SZ-Veranstaltung im Residenztheater:Ein Gendersternchen ist nicht genug

Lesezeit: 3 Min.

Im Residenztheater sprechen unter anderem die SZ-Journalistin Meredith Haaf, Sabrina Berndt vom Queeren Archiv München und die amerikanische Autorin Siri Hustvedt (groß im Bild) über den Gender-Begriff und Identitätsfragen. (Foto: Robert Haas)

Wie soll man anerkennen, dass es andere Geschlechtsidentitäten gibt, wenn keine Wörter dafür existieren? Ist die Trennung von "gender" und "sex" falsch? Das haben Expertinnen in München diskutiert.

Von Veronika Wulf

"Sag einfach Du zu mir, fertig aus." Das habe eine Person, die sich weder als Mann noch als Frau sieht, mal zu ihr gesagt, erzählt Sabrina Berndt vom Münchner Forum Queeres Archiv. Und kurz scheint es so, als sei alles ganz einfach. Das ist es natürlich nicht, denn schon in der dritten Person verlangt das Deutsche ein Geschlecht. Und betrachtet man die Sprache als nur einen Baustein der (Trans-)Gender-Debatte, wird es noch komplexer. Um die Bedeutung dieser Debatte für Identitätsfragen ging es am Donnerstagabend im Residenztheater bei der Diskussionsreihe "München redet" in Kooperation mit der Süddeutschen Zeitung, die SZ-Redakteurin Meredith Haaf moderierte.

Für die einen ist "gender" ein Kampfbegriff gegen links-grüne Politik, für die anderen ein Vehikel zu einer gerechteren Gesellschaft und für wieder andere ein wichtiger Teil ihrer Identität. Ein Problem mit dem aus dem Englischen entliehenen Wort für Geschlecht zeigt sich gleich zu Beginn der Veranstaltung: Jeder versteht darunter etwas anderes.

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Die feministische Autorin Teresa Bücker vermeidet den Begriff deshalb und spricht in Abgrenzung zum genetischen Geschlecht lieber von "Geschlechtsidentität", um für ein breiteres Publikum verständlich zu sein. Siri Hustvedt, amerikanische Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin, die an diesem Abend aus New York zugeschaltet ist, hält die Trennung von "gender" und "sex", von sozialem und biologischem Geschlecht für falsch. "Nature" und "nurture", also Genetik und Umwelteinflüsse wie Erziehung, seien untrennbar und beeinflussten sich gegenseitig. Sabrina Berndt, Mitglied der Rosa Liste und eine Art ehrenamtlicher Vorstand des Gedächtnisses der Münchner LGBTIQ-Bewegung, hat eine sehr persönliche Definition, angelehnt an ihre eigene Transidentität: "Der Kopf ist das Wichtigste, und der Körper ist das, was man angleichen muss."

Dass auch der Begriff "Genderdebatte" missverständlich sein kann, zeigt die Kritik am Titel der Diskussionsrunde, die von der Grünen-Bundestagsabgeordneten Tessa Ganserer und anderen Stimmen der queeren Community im Voraus an die Veranstalter herangetragen wurde. Ganserer, die an diesem Abend eigentlich auf dem Podium sitzen wollte, musste aus anderen Gründen absagen, doch Teresa Bücker erklärt: "Der Begriff ist in den letzten Monaten in Medien und von Menschen genutzt worden, die Transpersonen und queeren Personen ihre Menschenrechte nicht zugestehen wollen."

"Ich habe Angst vor dem, was in den Vereinigten Staaten passieren kann"

Wie wichtig Sprache in der Debatte um Geschlechtsidentitäten ist, zeigt sich am Gendern, das einerseits immer mehr praktiziert wird, andererseits auf harte Ablehnung stößt, wie Meredith Haaf betont. Jahrhundertelang sei das generische Maskulinum die Norm gewesen, sagt Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch, der sich unter anderem mit diskriminierender Sprache beschäftigt. Dann habe man sich, auf Bestreben von Feministinnen, an die weibliche Form gewöhnt. Und nun gehe es darum, eine Sprache zu finden, die alle einbezieht. "Diese Binarität infrage zu stellen, ist für viele Leute eine wirkliche, persönliche Verstörung, weil es unser Weltbild infrage stellt." Das Gendersternchen oder andere inklusive Formen allein führten zu keinem Umdenken. "Aber wie soll man anerkennen, dass es andere Geschlechtsidentitäten gibt, wenn es keine Wörter dafür gibt?"

Welche das sind, ist noch nicht einheitlich ausgehandelt. Teresa Bücker findet es schön zu beobachten, wie Menschen Pronomen erfinden. Auch Siri Hustvedt, die sich als Cis-Frau in ihren Romanen in Personen verschiedener Geschlechter und sexueller Orientierungen hineinversetzt, plädiert für ein spielerisches Entdecken neuer Rollen und Kategorien. Genau das versuchten autoritäre Regime nämlich zu unterdrücken, wie man bei Hitler, Mussolini und Franco gesehen habe. Und mit Blick auf die jüngsten queer- und frauenfeindlichen Gesetze in den USA fügt sie hinzu: "Ich habe Angst vor dem, was in den Vereinigten Staaten passieren kann."

Auch in Deutschland beobachten die Diskutierenden zumindest einen konservativen Rückschlag in der Debatte. "Laut Transsexuellengesetz bin ich immer noch psychisch krank", sagt Sabrina Bernd. Es sei schwierig, eine Gender-Debatte zu führen, wenn Tessa Ganserer im Bundestag von Rechten aufgefordert werde, mit ihrem männlichen Namen zu sprechen. "Aber die Debatte muss geführt werden."

Autoritäre Strömungen, wie es sie auch in der deutschen Politik gebe, fingen immer im Bereich der Sprache an, Frauen und LGBTIQ-Menschen anzugreifen, sagt Stefanowitsch. Und auf diesen ersten Schritt folge stets ein zweiter. "Deshalb ist die Anti-Gender-Rhetorik ein klares Warnsignal, dem man ganz klar entgegentreten muss", sagt er. Applaus aus dem Saal, in dem das Publikum an diesem Abend besonders bunt ist.

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