Politik im Rathaus:Der neue Mann in Reihe sechs

Politik im Rathaus: Wenn ihm der Name mal nicht bleibt: Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sprach Felix Sproll versehentlich als "Herr Volt" an.

Wenn ihm der Name mal nicht bleibt: Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sprach Felix Sproll versehentlich als "Herr Volt" an.

(Foto: Robert Haas)

Felix Sproll ist der erste Stadtrat der noch jungen Volt-Partei in München - und hat sich für die kommenden Jahre einiges vorgenommen.

Von Julian Hans

Ein bisschen feierlicher hätte er sich das mit der Amtskette schon vorgestellt, gibt Felix Sproll zu. Vielleicht, dachte er, würde der Oberbürgermeister sie den neuen Stadtratsmitgliedern in einer Zeremonie um den Hals legen. Stattdessen bekam er das Symbol für Amt und Würden schon am Morgen vor der Eröffnungssitzung des neue gewählten Stadtrats ausgehändigt. Er musste den Erhalt mit einer Unterschrift quittieren und sich das 275 Gramm schwere Geschmeide aus vergoldetem Feinsilber dann selbst um den Hals hängen.

Jetzt erhebt sich Felix Sproll von seinem Platz in Reihe sechs im Deutschen Theater. Zusätzlich zur Kette mit dem Münchner Stadtwappen trägt er eine Plakette mit der Europafahne am Revers seines schwarzen Sakkos. Würde heute "Das "tapfere Schneiderlein" oder "Der Palast des Lächelns" aufgeführt, dies wäre einer der teuersten Plätze ganz vorne im Parkett. Aber die Vorstellungen sind abgesagt und statt des tapferen Schneiderleins steht da vorn nun Dieter Reiter und nimmt den neu gewählten Stadtratsmitgliedern den Amtseid ab. "Alle auf einen Rutsch", so formuliert es der Oberbürgermeister fast ein bisschen schneiderleinhaft. Sonst würde das alles zu lange dauern. Und so ist im allgemeinen Gemurmel gar nicht zu hören, dass sich Felix Sproll dafür entschieden hat "ich schwöre" zu sagen statt "ich gelobe" und dass er am Ende auf die Formel "so wahr mir Gott helfe" verzichtet.

Das waren also die ersten Entscheidungen, die er im Stadtrat treffen durfte. Die nächsten haben schon mehr als nur symbolische Bedeutung: Der Stadtrat wählt Katrin Habenschaden und Verena Dietl zur Zweiten und Dritten Bürgermeisterin, und Felix Sproll stimmt mit der Koalition aus Grünen und SPD. "Mir war schon nach der Wahl klar, dass ich als Einzelkämpfer im Stadtrat wenig ausrichten kann", erklärt der Jungpolitiker. Deshalb hat er gleich Kontakt aufgenommen.

Die Nummer von Katrin Habenschaden hatte er von einem früheren Projekt in seinem Handy gespeichert. Bevor er von der Pro-Europa-Partei Volt als Spitzenkandidat aufgestellt wurde, hat der Finanzberater sich schon in diversen Initiativen in München engagiert. Bei Pulse of Europe etwa und bei Stand up for Europe und auch beim Volksbegehren Mietenstopp. Für einen politischen Neuling ist er also gut vernetzt. Außerdem habe sich ausgezahlt, dass Volt einen konstruktiven Wahlkampf gemacht habe, statt andere anzugreifen. Das machte die Partei für viele zu einem möglichen Partner. Verena Dietl von der SPD hat ihm gleich eine Mail geschrieben, ob sie sich mal treffen sollen. Auch mit der FDP und der ÖDP hat er gesprochen. Dass er sich dann entschlossen hat, sich der SPD-Fraktion anzuschließen, habe zum einen an den inhaltlichen Übereinstimmungen gelegen. Aber es habe auch menschlich gepasst, sagt Sproll.

Aufgeregt sei er vor seiner Vereidigung nicht gewesen, sagt er. "Viel aufgeregter war ich am Sonntag, als wir den Koalitionsvertrag unterschrieben habe". Dass er es mit seiner jungen Partei auf Anhieb in den Stadtrat schafft und dann auch noch gleich an der Regierung beteiligt wird, das sei schon ein großer Erfolg. Volt wurde vor drei Jahren als europaweite Bewegung von Menschen gegründet, die den Populisten und den nationalistischen Tendenzen in den Mitgliedsstaaten der EU etwas entgegensetzen wollten. Seit 2018 ist die Bewegung in Deutschland als Partei registriert. Am 15. März haben 1,8 Prozent der Wähler in München für Volt gestimmt, das ergab einen Sitz.

Im Koalitionsvertrag sieht Sproll die Handschrift seiner kleinen Partei durchaus erkennbar. Schon im ersten Satz der Präambel heißt es schließlich: "München versteht sich als europäische Metropole". An mehreren Stellen werde außerdem auf gelungene Beispiele anderer europäischer Städte hingewiesen, die Probleme besonders gut gelöst haben, vor denen auch München steht. "Das war ja auch der Ansatz in der Wahlkampagne von Volt", sagt Sproll. Als Beispiel nennt er Barcelona, eine der am dichtesten bebauten Städte in Europa: Dort wurden jeweils mehrere große Wohngebäude zu sogenannten Superblocks zusammengefasst. Innerhalb dieser Superblocks gelten verkehrsberuhigte Zonen, Autos dürfen dort nur Schrittgeschwindigkeit fahren. "So entsteht Raum für gesellschaftliches Leben in diesen Wohnvierteln", sagt der Stadtrat.

Die Fraktion will den Neuen in den Wirtschaftsausschuss schicken, das wünschte er sich, denn dort sind auch die Themen Europa und Internationales angesiedelt. Die SPD habe ihn sehr freundlich "in ihre Mitte genommen", sagt Sproll. Dass ihn der Oberbürgermeister in der Debatte um das Berechnungsverfahren für die Sitzverteilung in den Ausschüssen versehentlich mit "Herr Volt" anspricht - verziehen.

Dass die Gespräche bisher vorwiegend über Video-Schalten oder am Telefon abliefen, war für den Volt-Politiker nichts außergewöhnliches. In der europaweiten Bewegung lief schon vor der Pandemie vieles auf elektronischem Wege und per Konferenzschaltungen. Über eine Plattform im Internet tauschen sich Lokalpolitiker von Volt aus Italien, Bulgarien, Frankreich und Deutschland täglich über Entwicklungen in ihren Städten aus. München mitgerechnet ist die Partei mittlerweile in zehn Lokalparlamenten vertreten. Eher wundert sicht Sproll, dass er die Beschlussvorlagen aus dem Rathaus auf Papier zugestellt bekam. Da könnte man vielleicht auch noch was machen, findet der Abgeordnete.

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