Kritik:Viele kleine Splitter

Es waren ihrer sechs

Starker Moment: Vincent Glander rezitiert in "Es waren ihrer sechs" eine von Thomas Manns BBC-Ansprachen.

(Foto: Sandra Then)

"Es waren ihrer sechs" am Marstall erzählt die Geschichte des Widerstands der Weißen Rose mit viel Distanz. Manche Ideen waren bereits bei der Stream-Premiere im Februar zu sehen, auf der Bühne erzielen sie einen ganz anderen Effekt.

Von Yvonne Poppek, München

Am 14. Juni 1943 erschien im Time Magazin ein Artikel über die Geschwister Scholl und Christoph Probst. Die knapp 60 Zeilen veranlassten den Exilautoren Alfred Neumann noch im selben Jahr, seinen Roman "Es waren ihrer sechs" über den Widerstand zu schreiben. Faktenfälschung wurde dem fiktiven Text in Deutschland bald vorgeworfen. Neumann verwehrte sich dagegen, ihm gehe es um das "zeitlose Thema" des ungleichen Kampfes mutiger Menschen für Freiheit und Menschenwürde, gegen Tyrannei und Barbarei .

Um diese "ewige Idee" geht es auch bei Michal Borczuchs Adaption des Romans im Marstall. Borczuch hatte schon im Februar gezeigt, wie er sich dem nähert. "Es waren ihrer sechs" präsentierte das Residenztheater im Lockdown als Stream. Der Regisseur wählte als Mittel Distanz und Entkernung. Vorgedrehte Filmsequenzen wechselten mit Szenen, die die Schauspieler bei der - so inszenierten - Einübung der Rolle zeigten. Zeitsprünge, Verfremdungseffekte, Bezüge zur Gegenwart kombinierte der Regisseur mit einzelnen, neu sortierten Passagen von Neumanns Text. Das Ergebnis war sehenswert.

Am Freitag hatte die Produktion nun im Marstall auf der Bühne Premiere, in einer teils veränderten Form. Das Grundgerüst behielt Borczuch allerdings bei - und dieses sperrte sich an einigen Stellen gegen das Live-Erlebnis Theater. Beispiel Filmsequenzen: Im Stream sind sie ein spielerisches Element unter artverwandten Bildern. Auf der Bühne bleibt ein Film ein Film. Er ist nicht live, nicht interaktionsfähig. Letztlich schaut das Publikum Schauspielern dabei zu, wie sie sich selbst auf der Leinwand betrachten. Bedeutungsschwangere Momente zwar, aber auch seltsam leblos.

Formal wählte Borczuch für die Bühne einen unruhigen Weg, sozusagen eine Strecke mit vielen Hinweistafeln, die es erschweren, Kontakt zur eigentlichen Landschaft aufzunehmen. Dabei war die Inszenierung immer dann besonders stark, wenn sie konzentriert den Bühnenmitteln vertraute: das Gespräch von Pauline Fusban und Luana Velis darüber, was ihre Figuren fühlen; Vincent Glander, eine BBC-Ansprache von Thomas Mann rezitierend; Valentino Dalle Mura und Niklas Mitteregger im Dialog über Kriegsverletzungen, Christian Erdt als Christoph, der sich der Einberufung widersetzen möchte. Jegliches Pathos wollte Borczuch aber vermeiden, weshalb schnellstmöglich wieder Distanz zu den Figuren geschaffen wurde, neue Inhalte und Querbezüge ins Spiel kamen. Auch wenn die "ewige Idee" stets präsent blieb, die Abarbeitung daran zerfiel in viele kleine Splitter.

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