Süddeutsche Zeitung

München:Repression in Stein

Mit der Akribie eines Forensikers setzt sich Nicolás Combarro mit den architektonischen Zeugnissen der Franco-Diktatur auseinander

Von Jutta Czeguhn

Der Landeanflug ist von sanft schwankender Unruhe, die weißen Häuser mit den schwarzen Schießschartenfenstern rechts und links der breiten Piste wiegen sich in bedächtigem Rhythmus. Dann bekommt das schwebende Kamera-Auge, oder was immer uns hier zu seinen Passagieren macht, doch irgendwie Bodenhaftung und bewegt sich geisterhaft leicht durch eine Allee völlig gleichförmiger Bauten. Jegliches Leben ist dieser seltsamen Stadt entzogen, trotzdem fühlt man sich beobachtet, die Häuser scheinen den Besuchern aus ihren leeren Fensteraugen zu folgen. In plötzlicher Zielstrebigkeit steuert unser schweigsamer, unsichtbarer Guide auf eine der hohen, dunklen Türen zu. Im Inneren wieder diese gleichgültige Leere. Dann werden die massiven Wände mit einem Mal durchlässig, lösen sich auf, bis dünne Leuchtlinien die streng funktionale Konstruktion dieser Totenhäuser preisgeben. Doch nun genug gesehen, emotionsloser Rückzug ohne Ankündigung, von hoch oben ist uns noch ein letzter Blick auf die Barackenskelette gewährt.

Sechs Minuten dauert die Video-Installation, die der spanische Künstler Nicolás Combarro auf drei Leinwänden im Maximiliansforum zeigt. Der 3D-Film läuft hinter der riesigen Schaufensterscheibe im westlichen Raum. In Dauerschleife, Tag und Nacht, bis zum 26. September. Dann erst wird diese Schau enden, der Combarro und seine Kuratorin Yara Sonseca Mas den Titel "Aufzeichnungen aus dem Untergrund" gegeben haben. Das passt ziemlich gut zu diesem ungewöhnlichen Münchner Kunstort, der direkt und unüberhörbar unter dem Dauerrauschen des Altstadtrings liegt. Anfangs erschien Combarro hier in der schmuddeligen Unterführung die Analogie zwischen Ausstellungsort und -inhalt beinahe schon zu evident, doch am Ende auch sehr reizvoll, berichtet seine Kuratorin, als man sie im Maximiliansforum trifft. Der Künstler, sagt sie, scheue alles Plakative, Emotionale. Sein Ansatz sei der eines Archäologen oder nüchternen Forensikers, Schicht um Schicht lege er mit seinem künstlerischen Tun frei, stelle Bezüge her. Eine Puzzle-Arbeit, dabei nicht klar, ob sich je ein fertiges Gesamtbild ergeben wird. Eine Annäherung. An was?

Als Fotograf beschäftigt sich Nicolás Combarro mit der Beziehung zwischen Architektur und ihrem Kontext. Und die Architektur, die er in diesem Video unten im Maximiliansforum zeigt, ist die der Repression. Jene kalte, monströse Funktionalität von Konzentrationslagern, wie sie NS-Vernichtungsstätten kennzeichnete. Auch im Spanien der Franco-Diktatur hat es Hunderte davon gegeben, nicht selten entworfen nach deutschen Bauplänen. Das letzte spanische Lager wurde erst Ende der Sechzigerjahre geschlossen. Dann verschwanden diese Orte, sie sollten aus dem nationalen Gedächtnis gelöscht werden, wie vieles, was mit der Franco-Diktatur zusammenhängt. Buchstäblich ließ man Gras wachsen über diese Orte, in denen der Diktator seine Gegner verrecken und ermorden ließ. Erst seit Kurzem sind in Spanien Akten aus Militärarchiven der Öffentlichkeit zugänglich. So konnte Combarro für seine 3D-Rekonstruktion des Campo de Concentración de Castuera, die in einem Spezialstudio in den Niederlanden entstand, auf Originalpläne zurückgreifen, aber auch auf Erinnerungen und Zeichnungen ehemaliger Häftlinge.

Nicolás Combarro wurde 1979 geboren, vier Jahre nach dem Ende des Franco-Regimes. Dem greisen Massenmörder war ein friedlicher Tod im Krankenhausbett vergönnt gewesen. In einem Livestream des Kulturreferats hat Combarro den Entstehungsprozess der Ausstellung erläutert und war dabei sehr deutlich geworden. Spanien sei neben Kambodscha das Land mit den meisten noch nicht gehobenen Massengräbern. Zig Tausende Familien wüssten bis heute nicht, wo ihre Angehörigen verscharrt seien, hofften darauf, sie in Würde bestatten zu können. Combarro sieht seine Generation in der Verantwortung, diese noch immer unaufgearbeitete Geschichte endlich aus dem Untergrund ans Licht zu holen - und zu reflektieren und in Kontext zu setzen etwa zu den Menschheitsverbrechen der NS-Diktatur.

Die Schau im Maximiliansforum ist für Nicolás Combarro Teil eines kollektiven, internationalen Prozesses, andere Künstlerinnen und Künstler sind involviert und haben sich in einen Dialog mit dem Spanier begeben. Etwa Studierende der Akademie der Bildenden Künste München aus der Klasse von Professor Hermann Pitz. Diese hatten ihn im Frühjahr zu sich eingeladen, ohne zu ahnen, dass Combarro für einen Aufenthalt in der städtischen Künstlerresidenz Villa Waldberta schon in der Gegend war. Was aus der Kooperation mit den Studierenden entstanden ist, zeigt der östliche Schaufensterraum. Wieder geht es um eine wissenschaftliche Annäherung an Orte und ihre Geschichte. Zu sehen ist eine Serie von Skulpturen, sie verweisen auf die wenigen noch existierenden Überreste des Campo de Concentración de Castuera und auf das berüchtigte Gefängnis Carabanchel in Madrid. Dieses steht für die Repression unter Franco wie kein anderes Gefängnis in Spanien. Ein riesiges spektakuläres Bauwerk, errichtet in den Vierzigerjahren von 1000 politischen Häftlingen, sieben Flügel waren sternförmig um einen zentralen Wachturm herum gruppiert. Trotz massiver Proteste von ehemaligen Gefangenen, aber auch Architekturhistorikern hatte man es 2008 abgerissen. Aus Pappmaché (aus alten Ausgaben der Süddeutschen Zeitung) haben die Münchner Kunststudentinnen und -studenten das Teilnegativ einer kleinen Gedenkstätte gefertigt, die am Ort des Gefängnisbaus aus Abbruchresten errichtet wurde. Dies sei der Versuch, aus Fragmenten von Erinnerungen Geschichte zu rekonstruieren, sagt Kuratorin Yara Sonseca Mas.

Eine fesselnde Arbeit, die ebenfalls zu den "Aufzeichnungen aus dem Untergrund" gehört, könnte leicht übersehen werden. Sie ist an einer der Seitenwänden angebracht, ein Monitor zeigt ein Video des spanischen Filmemachers Miguel Ángel Delgado. Es sind Aufnahmen einer Wetterkamera, die über die beschauliche Bucht der galicischen Insel San Simón schwenkt. Während der Franco-Diktatur diente dort eine ehemalige Leprastation als Konzentrationslager und Gefängnis, heute erinnert kaum etwas daran. Miguel Ángel Delgado kombiniert die mechanischen Bilder der Wetterkamera vom Januar 2020 mit Tagebucheinträgen eines Häftlings aus den Januartagen 1937. Auch der Gefangene hatte - wie Nicolás Combarro und seine Künstlerkollegen - das Ziel, sein Erlebtes so nüchtern und exakt wie möglich zu dokumentieren. Wer wurde wann verurteilt, erschossen. Er wollte ein Zeugnis hinterlassen vom Unrecht, das er mit so vielen anderen teilte.

Im September, auch das gehört zum prozessualen Konzept dieser Ausstellung, wird es noch Workshops und Gespräche geben. Am 22. September diskutiert Nicolás Combarro im Pavillon des Architekturmuseums an der Pinakothek der Moderne über den künstlerischen Umgang mit Spuren repressiver architektonischer Räume. Einen Tag später gibt es im NS-Dokumentationszentrum ein Podiumsgespräch über "sichtbare/unsichtbare Orte der Diktatur". Unter anderem mit María Dolores Jiménez-Blanco vom spanischen Kulturministerium. Ihr wird die Frage zu stellen sein, wann eine Ausstellung wie diese in Spanien zu sehen sein wird.

Nicolás Combarro, "Aufzeichnungen aus dem Untergrund", bis 26. September, Maximiliansforum, Unterführung Maximilianstraße/Altstadtring. Näheres unter https://www.maximiliansforum.de.

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SZ vom 30.07.2021
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