SZ-Serie: Im Lichte der Stadt:Der Appetit kommt mit der richtigen Beleuchtung

Lampen und Leuchten sind in Restaurants fast so wichtig wie die Gerichte. Lichtgestalter Gerd Pfarré weiß, wie Essen in Szene gesetzt wird - an Theken zum Beispiel mit "Wurstlicht".

Von Franz Kotteder

Wer kocht, weiß: Das Auge isst mit. Wer Restaurants ausstaffiert, weiß das auch. "Aber viele stecken viel Geld in die Deko", das weiß wiederum Gerd Pfarré, "und am Schluss machen sie dann noch mit dem Rest, der noch da ist, etwas Licht. Man sieht das dann auch." Pfarré schmunzelt, wenn er das sagt. Dabei könnte er sich genauso gut darüber aufregen. Schließlich ist er Lichtgestalter von Beruf, sein Münchner Büro hat weltweit schon zahlreiche, vor allem öffentliche Orte ins rechte Licht gesetzt. Und das im Wortsinne, vom Zentralen Omnibusbahnhof in München bis zum Kulturpalast in der usbekischen Hauptstadt Taschkent.

Gerd Pfarré sitzt im Restaurant Hutong Club, einem mehrfach ausgezeichneten chinesischen Restaurant in der Franz-Joseph-Straße mit leichtem Szene-Touch, und erzählt, was man mit Licht in der Gastronomie so alles anstellen kann. Oder könnte. "Restaurants und Hotels sind da sehr interessant, ebenso wie Verkaufsräume", sagt er, "da geht es darum, wie Leute geführt werden und ob sie sich wohlfühlen." Im Falle des Hutong Clubs soll man sich in eine verruchte chinesische Bar versetzt fühlen, in dem dunklen, mit schwarz gelackten Holzpaneelen verkleideten, fensterlosen Hauptraum vielleicht sogar in eine Opiumhöhle. Spotlights zielen auf die einzelnen Tische und Reliefs an den Wänden, indirektes Licht erhellt die rötliche Decke.

Alles klassisches Lichtdesign, findet Pfarré, ganz im Sinne von Richard Kelly. Der Amerikaner gilt als Pionier der Lichtgestaltung, er zeichnete für das Lichtdesign im berühmten Seagram Building von Mies van der Rohe verantwortlich und hat die Grundlagen gelegt, die in der Branche noch heute befolgt werden. Grob gesagt basieren die auf drei Säulen: Da gibt es das vertikale "Licht zum Sehen", das sich einigermaßen gleichmäßig über den gesamten Raum ausbreitet, dann das "Licht zum Hinsehen" mit dem Fokus auf einzelne Punkte im Raum, und schließlich das "Licht zum Ansehen", beispielsweise in Form eines ganz besonders prächtigen Kronleuchters mit sehr vielen Lichtern.

Häufig ist die Beleuchtung eines Lokals eine Mischform aus diesen drei Grundprinzipien, sagt Pfarré - je nachdem, welche Bereiche bespielt werden. Mal ist es der Tresen, an dem man gesehen werden will, dann das intime Separee, in dem man nicht gestört werden soll. Gehobene Szenelokale wie das Café Roma in der Maximilianstraße und das Rocca Riviera am Wittelsbacherplatz bedienen beide Bedürfnisse, das Steakrestaurant Theresa Grill in der Theresienstraße findet Pfarré besonders gelungen: "Die sündhaft teure Chipperfield-Leuchte über dem Tresen ist ein absoluter Eyecatcher", sagt er, aber ansonsten sei das Licht auch gedämpft. Der klassische Kronleuchter, sozusagen, kombiniert mit Rückzugsbereichen, wo dann dezenter beleuchtet wird. Lokale, in denen der Prunk so richtig abgeht, sind inzwischen seltener geworden. Das eben erst für stolze 20 Millionen Euro neu gestaltete Restaurant Schwarzreiter im Hotel Vier Jahreszeiten, etwa: Hier dürfen die Kronleuchter noch funkeln und strahlen und die Gäste sich wie Schlossherren fühlen.

Restaurants wie der Hutong Club bieten wieder andere, nicht nur kulinarische Erlebnisse. Ihr Publikum ist eher jung und oft schon viel gereist, es will auch beim Essen eine Geschichte erleben. Was ihm hier in der Franz-Joseph-Straße allerdings so authentisch chinesisch vorkommt, fände es in Wirklichkeit eher beim Goetheplatz ums Eck, im uigurischen Restaurant Tengri Tagh. Das ist hell erleuchtet wie ein Waschsalon. "Chinesen wollen das so", erzählt Pfarré, "das macht eine helle Hautfarbe." Anders als bei uns ist Sonnenbräune dort nicht sehr hoch angesehen: Wer gebräunt ist, gilt vielen als Feldarbeiter.

Münchner Restaurantgäste halten es da eher mit Saint-Exupéry und finden: "Man sieht nur mit dem Herzen gut", weshalb es am Tisch gern auch etwas dunkler sein darf. In gut besuchten Lokalen wie dem Kismet oder der Brasserie Colette erkennt man wegen des stark gedimmten Lichts dann zwar kaum noch, was auf dem Teller ist, aber gut. "Überhaupt sind die Designer überall viel am Schrauben", sagt Pfarré, "der Begriff ,moody' ist ein großes Thema. Zurzeit hat man es mit Kohlefaden-Glühbirnen, die das Warme am Licht in den Mittelpunkt stellen." Das wirkt stimmungsvoll und macht Appetit, was man übrigens auch von den Verkaufstheken im Supermarkt und in den Bäckereien kennt. Dort verwendet man Licht, das nur knapp heller ist als Kerzenschein, mit einem deutlichen Gelbton. Lichtgestalter nennen das dann etwas respektlos, aber zweifellos zutreffend: "Wurstlicht".

Es gibt ja auch das andere Extrem. Filialen von Fastfood-Lokalen wie McDonald's, Burger King, Kentucky Fried Chicken bis hin zu Ketten wie L'Osteria sind meist hell erleuchtet. Je heller, desto effektiver: Es soll ja nicht zu gemütlich werden. Damit die Gäste nach dem Essen gleich wieder neuen Gästen Platz machen. Das ist in großen Bierkellern oder Bierzelten nicht anders. Wenn man so will, kann man an der Intensität des Lichts in einer Gaststätte also auch ablesen, welche Bedeutung der Individualität des Gastes und seinen Bedürfnissen beigemessen wird.

Ganz oben, im Olymp der Kochkunst, ist das anders. "Das Produkt ist der Star", lautet seit jeher das Credo des Münchner Jahrhundertkochs Eckart Witzigmann. Also ist der Tisch die Bühne. Nirgendwo lässt sich das besser beobachten als in Münchens einzigem Drei-Sterne-Restaurant Atelier im Bayerischen Hof. Gedämpfte Erdfarben bestimmen den Raum, beinahe erwartet man sich Höhlenzeichnungen an den Wänden. Die fast schon priesterlichen Gewänder des Service-Personals vermitteln ebenfalls ein Gefühl von grauer Vorzeit. Dann aber kommt der erste, strahlend weiße Teller auf den Tisch, genau dorthin, wo der Punktstrahler sein helles Licht hinwirft. Eine perfekte Inszenierung, die zeigt, was die Küche kann - wenn man ihre Erzeugnisse nur ins rechte Licht rückt.

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