Tatort: eine Straßenecke in der Münchner Altstadt. Das ist kein Ort wie jeder andere. Dieses Kopfsteinpflaster ist in Geschichte getränkt. Einen Steinwurf entfernt liegt das Hofbräuhaus, in dem einst Adolf Hitler das Parteiprogramm der NSDAP verkündete. Einen kurzen Spaziergang entfernt liegt die Feldherrnhalle, einst Kultstätte der Nazis. Auch Hitlers marmorgefliester "Führerbau" ist nah, architektonisch kaum verändert.
Als ein angetrunkener Mann hier kürzlich "Sieg Heil" rief, reagierte die Justiz scharf. Der Ausruf ist in Deutschland verboten und nach Paragraf 86a des Strafgesetzbuchs strafbar als "Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen", ebenso wie der Hitlergruß, also das Hochrecken des ausgestreckten Armes. Strafe müsse sein, schrieb die Staatsanwaltschaft in einem zweiseitigen Strafbefehl, "um jeden Anschein einer Wiederbelebung derartiger verfassungswidriger Bestrebungen in Deutschland zu vermeiden".
Antisemitismus in München:Die alte neue Mär von der Weltverschwörung
Längst finden sich judenfeindliche Chiffren nicht mehr nur bei Rechtsextremisten, sondern auch bei Gegnern der Corona-Schutzmaßnahmen. Die Stadt will mit einem Aktionsplan reagieren.
Aber gleichzeitig verdoppelten die Juristen bei dieser Gelegenheit die übliche Strafe. Diese Entscheidung, rechtskräftig seit dem 5. Mai, ist ein erstes Beispiel für einen Sinneswandel der Justiz in der bayerischen Hauptstadt, der sich seit ein paar Wochen beobachten lässt. Bislang galt als Faustregel: Für "Heil Hitler" oder "Sieg Heil" ist eine Geldstrafe in Höhe eines Monatsgehalts fällig. Von nun an sind es gut zwei Monatsgehälter. 70 "Tagessätze" in der Sprache der Juristen. Dies sei in München der neue "Regelfall", bestätigt eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft auf Nachfrage. Das ist bundesweit einmalig.
Von der Staatsanwaltschaft München I würden neuerdings "Strafbefehle mit höheren Geldstrafen als bisher üblich beantragt", sagt die Sprecherin. "Diese wurden vom Amtsgericht München auch erlassen." Die Überlegung dahinter: Den Hitlergruß zu zeigen, das sei natürlich überall in Deutschland schlimm. In München aber, der einstigen "Hauptstadt der Bewegung" der Nazis, besonders. Auch sei es angesichts steigender Fallzahlen rassistischer und antisemitischer Delikte nötig, "diesen Taten ganz entschieden entgegenzutreten".
Das Strafgesetzbuch lässt viel Spielraum
Dafür musste kein Gesetz geändert werden. Das Strafgesetzbuch schreibt seit jeher nur einen groben Rahmen vor. "Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe" für das Zeigen verfassungswidriger Symbole: Diese Formulierung lässt viel Spielraum. Was die Justiz daraus macht, ist in jedem Gerichtsbezirk ein wenig anders. Mit der Zeit kristallisieren sich in der Regel Straftarife heraus, zumindest für häufig wiederkehrende Taten wie den Hitlergruß oder die Parole "Sieg Heil".
Nur ganz selten sind solche NS-Symbole erlaubt. Der Künstler Jonathan Meese kam in der bayerischen Landeshauptstadt 2015 ungestraft davon. Er hatte auf dem Münchner Literaturfest den Hitlergruß gezeigt. Die Geste, Teil einer Performance, sei künstlerisch, fand die Staatsanwaltschaft damals.
Bei dem angetrunkenen Münchner in der Altstadt nun gebe es eine solche Ausrede aber nicht. Er habe auch noch etwas von "Drecksjuden" gerufen, hielt ihm die Staatsanwaltschaft nun per Strafbefehl vor. "Sie verfügen zudem über ein Tattoo am linken Unterarm, welches eine Cartoonversion Hitlers darstellt."