Werksviertel:Ein Job für Schwindelfreie

Werksviertel: René Jeschke klettert zwischen den Masten herum.

René Jeschke klettert zwischen den Masten herum.

(Foto: Robert Haas)

Jeden Morgen überprüfen René Jeschke und seine Kollegen jeden Bolzen am Riesenrad im Werksviertel, fünf Stunden lang. Trotzdem kann es mal hängen bleiben.

Von Pauline Stahl

Da oben, in 40 Metern Höhe hängt er in der Luft. Nur ein schmaler Korb umgibt ihn, in den gerade einmal eine Person passt. Auch wenn es an diesem Morgen windstill ist, schwankt er langsam hin und her. Schaut René Jeschke in die eine Richtung, sieht er die Münchner Kirchtürme, auf der anderen Seite hat er einen Blick auf die Alpen - vorausgesetzt, das Wetter spielt mit. Das ist eines der Dinge, die der Techniker des Riesenrads namens "Hi-Sky" im Werksviertel so sehr an seinem Job liebt: "Bei Sonnenaufgang ist das einfach herrlich." Denn bevor das 78 Meter hohe Fahrgeschäft Besucher um Besucher in gut zwei Dutzend Gondeln durch die Luft befördert, steht ganz früh am Morgen schon die Wartung an. Täglich.

Jeden Tag sind mindestens zwei der insgesamt circa 20 Mitarbeiter von 5 bis 10 Uhr morgens am Riesenrad beschäftigt. Mit Adleraugen betrachten Jeschke und seine Kollegen das Rad von unten, inspizieren jede einzelne Gondel, klettern in den Masten umher und überprüfen aus schwindelerregender Höhe die Splints, welche die gesamte Konstruktion zusammenhalten. Schrauben gibt es laut Jeschke kaum, "die meisten Teile sind mit Bolzen und Sicherungssplints zusammengesteckt".

Nicht nur die Technik muss funktionieren, auch die Sauberkeit gehört zum Aufgabenbereich der Mitarbeiter. Sobald alle Lichter angeschaltet und die Motoren gestartet sind, heißt es allmorgendlich Müll aufsammeln und für Ordnung sorgen. Gegen sechs Uhr morgens erwacht das weltweit größte transportable Riesenrad des Betreibers Motorworld Group, die zur Dünkel-Unternehmensgruppe gehört, zum Leben, dreht ohne Passagiere seine erste Runde. Jetzt sind gute Augen gefragt. René Jeschke auf der einen und sein Kollege Robert Schlierf auf der anderen Seite überprüfen die Sicherungssplinte an den Aufhängungen jeder Kabine.

Anschließend geht es für Jeschke hoch hinaus, an die Achse des Rads. Damit er für alle Fälle abgesichert ist, schlüpft er in eine Absturzsicherung. Dann verschwindet der 39-Jährige im Inneren von einem der schmalen Maste, die zur Mitte des Riesenrads führen. Ein paar Minuten lang ist nur noch das Klacken des Karabiners zu hören, den er nach ein paar Stufen immer wieder ausklinken und neu an der Leiter befestigen muss. "Wenn ich oben bin, bin ich gut außer Atem", sagt Jeschke, der sich auf eine Stellenanzeige im Internet auf den Job beworben hat.

Platz- oder Höhenangst sollte hier kein Mitarbeiter haben. Circa 35 Meter muss Jeschke hinauf, bis er an eine Plattform gelangt, von der aus er den Korb besteigen kann. Den steuert er nun mit einer Fernbedienung Richtung Boden, damit er aus- und sein Kollege einsteigen kann. Die nächsten zwei Stunden verbringt Schlierf damit, in dem Wartungskorb zwischen den einzelnen Stäben, die von der Gondel zur Achse führen, hoch und runter zu fahren. Dabei überprüft er, ob jede Scharnierverbindung, jeder Splint und jeder Bolzen noch dort sitzt, wo er hingehört.

Werksviertel: Liebt seinen Beruf mit Aussicht: René Jeschke

Liebt seinen Beruf mit Aussicht: René Jeschke

(Foto: Robert Haas)

Ob alles in den Kabinen funktioniert, checkt der ehemalige Möbelmonteur nun, schaut, ob alle Fensterscheiben ganz sind und testet den Notknopf. "Test, eins, zwei, drei", spricht er in die Anlage, die mit dem Funkgerät seines Kollegen verbunden ist. "Der Notknopf wird täglich von Gästen gedrückt", erzählt Jeschke, "aber nicht wegen eines Notfalls, sondern einfach, weil er da ist." Vor allem kleine Kinder betätigen die leuchtende Taste gerne einmal einfach aus Spaß. Sind der Knopf oder die Klimaanlage kaputt, wird die Kabine für Gäste gesperrt, bis ein Techniker sie repariert hat.

Zusätzlich zur täglichen Wartung wird die Anlage im wöchentlichen und auch im vierteljährlichen Turnus durchgecheckt. Jährlich schauen TÜV-Prüfer vorbei, wenn es um die Verlängerungsprüfung für die Betriebserlaubnis geht. Auch die Betreiber anderer bekannter Riesenräder nehmen die Sicherheit an ihren Fahrgeschäften sehr ernst - was man als Fahrgast doch auch hoffen will. So finden beispielsweise in Wien ein Mal jährlich Revisionsarbeiten statt, alle zwei Monate prüft eine Wartungsfirma das Riesenrad, und auch dort checken die Mitarbeiter täglich, ob alles in Ordnung ist.

Der Inbetriebnahme des Riesenrads im Werksviertel steht gegen neun Uhr morgens nur noch ein Motor- und ein Bremstest im Wege. "Es gibt immer einen Mastermotor, der die Geschwindigkeit an die restlichen sieben Motoren weitergibt", erklärt Jeschke. Beim Motortest überprüft er von einem Computer im Steuerungshäuschen aus, ob jeder dieser Motoren als Hauptmotor funktioniert. Bei voller Motorkraft zieht Jeschke nun die Bremsen - sie greifen einwandfrei. Und selbst wenn einmal der Strom und das Notaggregat ausfallen, kann das Rad gestoppt werden. "In diesem Fall würden wir die Bremsen öffnen", erläutert Jeschke. Durch die Schwerkraft sinke die schwerste Kabine mit den meisten Personen dann ganz langsam nach unten, bis das Riesenrad schließlich von alleine stehen bleibe.

Werksviertel: In die Masten wird hinein gekrochen, Bolzen und Splints geprüft und die Notrufknöpfe getestet.

In die Masten wird hinein gekrochen, Bolzen und Splints geprüft und die Notrufknöpfe getestet.

(Foto: Robert Haas)

Genau dieser Fall trat an einem Dienstagnachmittag Anfang September dieses Jahres ein: Das Rad stand plötzlich still; 14 Fahrgäste hingen in den Gondeln fest, einer der acht Antriebe war durchgeschmort. Das Sicherheitssystem hatte automatisch die Anlage abgeschaltet, obgleich auch sechs der Aggregate für den Normalbetrieb ausreichen würden. 30 Feuerwehrleute rückten an - und beförderten die Passagiere quasi mit Gewicht und Muskelkraft zu Boden: Über eine Plattform stiegen die Retter nacheinander in die zweite Gondel über dem Boden ein, die so genug Gewicht zulegte, dass die Kollegen den 78-Meter-Ring wie ein Mühlenrad jeweils ein Stückchen weiter drehen konnten. Nach einer Dreiviertelstunde waren alle Menschen unbeschadet wieder draußen. Auf "Herz und Nieren" sei das Riesenrad dann getestet worden, versichert eine Sprecherin der Betreiberfirma, bis die Gondeln am Donnerstag dann wieder wie gewohnt ihre Runden drehen konnten.

Auch für andere Eventualitäten ist das Team des 750 Tonnen schweren Fahrgeschäfts gewappnet. Eine eigene Wetterstation misst dauerhaft die Windgeschwindigkeit. "Übersteigt diese permanent 50 Stundenkilometer oder kommt ein Gewitter zu nah heran, müssen wir schließen", sagt Jeschke. Das komme durchaus öfter vor.

Zwei Jahre lang soll das transportable Fahrgeschäft im Werksviertel bleiben. Auch danach soll es sich weiterhin in München drehen. Wo genau, steht noch nicht fest. Mindestens für die zwei Jahre wird auch Jeschke noch seine Checks am Riesenrad machen und regelmäßig den Blick auf die Frauenkirche auf der einen Seite und auf die Alpen auf der anderen Seite genießen. Nicht nur auf ihn selbst, auch auf viele Besucher hat das Riesenrad eine besondere Wirkung, wie er immer wieder feststellt: "Manche Besucher sind vor der Fahrt sehr ernst, und wenn sie dann wieder runterkommen, plötzlich ganz fröhlich", hat Jeschke beobachtet. "Das ist wirklich faszinierend."

Das Riesenrad ist von Montag bis Sonntag von 10 bis 22 Uhr geöffnet. Die letzte Fahrt findet circa 30 Minuten vor Betriebsschluss statt. Für Erwachsene kostet die Fahrt 14.50 Euro, Senioren (von 65 Jahren an) und Besitzer einer München- oder City Tour Card zahlen 12.50 Euro, Schüler und Studenten 10.50 Euro und Menschen mit einem Schwerbehindertenausweis neun Euro.

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