Theater:Blüte des Leidens

Lesezeit: 2 min

Auftritt in einer blumigen Seelenlandschaft: Johannes Nussbaum in seinem Werther-Solo. (Foto: Katarina Sopcic)

Johannes Nussbaum spielt den Solo-Abend "Werther. Ein theatralischer Leichtsinn" am Residenztheater. Regisseurin Elsa-Sophie Jach hat die Geschichte mit Humor und Leichtigkeit inszeniert.

Von Anne Fritsch, München

Da ist er nun, dieser Werther, dessen Liebes- oder eher Leidensgeschichte alle Welt kennt. Johannes Nussbaum betritt die Bühne des Residenztheaters, auf dem Kopf eine hellblaue Perücke, am Leib eine bunt gemusterte Hose, ein weites Schleifenhemd. Er begrüßt das Publikum, schäumt über vor Freude über das Leben und die Natur. "Ich bin so glücklich", schwärmt er, "ich bin so allein." Beides wird sich schnell ändern. Werther wird sich in Lotte verlieben; die aber ist mit Albert verlobt; Werther wird leiden und sich schließlich mit Alberts Pistole erschießen. Johann Wolfgang von Goethe verarbeitete in seinem Briefroman "Die Leiden des jungen Werther" die eigene unglückliche Liebe zu Charlotte Buff, die Folge war eine ganze Reihe von Selbstmorden junger Verzweifelter. So weit, so bekannt.

Elsa-Sophie Jach, die am Residenztheater bereits "Herz aus Glas" von Herbert Achternbusch und "Die Unerhörten" inszeniert hat und von nächster Spielzeit an Hausregisseurin sein wird, nimmt sich den Stoff nun unter dem Titel "Werther. Ein theatralischer Leichtsinn" vor. Sie will der männlichen eine weibliche Perspektive hinzufügen: die der romantischen Dichterin Karoline von Günderrode, die sich nach der Lektüre des "Werther" und einer ebenfalls unglücklichen Dreiecksgeschichte mit einem Dolch erstach. Jach erhebt Günderrode zum weiblichen Spiegelbild Werthers: Die Frau, die bei Goethe reine Projektionsfläche der männlichen Fantasie bleibt, soll selbst zu Wort kommen. Ein reizvoller Ansatz, der sich allerdings in der Inszenierung nicht wirklich erfüllt, dafür wird der Autorin zu wenig Raum gegeben. Nussbaum, der den Abend als Solo mit Live-Musikbegleitung stemmt, trägt zwar hier ein Gedicht vor, spricht da aus dem Off einen Text von ihr ein, die angekündigte "Verschwesterung" aber bleibt aus. Immerhin wird das Ungleichgewicht - auch das männlicher und weiblicher Autorenschaft - thematisiert: "Man spricht viel von den Leiden des jungen Werther, aber andere Leute haben auch ihre Leiden gehabt, sie sind nur nicht gedruckt worden."

Die Musik erhöht den Puls der Inszenierung: Bettina Maier (li.) und Sarah Mettenleiter (re.) treiben den Abend mit Johannes Nussbaum in ihrer Mitte voran. (Foto: Katarina Sopcic)

Jach jongliert mit der Geschichte und dem Theater, begegnet der Tragik mit Humor und Leichtigkeit. Nussbaum übernimmt souverän alle Figuren, bringt als Lotte kaum das Wort "verlobt" über die Lippen, überführt den inneren Druck in körperliche Ticks, springt in die Rolle und wieder hinaus, wendet sich direkt an Publikum, Musikerinnen, Souffleuse und Techniker. Dieses Leiden ist ein großes Spiel, auch eines mit den verschiedenen Möglichkeiten. Was wäre, wenn? Wenn Werther das Ganze einfach beenden würde, sobald er von Lottes Verlobtem erfährt? Das tut er auch in diesem Multiple-Choice-Setting nicht. Trotzdem ist dieses Selbstmordtheater definitiv eines mit Wohlfühlcharakter, in dem Werther auch mal wohlig über die Bühne schaukeln darf. Jach reduziert die Goetheschen Texte aufs Wesentliche, manchmal bleibt nur ein Satz von einem Brief, einer, der alles sagt: "Ich leide viel."

Bühnen- und Kostümbildnerin Aleksandra Pavlović hat diesem Werther eine Seelenlandschaft entworfen, eine Umgebung, die sich wie sein Gemütszustand verändert. Zu Beginn hängt der Himmel über ihm voller Blumen, die auf einen transparenten Vorhang projiziert werden. Später verschwinden sie, machen Platz für einen zweiten Vorhang aus grellgrünem Kunststoff, ein farbliches Zitat nurmehr von einer einst umarmenden Natur. Eine Badeleiter führt zu einer schwarzen Scheibe, dem schwarzen Loch, in das Werther blicken wird.

Die Elemente der Inszenierung fügen sich famos zu einem Ganzen. Wenn Werther von der ersten Begegnung mit seiner Lotte berichtet, setzt Musik ein, ab da werden Bettina Maier und Sarah Mettenleiter in ihren opulenten Kostümen den Abend mit Synthesizern, Bassklarinette und Klavier nicht nur begleiten, sondern vorantreiben. Auch ohne Schlagzeug wirkt die Musik, die Max Kühn und Roman Sladek komponiert haben, wie ein erhöhter Puls, ein Stimmungsbarometer. Mal zart, mal drängend, mal dräuend. Wie die Liebe.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: