Wann ist man reich? Und wieso reicht das Geld nicht? Menschen haben unterschiedliche Vorstellungen von Wohlstand und Armut. Selbstverständlich sind sie auch objektiv unterschiedlich gut aufgestellt. Neue Daten zeigen, wie es um die finanzielle Gesundheit der Münchnerinnen und Münchner bestellt ist. „München steht besser da als Deutschland, was vermutlich viel mit dem höheren Einkommens- und Vermögensniveau in der Stadt zu tun hat“, sagt Emanuel Renkl, einer der Gründer der Financial Health Initiative (FHI), die diese Studie in Auftrag gegeben hat. Der Münchner Verein möchte einen Beitrag zu Forschung, Bildung und Dialog im Bereich der privaten Finanzen leisten. Er will herausfinden, wie es um die Finanzen der Deutschen und Europäer steht und ihnen helfen, diese zu verbessern.
Für München und Deutschland liegen die Ergebnisse bereits vor. Demnach können beispielsweise 53 Prozent der Münchnerinnen und Münchner eine größere Ausgabe bewältigen, in ganz Deutschland sind es nur 41 Prozent. Mit 53 Prozent gibt es in München auch mehr Menschen, die genug Geld haben, um das Leben genießen zu können, als in Deutschland (43 Prozent). Der Wohlstand in der Landeshauptstadt ist also stärker ausgeprägt als im bundesdeutschen Durchschnitt.
„Ich bin überrascht, dass der Unterschied nicht größer ausfällt“, sagt Renkl. Bei der Aussage „Meine finanzielle Situation bestimmt mein Leben“ steht München mit 36 Prozent Zustimmung nur wenig besser da als Deutschland mit 40 Prozent. Ein möglicher Grund für die gefühlt eher kleinen Unterschiede könnte Renkl zufolge sein: „Man vergleicht sich meistens mit denen, die mehr haben als man selbst – und davon gibt es in München viele.“
Das sieht man auch daran, dass hier deutlich mehr Menschen leben als im Rest der Republik, die auf einen hohen Financial Health Score kommen - und weniger, die auf einen schlechten Score kommen. 56 Prozent der Münchner sagen: Meine finanzielle Zukunft ist abgesichert, verglichen mit 44 Prozent deutschlandweit. Wenn es umgekehrt darum geht, finanziell gerade so über die Runden zu kommen, dann schneidet München mit 34 Prozent besser ab als Deutschland, wo dem 41 Prozent der Befragten zustimmen. Einigkeit herrscht nur in einer Frage: Reicht das Geld aus, das ich habe oder spare? Da zeigen sich in beiden Gruppen 49 Prozent der Befragten besorgt.
Emanuel Renkl kommt aus Niederbayern. Nach der Schule absolvierte er bei der Sparkasse Landshut eine Banklehre und studierte anschließend Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität. Seine Bachelorarbeit schrieb er über die Finanzkrise. Bei der Recherche entdeckte der Student die Bedeutung der einzelnen Konsumenten und ihrer Finanzen für das Wohl und Wehe der gesamten Wirtschaft. Ein Praktikum bei der Onlinebank N26 inspirierte ihn zu seiner Masterarbeit: Wie bewegt man Menschen mit digitalen Nudges (Stupsern) dazu, ihre persönlichen Finanzen zu verbessern? „Zum Beispiel habe ich untersucht, wie Nutzer einer Fintech-App mithilfe eines Neujahrsvorsatzes dazu gebracht werden können, mehr zu sparen“, sagt Renkl.
Mit seiner Forschung will der Wissenschaftler den großen Anteil der Verbraucherinnen und Verbraucher unterstützen, die Probleme im Umgang mit Geld haben. „Ich möchte nicht nur im Elfenbeinturm forschen, sondern die Ergebnisse mit der Wirtschaft teilen und Leuten helfen, finanziell gesünder zu leben“, sagt Renkl, der an der Technischen Universität München promoviert.
Gemeinsam mit Andreas Wittmann, Moritz Nardini und vier weiteren Mitgliedern gründet er 2023 die Financial Health Initiative als gemeinnützigen Verein. Mittlerweile engagieren sich dort mehr als ein Dutzend Doktoranden und Studierende der Wirtschaftswissenschaften, Informatiker und Experten aus dem Fintech-Bereich. Auch ein Influencer ist aktiv: Benjamin Schliebener erreicht mit seinem Social-Media-Kanal „InvestierenmitBen“ Tausende Abonnenten, die er in kurzen Videos über die Börse oder den Trump-Coin informiert. Die FHI finanziert sich aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Zudem wird sie von der Nachhaltigkeitsstiftung der Stadtsparkasse München gefördert. „Wir wollen dazu beitragen, Finanzwissen aufzubauen“, sagt Sparkassen-Chef Ralf Fleischer. Denn finanzielle Schwierigkeiten führten oft zu weiteren Problemen, etwa am Arbeitsplatz oder in der Familie. Und sie sind keine Seltenheit.
45 Prozent der europäischen Haushalte haben Probleme, jeden Monat finanziell über die Runden zu kommen, zeigt eine EU-Statistik über Einkommen und Lebensbedingungen aus dem Jahr 2022. „Das ist eine erschreckend große Zahl“, sagt Renkl. Nach einer Definition der Vereinten Nationen sei finanzielle Gesundheit dann gegeben, wenn ein Haushalt seine aktuellen finanziellen Verpflichtungen reibungslos erfüllen kann und Vertrauen in seine finanzielle Zukunft hat. Finanzielle Gesundheit sei eine entscheidende Grundlage für die nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft und zentrale Voraussetzung, um Armut zu beenden und soziale Ungleichheiten zu verringern.
Wann ist man eigentlich finanziell gesehen gesund?
Doch wann ist man finanziell gesehen gesund? Dafür gebe es gemäß den Vereinten Nationen vier Bedingungen, sagt Renkl. Erstens: Kann ein Haushalt seine alltäglichen Verpflichtungen und Konsumbedürfnisse erfüllen, also ganz banal seine Miete und Rechnungen zahlen? Zweitens: Ist er fähig, finanzielle Schocks – ohne einen Überziehungskredit – abzufedern, wenn etwa das Auto in die Werkstatt muss oder das Laptop kaputt ist? Drittens: Ist er auf einem guten Weg, selbst gesteckte Ziele wie eine Eigentumswohnung oder private Altersvorsorge zu erreichen? Viertens geht es um Vertrauen und Sicherheit: Haben die Menschen das Gefühl, Kontrolle über ihre Finanzen zu haben? Denken sie viel darüber nach? Haben sie Angst, wenn sie darüber nachdenken?
Basierend auf der Arbeit des US Consumer Financial Protection Bureau (CFPB), einer Art Verbraucherschutzbehörde für Finanzen, hat die Münchner Initiative einen Katalog mit zehn Fragen entwickelt, aus denen sich nach der Erhebung ein Financial Health Score berechnen lässt. Sie beauftragte das Meinungsforschungsinstitut Yougov, Ende 2024 in Deutschland 1500 Menschen zu befragen und in München 500. Die Ergebnisse sind repräsentativ. Ermittelt wurden auch ökonomische und gesellschaftliche Einflussfaktoren auf die finanzielle Gesundheit wie Geschlecht, Alter, Bildungsabschluss, Einkommen und Familienstand.
Parallel zu den Umfragen entwickelt der Münchner Verein gerade einen Online-Finanzcheck, mit dem Verbraucher ihre finanzielle Gesundheit auf Basis der Studienfragen selbst messen, einordnen und verbessern können. Sie erhalten dabei künftig ihren persönlichen Financial Health Score im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt. Dazu soll es noch einfache Tipps und Tricks geben, wie man die eigenen Finanzen verbessern kann. Etwa mithilfe der 50-30-20-Regel: Man gibt 50 Prozent seines Einkommens für alles Notwendige aus, 30 Prozent für Wünsche, und spart 20 Prozent. Eine andere Daumenregel sagt, dass man drei bis sechs Netto-Monatsgehälter auf einem separaten Konto für Notfälle haben sollte. Diese Empfehlungen könnten vor allem jenen Menschen helfen, deren Finanzen prekär sind.