„Dschinn“ im Rationaltheater:Hannah Arendt rappt auf Schwäbisch

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Rauch und tiefere Bedeutung: Lila Schulz unterhält sich im Rationaltheater mit der virtuellen Hannah Arendt. (Foto: Mario Steigerwald)

Zum ersten Mal setzt das Rationaltheater auf künstliche Intelligenz – und bittet Hannah Arendt, Albert Einstein und Rio Reiser zum Gespräch. Der Start gerät etwas holprig, zeigt aber die Grenzen und Möglichkeiten von KI.

Von Benedikt Karl, München

„Rio, wie sieht Dein Traummann aus?“ Eigentlich ist die Frage müßig, denn der Befragte – Rio Reiser – ist seit 28 Jahren tot. Doch Rio antwortet: Verträumt aussehen müsse er mit seiner Brille, und durch seine dunklen Augen wolle er in seine Seele schauen.

Es gibt Menschen, die fehlen, wichtige Stimmen, die zu früh verstummt sind. Drei davon – Hannah Arendt, Albert Einstein und Rio Reiser – holt das Rationaltheater zurück, dank künstlicher Intelligenz. „Dschinn“ heißt das Stück von Fiona Bumann, Marile Glöcklhofer und Dietmar Höss. Es fühlt sich an wie ein Gespräch unter Bekannten, auch wenn am ersten Abend noch nicht alles klappt wie erhofft.

In gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre stehen Lila Schulz, Marianne Kapfer und Theater-Chef Dietmar Höss vor dem Publikum. Ihre Gesprächspartner sind nur in alten Videoschnipseln zu sehen, doch der Fokus liegt auf dem, was sie sagen. Es ist wie ein Smartphone-Dialog mit Siri, nur dass hier die rauchig-tiefe Stimme Hannah Arendts antwortet.

Und die drei haben was zu sagen: Trotz aller Krisen glaube er an eine Welt, „in der Frieden der Normalzustand ist, nicht die Ausnahme“, sagt Einstein. Die Antwort des KI-Physikers versinnbildlicht zugleich das Problem der „Dschinn“-Premiere: Allzu oft fallen die Erwiderungen austauschbar aus. Reiser wirbt für „Zusammenhalt, Gleichheit und Liebe“, Arendt betont die individuelle Verantwortung des Menschen für das Zeitgeschehen.

Hinzu kommen technische Schwierigkeiten: Bis der Server Antworten generiert, kann es lange dauern, sodass ein richtiger Gesprächsfluss kaum zustande kommt. „Wir haben den Kampf gegen die Technik nicht verloren, aber auch nicht gewonnen“, sagt Theater-Chef Höss zu Beginn. Vier Monate brauchte sein Team, um die verschiedenen KI-Systeme aufeinander abzustimmen. In manchem scheint die Technik ihrer Zeit voraus: Das Rationaltheater erhebt sie kurzerhand zum „Nationaltheater“.

Am spannendsten wird „Dschinn“ bei persönlichen Fragen, die Interviewer zu Lebzeiten womöglich nicht gestellt hätten. Wie sieht Rio Reisers Traummann aus, bereut Hannah Arendt ihre Affäre mit Martin Heidegger? Bei den Fragen darf auch das Publikum aktiv werden und niederschreiben, was es selbst von den dreien wissen möchte. Diese Fragen fließen in die kommenden Aufführungen mit ein. Was die KI dann antwortet, ist für alle Beteiligten eine Überraschung, denn mit jeder Frage und jeder Antwort lernt sie dazu.

Ein wenig dreist zu sein, lohnt sich, denn im Gegensatz zu echten Interviewpartnern verweigert die KI keine Antwort. Und so gibt es im Rationaltheater eine kleine Weltpremiere: Hannah Arendt rappt auf Schwäbisch und spottet über Heidegger, mit dem sie eine Liebschaft verband, ehe dieser mit dem NS-Regime sympathisierte. Wer weiß, welche Geheimnisse ihr das Publikum noch entlocken kann.

„Dschinn“, 7.–10. November, Rationaltheater, Hesseloherstraße 18

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