SZ-Serie: Stadtrat im Umbruch:"Ich will mich nicht aus dem Rathaus hinaustragen lassen"

SZ-Serie: Stadtrat im Umbruch: Jutta Koller will mit dem Gefühl gehen, dass da noch jemand denkt: "Schade, dass du aufhörst."

Jutta Koller will mit dem Gefühl gehen, dass da noch jemand denkt: "Schade, dass du aufhörst."

(Foto: Robert Haas)

Zum Ende der Amtsperiode verabschieden sich viele verdiente Köpfe aus dem Stadtrat. Jutta Koller hat sich für die Grünen vor allem in der Bildungs- und der Sozialpolitik engagiert.

Von Heiner Effern

Ganz am Anfang, im Jahr 1996, da haben sich sechs Jahre angehört wie eine Ewigkeit. "So lange hast du noch nie einen Job gemacht", sagte sich Jutta Koller damals, als sie frisch in den Stadtrat gewählt war. Als bei den Grünen sich noch Fundis und Realos stritten. Als Christian Ude von der SPD gerade mal drei seiner 21 Jahre als Oberbürgermeister bewältigt hatte. Damals ahnte sie noch nicht, dass der Job als Stadträtin einer würde, den sie als Berufung bis zur Rente ausfüllen würde. Nach 24 Jahren ist nun aber Schluss, das hat sie schon länger für sich selbst entschieden. "Ich will mich nicht aus dem Rathaus hinaustragen lassen", sagt die nun 64 Jahre alte Koller. Sie will lieber mit dem Gefühl gehen, dass da noch jemand denkt: "Schade, dass du aufhörst."

Der Stadtrat befindet sich im Umbruch, viele Altgediente verabschieden sich zum Ende der Amtsperiode am 30. April. Bei den Grünen ist es Jutta Koller, die in vier Amtsperioden Höhen und Tiefen erlebt hat. Sie stieg schnell zur Fraktionschefin auf - und musste sich nach drei Jahren einer Konkurrentin geschlagen geben. Mit Wehmut beobachtete sie, wie immer mehr linke Grüne sich aus der Partei verabschiedeten. Sie wurde Teil des bundesweit beachteten Pionierprojekts Rot-Grün - und erlebte auch dessen Absturz mit. Sie gewöhnte sich mühsam an das Arbeiten in der Opposition, nun geht sie zu einem Zeitpunkt, da die Grünen erstmals die stärkste Fraktion im Stadtrat stellen werden. Alles in allem blickt sie mit einem guten Gefühl zurück. "Wenn ich in die Fraktion gegangen bin, da hatte ich immer das Gefühl, da gehöre ich hin. Da fühle ich mich wohl."

Als sich Jutta Koller 1988 entschloss, sich für ihr politisches Engagement eine Partei zu suchen, sah sie keine große Auswahl für sich. Ihre Themen waren die Frauenbewegung und Bürgerrechte, "die Grünen waren die einzige Partei, die meine Vorstellungen geteilt haben". Sie besuchte auch Anti-Atomkraft-Demos, doch sie sei "keine Öko-Grüne" gewesen, sagt sie heute. Dafür interessierte sie sich schon für die Politikfelder, die sie 24 Jahre lang beackert hat: Bildung und Soziales. "Das pädagogische Angebot in Kindergärten war eher gewöhnungsbedürftig."

Das wusste sie aus eigener Erfahrung, sie gründete früh eine Familie, jedenfalls früher als geplant. Die gebürtige Münchnerin hatte die Mittlere Reife erworben, eine Ausbildung als Technische Zeichnerin absolviert, das Abitur nachgeholt und ein Studium in Maschinenbau und Soziologie begonnen, da "traf sie auf den Hans". So schreibt sie es selbst in ihrem Lebenslauf. Statt Examen stand Familie auf dem Stundenplan, doch immer auch die Politik. "Das kenne ich von klein auf so, beide Eltern waren aktiv, und die Großeltern auch." Das Schicksal des Vaters Martin Löwenberg, sein Aufenthalt im Konzentrationslager Flossenbürg und sein lebenslanger Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Militarismus und für die Demokratie seien prägend gewesen. Diese Werte sind auch ihre, doch für Koller stand fest, dass sie sich am liebsten in der Kommunalpolitik einbringen möchte. "Da ist man am nächsten an den Menschen dran." Schnell wurde sie in den Kreisvorstand gewählt und den Bezirksausschuss entsandt. "Wer als relativ junge Frau bei drei nicht auf dem Baum war, ist in ein Amt gekommen."

Als sie sich 1996 das erste Mal ernsthaft um einen Sitz im Stadtrat bemühte, schoss sie aber weiter nach oben durch. Ihre Position auf Platz sieben der Liste war alles andere als sicher, hinter ihr bewarben sich prominente Grüne. Sie wurde auf Platz zwei vorgehäufelt, "weil ich einen Beruf hatte, der gut ankommt". Seit 1990 arbeitete sie als Betreuerin in einer Asylunterkunft.

Gerade gewählt steckte sie schon mitten im Flügelkampf zwischen Fundis und Realos. Mit dem Ergebnis müsse sie sofort gegen Sabine Csampai bei der Wahl zur Fraktionschefin antreten, drängten sie die Fundis. Drei Jahre später kandidierte Jutta Koller tatsächlich erfolgreich, als Csampai aufhörte, und den Zeitpunkt findet sie auch heute noch richtig. "Wie es wirklich läuft im Stadtrat, das kriegst du erst mit, wenn du drin bist." Als Fraktionschefin war sie von 1999 an so wirklich drin, einmal in der Woche wurde mit dem Oberbürgermeister und den Fraktionsspitzen die Koalitionspolitik festgelegt. Allerdings hielt sich die Freiheit in engen Grenzen, das Geld war knapp. "Anders als in den vergangenen sechs Jahren ging es nicht darum, wo ich meiner Klientel was Gutes tue, sondern darum, wo ich ihr etwas wegnehmen muss." Oberbürgermeister Ude sei in der Arbeit dominant gewesen, "er war halt der Ude, mehr braucht man da nicht zu sagen". Doch mehr als seine Partei habe er verstanden, dass auch der kleine Partner seine Erfolge brauche.

An der Spitze der Fraktion konnte sich Jutta Koller nur bis zum Ende der Amtsperiode halten, dann schlugen die Realos zurück. Die neue Stadträtin Sabine Krieger bewarb sich 2002 sofort um den Fraktionsvorsitz - und gewann. Vorausgegangen waren harte Kämpfe in der Partei um die Aufstellung der Stadtratsliste, die Bürgermeister Hep Monatzeder unbedingt anführen wollte, sich aber an den Frauen der Grünen die Zähne ausgebissen hatte. "Das war dann die Retourkutsche," sagte Koller. "Da war ich stinksauer, mein Mann hat sich da einiges anhören müssen." Sie konzentrierte sich auf die Arbeit in ihren Ausschüssen, und söhnte sich mit der Zeit sowohl mit Monatzeder als auch mit Krieger aus, mit der sie zu einer "wunderbaren Zusammenarbeit" fand, wie sie heute sagt.

Sabine Krieger, die dem neuen Stadtrat ebenfalls nicht mehr angehören wird, erinnert sich noch sehr gut an den nicht gerade perfekten Start der Zusammenarbeit. Danach hätte sie sich aber gerade in der Bildungspolitik immer mehr ergänzt. "Wir haben uns blind verstanden und waren 18 Jahre lang ein super Team." Koller sei "extrem kollegial", sie habe sich immer auf sie verlassen können. Zusammen kämpften sie für eine ausreichende Kinderbetreuung, die Anerkennung von Eltern-Kind-Initiativen, aber auch für alternative Schulformen wie die Installation der Produktionsschule, die Jugendlichen ohne Schulabschluss und Ausbildungsplatz den Zutritt in den Arbeitsmarkt ermöglichen soll.

Koller musste aber auch schlucken, dass Bildungsminister Ludwig Spaenle (CSU) die Pläne für eine öffentliche Reformschule einkassierte. Einmal stellte die Stadträtin selbst die SPD kalt. Mit der CSU einigte sie sich 2007 auf die Professorin Maria Kurz-Adam als neue Chefin des Jugendamts, eine Stelle, für die die ebenfalls interessierte SPD-Stadträtin Brigitte Meier eine rot-grüne Mehrheit gehabt hätte. Doch in Kollers Erinnerung hatten nicht nur die Grünen Zweifel, ob Meier ohne entsprechende Erfahrung eine solche Behörde hätte leiten können. Auch der eigene OB habe es seiner Parteifreundin nicht zugetraut. Letzten Endes wurde Meier sogar Sozialreferentin, doch beide Frauen hatten einen wenig rühmlichen Abschied.

Einen solchen mussten Koller und ihre Partei auch 2014 miterleben. Nach langem Gezerre flogen die Grünen auch wegen ihres schwachen Abschneidens bei der Kommunalwahl aus der Regierung. Die letzten sechs Jahre erfuhr Koller noch, was es heißt, Opposition zu sein. Nach einem Leben in Rot-Grün eine "seltsame" Erfahrung, zumindest anfangs. Beim Beifall nach einem SPD-Vortrag etwa. "Du sitzt im Plenum und eigentlich klopfst du automatisch mit, wie du es 18 Jahre gemacht hast." Doch im Nachhinein habe den Grünen die Zeit in der Opposition gut getan, glaubt Koller. Bei vielen Themen habe man am Ende der Regierungszeit eine Schere im Kopf gehabt, da man schon wusste, das war mit der SPD nicht zu machen. In den sechs Jahren hätten die Grünen eine neue Zusammenarbeit und ein klares Auftreten gewonnen, die ihre noch aktiven Weggefährten und Nachfolger nun hoffentlich wieder anders nutzen könnten. "Regieren ist zehn Mal schöner als Opposition."

Und sie selbst? "Ich werde sicher nicht im Garten sitzen und den Gänseblümchen beim Wachsen zusehen", sagt Koller. Sie werde die Politik weiter verfolgen, in der Partei und als Mitglied des Bezirksausschusses. "Alles ändere wäre mir zu langweilig."

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