Richard-Wagner-Verband:Im Einklang mit der Nazi-Ideologie

Buchbesprechung von Jakob Wetzel

Eine "deutsche Musik" sollte die eigene kulturelle Überlegenheit unter Beweis stellen, so die Vorstellung der Nationalsozialisten. Der Richard-Wagner-Verband in München konnte sich damit offenbar gut arrangieren.

Ein Buch beleuchtet die Geschichte des Richard-Wagner-Verbands in der NS-Zeit - und stellt fest: das Verhältnis der Münchner Ortsgruppe zu den neuen Machthabern war erschreckend gut.

Von Jakob Wetzel

Es muss eine eigentümliche Beratung gewesen sein. Im Frühjahr 1944 hatte der Bombenkrieg längst München erfasst. Amerikaner und Briten hatten bereits 15 Angriffe geflogen, Gebäude lagen in Trümmern, beim jüngsten Angriff im Oktober 1943 war unter anderem das Nationaltheater niedergebrannt. Doch am 8. März 1944 trafen sich inmitten der Zerstörung Vertreter der Staatsoper und des bayerischen Innenministeriums und verhandelten über ermäßigte Eintrittskarten.

Es ging um Münchens Wagnerianerinnen: Die Mitglieder des örtlichen Richard-Wagner-Verbands Deutscher Frauen durften bereits seit 1936 günstiger in die Oper, ein Gunstbeweis des Regimes. Acht Jahre später fiel die Entscheidung erneut zu ihren Gunsten aus: Wenn eine Aufführung Richard Wagner gewidmet sei, dürften sie weiter ermäßigt hinein, hieß es. Wenn es kein Nationaltheater mehr gab, dann eben anderswohin: Gespielt wurde künftig im Deutschen Museum. Und der Krieg tobte weiter. Zehn Tage später fiel das Cuvilliés-Theater Bomben zum Opfer. Einen Monat darauf brannte das Odeon.

Das Treffen im März 1944 ließe sich als skurrile Randnotiz der Münchner Stadtgeschichte abtun, stünde es nicht beispielhaft für das Miteinander der Nazis mit Teilen des Kulturbürgertums. Für das Regime war die Musik ein Instrument der Politik. Jüdische Künstler wurden ausgegrenzt, Jazz und Swing geächtet. Eine "deutsche Musik" sollte die eigene kulturelle Überlegenheit unter Beweis stellen. Komponisten wie Beethoven und vor allem Wagner wurden als Wegbereiter des Nationalsozialismus gedeutet. Und das Regime gefiel sich darin, sich selbst bei Konzerten zu inszenieren.

Profiteur davon war unter anderem der Richard-Wagner-Verband Deutscher Frauen, dessen Treiben von 1933 bis 1945 nun Elisabeth Fuchshuber-Weiß erforscht hat. Aus aktuellem Anlass: Der heutige Richard-Wagner-Verband München, 1953 neu gegründet, feiert eine Art von Jubiläum, ist doch der allererste Münchner Wagner-Verband am 17. September 1871 entstanden, also vor 150 Jahren.

Im Oktober sollen nun Wagner-Enthusiasten aus aller Welt zu einem Kongress nach München kommen, geplant sind Konzerte, Vorträge, Stadtrundgänge und Ausflüge. Doch zuvor hat sich Fuchshuber-Weiß daran gemacht, mit teils unerschlossenen Dokumenten eine Lücke zu schließen, die in der Verbandshistorie klaffte; sie umfasste jene zwölf Jahre. Das Ergebnis ist eine detailfreudige Studie zu einem "verdorbenen Jahrzwölft", wie die Autorin bilanziert.

Nach der Machtübernahme der Nazis fand die Ortsgruppe rasch Kontakt zur Politik

Die Geschichte der Wagner-Vereine in München ist einigermaßen verwirrend. Immer wieder gab es Neugründungen, und für manche Jahre ist unklar, ob es ein Vereinsleben gab. Der "Richard-Wagner-Verband Deutscher Frauen" entstand 1909 mit dem Ziel, Geld einzusammeln, um Bedürftigen den Besuch der Bayreuther Festspiele zu ermöglichen. Solche Stipendien sind auch eines der Anliegen des heutigen Verbandes.

Welche Geisteshaltung einst herrschte, zeigt indes eine Episode aus den Zwanzigerjahren. Da plante der Ortsverband ein Festkonzert für den 10. November 1923. Wagners Sohn Siegfried sollte im Odeon die Uraufführung seines Werkes "Glück" dirigieren, am 8. November reiste er mit Ehefrau Winifred nach München. Dort jedoch fiel dann kurzfristig der offenbar erhoffte Anlass weg, denn gefeiert werden sollte wohl der Erfolg des Hitlerputsches. Das Konzert sei "durch den Ausnahmezustand unmöglich gemacht" worden, hieß es in einem Entwurf für den Jahresbericht des Verbandes. Das Konzert wurde im Dezember nachgeholt.

Nach der Machtübernahme der Nazis fand die Ortsgruppe unter der neuen Vorsitzenden Elisabeth Wölfel rasch Kontakt zur Politik. Nazi-Oberbürgermeister Karl Fiehler saß bald im Ehrenausschuss des Verbands. Und der blühte auf, konnte seine Mitgliederzahl bis 1939 auf 312 mehr als verdoppeln und lud zu Konzerten und Vorträgen ein, teils in Privathäuser, teils in Hotels sowie ins Künstlerhaus am Lenbachplatz - und stets im Einklang mit der Ideologie der Nazis. Der Verband verlieh dem Regime Glanz; umgekehrt erhielt er Begünstigungen, hauptsächlich Geld.

Das Miteinander setzte sich im Krieg fort, mehr noch: Das Regime überwies nun sogar noch mehr Geld als zuvor, mit der Auflage, an der "Heimatfront" für Ablenkung zu sorgen. Der Verband machte mit, stabilisierte also das Regime. Er organisierte unter anderem "Feierstunden" für Verwundete und immer wieder Konzerte. Bis zum Schluss.

Der Tonfall dieser Beziehung spricht aus einem Brief der Vorsitzenden Wölfel an Nazi-Gauleiter Paul Giesler vom Mai 1944. Darin bedankt sie sich für dessen Radio-Durchsagen bei Luftangriffen: "Wenn in den bangen Alarmstunden durch den Rundfunk Ihre Orientierungen, Ermahnungen, Beruhigungen an unser Ohr dringen, dann fühlt man sich geborgen, man hat das Gefühl eines lebendigen Schutzes", schrieb sie. Danach bittet sie um Geld. Solche Schmeichelei war nicht unüblich in der von Korruption und Günstlingswirtschaft durchdrungenen Welt des Nazi-Regimes. Giesler gefiel der Ton sowieso. In seiner Antwort bedankte er sich für die "in Ihrem liebenswürdigen Brief zum Ausdruck gebrachten anerkennenswerten (sic!) Worte". München erlebte im Juni und Juli 1944 die verheerendsten Bombenangriffe des Zweiten Weltkrieges. Der Richard-Wagner-Verband erhielt von Giesler 1500 Reichsmark.

Elisabeth Fuchshuber-Weiß: Zwischen Tatkraft und Verblendung. Der Richard Wagner Verband München in der "Hauptstadt der Bewegung" 1933 bis 1945, München: Allitera Verlag 2021, 296 Seiten, 24,90 Euro.

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