auf dem Weg zur Sitzung des Bundesvorstands der Grünen, als sie am Freitagvormittag anruft. Es ist der Tag, an dem die Vorentscheidung fällt, dass aus Sondierungsgesprächen zwischen SPD, FPD und Grünen echte Koalitionsverhandlungen werden, die zu einem Ampel-Bündnis führen können.

Und weil Schäfer nicht nur direkt gewählte Bundestagsabgeordnete im Münchner Süden ist, sondern auch stellvertretende Bundesvorsitzende ihrer Partei und Teil des erweiterten Sondierungsteams, ist sie ganz nah dran an den aktuellen Verhandlungen. Trotz ihres jungen Alters ist sie schon fast ein alter Hase im Berliner Politikgeschäft.

Worauf sie sich gerade am meisten freut? "Wenn alles getan ist, damit es eine tragfähige, gute Koalitionsvereinbarung geben kann." Um ihren Teil dazu beizutragen, hat Jamila Schäfer in den vergangenen Wochen am Schreibtisch gesessen, "von morgens bis abends", sie hat an den inhaltlichen Vorbereitungen für die Koalitionsgespräche gearbeitet, vor allem zur Europapolitik. Manchmal habe sie sich schon gedacht, "es wäre nett, nach dem anstrengenden Wahlkampf mal einen Abend die Füße hochzulegen". Denn Schlafmangel hat sich mittlerweile reichlich angesammelt.

Aber, so sagt sie auch: "Es ist eine große Ehre und Verantwortung, und man weiß, wofür man es macht." Bevor die Verhandlungen richtig starten, will sie dieses Wochenende dazu nutzen, den Schlafmangel zumindest ein bisschen zu verringern. Dass es vielleicht nicht unbedingt das Beste ist, wenn Politikerinnen und Politiker völlig übermüdet die wichtigsten Entscheidungen für die Zukunft des Landes treffen, dafür gibt es mittlerweile ja ein breiteres Bewusstsein.

Sebastian Roloff würde an diesem Freitagvormittag auch schon sehr gerne wissen, was in diesem Sondierungspapier steht. Schließlich könnte dieses sowie die nachfolgenden Koalitionsverhandlungen seine ersten vier Jahre als Bundestagsabgeordneter prägen. Er kommt ebenfalls aus dem Münchner Süden, zog über die Landesliste der SPD ins Parlament ein. Gerade kam die Einladung seiner neuen Fraktion, dass dann am späten Nachmittag alle Mitglieder in einer Sitzung über den Weg zur Ampel-Koalition informiert werden. Viel wisse er nicht, sagt er, der Flurfunk sei spärlich ausgefallen. Die Sondierungsteams von SPD, Grünen und FDP bildeten schon "einen sehr geschlossenen Zirkel".

"Ich will gerne etwas mit Außenwirkung", sagt Roloff über sein Büro in München

Das ist zwar nicht gut für die persönliche Neugier, aber vielleicht ein günstiges Zeichen, wenn man später mal gemeinsam regiert. Roloff ist wie Schäfer frisch dabei, aber auch er hat schon eine Basis gefunden, wie er künftig eventuell mehr mitreden kann als es für einen Neuling die Regel ist. Der linke Flügel der SPD wählte ihn zu einem seiner drei Bundesvorsitzenden, schon vor knapp zwei Wochen. Das bedeutet für ihn jedoch noch mehr Organisationspflichten, als er eh schon hat. "Die komplette Übergabe, wer hat Zugang zu welchem Laptop, und so weiter."

Doch Roloff hat die vergangenen Wochen schon genutzt, um sein neues Abgeordnetenleben kräftig voranzutreiben. Für 22 000 Euro pro Monat darf er Mitarbeiter anstellen, wie alle seine Kollegen. Er hat sich für ein Modell mit drei Vollzeit- und zwei Teilzeitkräften entschlossen, mit denen er ein Büro in Berlin und eines in seinem Wahlkreis unterhalten wird. Die fünf müssen dafür reichen. "Ich wollte die ja auch ordentlich bezahlen", sagt Roloff. Am 1. November geht es für sein Team los, in München sucht er noch ein Büro. "Ich will gerne etwas mit Außenwirkung, wo die Bürger einfach mal reinkommen können. Nicht einfach zu finden im Süden." Dafür ist Roloff im auch nicht einfachen Berlin einen Schritt weiter. "Ich habe ein Zimmer in Berlin-Mitte", sagt er. Die Einrichtung ist jedoch noch etwas spartanisch. "Bisher liegt nur eine Matratze drin. Tisch und Stühle habe ich übernommen." Auch fürs Arbeiten hat er ein Dach über dem Kopf in Aussicht, wenn auch ein provisorisches. Denn neue Abgeordnete können nicht sofort in ein eigenes Büro ziehen, das dauert traditionell. "Ich habe im Büro von Bärbel Bas Asyl erhalten", sagt er, also bei einer Fraktionskollegin, die schon länger dabei ist. Nun kann er also sein "provisorisches Büro", das Café im Paul-Löbe-Haus, wieder nur zum Kaffeetrinken nutzen. Bis seine Mitarbeiter anrücken, wird es für ihn noch etwas einsam bleiben, manchmal blickt Roloff deshalb mit Sehnsucht auf seinen Instagram-Account: "Da sehe ich, wo mein Team gerade am Strand liegt."

Auch Schäfer hat vorläufig Unterschlupf bei einer Kollegin gefunden, die schon länger im Bundestag sitzt: Sie kann das Büro von Kirsten Kappert-Gonther nutzen, einer Abgeordneten aus Bremen. Das sei praktisch zwischen zwei Sitzungen im Bundestag, sagt die 28-Jährige. Dort merkt sie dann doch von Zeit zu Zeit, dass sie ein Neuling ist - noch gehört das Verlaufen dazu. Schäfer hat aber das Glück, dass sie noch ein Büro in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen hat, meistens arbeitet sie dort. Eine Büroleiterin hat sie schon eingestellt, am Freitag hatte diese ihren ersten Arbeitstag. In den kommenden Wochen will Schäfer weitere Jobs ausschreiben. Wissenschaftliche Mitarbeiter einzustellen, ergebe aber erst Sinn, wenn klar sei, in welchen Ausschüssen sie sitze, sagt sie. Welche das sein könnten? Es gebe da schon Themen, die sie reizen würden - mehr will sie noch nicht verraten. "Das klären wir intern, in einem fairen, transparenten Prozess." Eine weitere Stelle wird es in ihrem Wahlkreisbüro geben. Dafür ist auch Jamila Schäfer nun auf der Suche nach einem Ort im Münchner Süden, gut erreichbar soll der vor allem sein.

Ein Highlight war für Schäfer der Bundeskongress der Grünen Jugend am vergangenen Wochenende, jener Jugendorganisation, für die sie "leider seit ein paar Monaten zu alt" ist. Am 28. Geburtstag ist Schluss. Umso schöner sei es gewesen, "durch diese Halle zu laufen", mit 800 Leuten, "der größte Bundeskongress aller Zeiten". Die Stimmung: "Euphorisch", schließlich sind für die Grünen eine Menge junge Leute ins Parlament eingezogen.

Am Freitagmittag ist es schließlich da: das Sondierungspapier. In den sozialen Medien freut sich Schäfer: über das Bekenntnis zu den Pariser Klimazielen und einem moderneren Staat, zu höheren Mindestlöhnen und einer Kindergrundsicherung - und vor allem dazu, "das Sterben und die Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen zu beenden". Wieder sind Roloff und Schäfer dem richtigen Beginn ihrer neuen Arbeit ein Stückchen näher.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2021
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