Süddeutsche Zeitung

SZ-Veranstaltung "München redet":Mut in der Hoffnungslosigkeit

Putin, Hegel, Cancel Culture: Philosoph Slavoj Žižek bietet im ausverkauften Residenztheater eine Tour d'Horizon bis hin zu den unterschiedlichen Ideologien, die er in den verschiedenen Toilettenmodellen in Deutschland, Frankreich und den USA erkennt.

Von Harald Eggebrecht

Ausverkauft war der Abend im Residenztheater aus der Diskussionsreihe in Kooperation mit der SZ "München redet". Im Mittelpunkt stand der sein Denken spontan aus dem Moment heraus entwickelnde Philosoph Slavoj Žižek. Auf dem Theaterprogramm steht derzeit auch die Inszenierung von der wie Žižek aus Slowenien stammenden Regisseurin Mateja Koležnik, die die "Antigone" von Sophokles kombiniert mit jener Version, die Žižek erstellt hat, "Die drei Leben der Antigone". Doch das unterhaltsame und manchmal weit ausgreifende Gespräch zwischen dem Philosophen und dem SZ-Redakteur Andrian Kreye drehte sich nicht um die antike Tragödie, sondern vielmehr um die Widersprüche und Krisen unserer Gegenwart.

Kreye stellte auf Deutsch seine Fragen, die Žižek in einem amüsanten Mix aus deutschen Einsprengseln und Englisch beantwortete, dem eine deutsche Übersetzung folgte. Er nahm die Fragen zum Anlass, um gedankenreich quasi dahinzuschlendern, ohne auf eine punktgenaue Antwort zu zielen. Vielmehr führte und entfaltete er den Fragenkomplex weiter. Er verstehe gut Deutsch, spiele aber mit den verschiedenen Sprachen und hasse Sprichwörter wie "morgen, morgen nur nicht heute, sagen alle faulen Leute". Es sei umgekehrt: "Heute, heute, nur nicht morgen, sagen alle, die sich sorgen."

Aus den zwei Stunden wurde eine Tour d'Horizon. Sie begann im heimatlichen Ljubljana, wo es ein Hochhaus gab, dessen oberste Etage Lieblingsplatz für Suizide war. Es ging weiter zur "inneren Obszönität" des jugoslawischen Sozialismus. So war Homosexualität beim Militär verboten, doch die Sprache der Soldaten untereinander war voller derber homosexueller Anspielungen. Dergleichen ironische Vulgarität diente dem System als Frustabbau.

Das Beispiel Trump zeige, das da keine ironische Imitation mehr möglich sei, weil Trump schon eine perfekte Imitation seiner selbst sei. Verschiedenen Aspekte der Cancel Culture sprach man an, wie die sozialen Medien einen gewissermaßen privatistischen öffentlichen Raum herstellten, während China dagegen einfach direkt kontrolliere. Kreye wandte ein, dass Cancel Culture doch eine eher amerikanische Debatte sei.

Früh hatte er schon nach der Ukraine gefragt, doch Žižek wich aus, indem er auf das Wissen aller hinwies, dem aber kein Handeln folge. Beispiel die Glasgow-Konferenz zur Erderwärmung, wo es hehre Reden gab, aber danach nichts geschah. Im Zusammenhang mit der sexuellen Identität, die nicht einfach biologisch, sondern Ergebnis eines komplexen psychosozialen Prozesses sei, wies er auf Sigmund Freud hin, der die Dramen und Traumata längst analysiert habe. "Woke is a fake awake", weil man sich dabei in letztlich komfortabler Position befinde, die die Gesellschaft spalte, sehr im Interesse des Kapitalismus.

Das gedankliche Wandern geriet ins strenger Philosophische: Fiktion beeinflusse Wirklichkeit kreativ, Georg Friedrich Hegel sei für heute der offenste Denker, weil er über die Zukunft nichts gesagt habe. Dagegen kenne Karl Marx noch eine zielgerichtete Projektion in die Zukunft. Žižek wies auf Ideologie in den alltäglichen Ritualen hin, etwa anhand unterschiedlicher Toilettenmodelle in Deutschland, Frankreich und den USA. Und er betonte den Mut der Hoffnungslosen, der wie im Film "Independence Day" inmitten der Katastrophen und Dystopien plötzlich eine Utopie des friedlichen Zusammenrückens aller ermögliche.

Nachdem er endlich Putin mit bitterer Ironie als eine Art Faschisten charakterisierte, der die alten Muster erneut hervorhole, meinte Žižek am Ende, auf der "Basis objektiver Sozialdemokratie" könnten für die derzeitigen Großkrisen wie Ukraine-Krieg, Erderwärmung, Energiekrise "militärähnliche" Vorgehensweisen nötig werden. Unter großem Beifall für diesen kurzweiligen Abend versprach Slavoj Žižek für die Fortsetzung des Gesprächs wiederzukommen. Dann müsse man allerdings strenger und konziser zu Werke gehen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5744354
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/hof
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.