Koalitionsrat wird zum Krisengipfel:Paartherapie im Rathaus

Stadtratssitzung in München in Zeiten der Corona-Krise, 2020

Zwischen Münchner Grünen und der SPD gab es in den vergangenen Wochen einige Auseinandersetzungen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Zwischen den Regierungspartnern hat es zuletzt häufig gekracht. Nun geloben Grüne und SPD, Differenzen nicht mehr öffentlich auszutragen.

Von Heiner Effern und Anna Hoben

Gut zwei Stunden schauten die Spitzen der grün-roten Koalition einander in die Augen, wenn auch nur via Bildschirm. Zwei Stunden lang beteuerten dem Vernehmen nach alle Beteiligten, dass man mit dem jeweils anderen künftig besser umgehen und auch weiter zusammenbleiben möchte. Die ganz große Liebe wird so plötzlich wohl nicht ausgebrochen sein im Regierungsbündnis, aber immerhin schaffte man, was in den vergangenen Wochen eher selten gelang: Am Ende einigte man sich auf warme und vor allem gemeinsame Worte. "Wir freuen uns über den heutigen positiven und konstruktiven Austausch. In Zukunft werden wir es vermeiden, Differenzen öffentlich auszutragen", hieß es nach dem Treffen des Koalitionsrats in einer Mitteilung.

Manche der Teilnehmer sahen sich zum ersten Mal seit den Koalitionsverhandlungen wieder. Eigentlich hätte das Treffen noch im vergangenen Jahr stattfinden sollen. Alle sechs Monate soll das Gremium tagen, so sieht es der Vertrag zwischen Grünen und SPD vor. Dem Rat gehören neben dem Oberbürgermeister und den zwei Bürgermeisterinnen die Spitzen der Regierungsfraktionen und der Parteien an. Sie haben im vergangenen Frühjahr den Vertrag ausgehandelt, in regelmäßigen Abständen wollen sie Bilanz ziehen und in die Zukunft blicken. Die Premiere am Donnerstagabend, neun Monate nach dem Start des Bündnisses, wurde nun auch zu einem Krisengipfel. Von Beginn an hat es immer wieder gerumpelt. In den vergangenen Wochen ist der Streit eskaliert. Zunächst waren die Grünen mit einer Idee zur Geschwindigkeitsbegrenzung vorgeprescht. Sie verschickten den Vorschlag für eine Bewerbung als Modellkommune für ein flächendeckendes Tempo 30 auf Münchens Straßen in einer Pressemitteilung - ohne vorher mit ihrem Koalitionspartner gesprochen zu haben. Die SPD fuhr daraufhin schwere verbale Geschütze auf: Man unterstütze keine "Anti-Auto-Ideologie", teilte Fraktionschef Christian Müller mit, er sprach von einem angeblich "blinden Autohass" bei den Grünen. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sprang seiner Fraktion zur Seite und griff die Grünen scharf an: Der Vorschlag sei unnütz, der Alleingang "äußerst unprofessionell" und "nicht geeignet, nachhaltige Regierungsfähigkeit zu demonstrieren". Ein paar Tage später stellte SPD-Fraktionschefin Anne Hübner in einem Interview mit der Abendzeitung den Planungsstopp für einen Autotunnel an der Schleißheimer Straße in Frage - wenn BMW ohne Tunnel seinen Standort in München nicht ausbauen wolle. Das fassten die Grünen als Ankündigung eines Vertragsbruchs auf - und zeigten sich dementsprechend irritiert. Diese turbulenten Zeiten sollen nun vorbei sein.

Das versicherten jedenfalls die Grünen und die SPD in der gemeinsamen Erklärung nach dem Koalitionsrat. "Stattdessen blicken wir in die Zukunft - denn unser gemeinsames Ziel ist es, unsere Stadt positiv und zukunftssicher weiterzuentwickeln und damit unsere gemeinsame Vision für München voranzutreiben", hieß es in dem Papier. Die vorzeigbaren Erfolge des Treffens liegen aber offenbar im Atmosphärischen, inhaltlich einigte man sich nur auf einen Fahrplan. "Für die verschiedenen anstehenden Einzelthemen haben wir einen internen Zeitplan beschlossen."

Mehr war wohl auch nicht erwartet worden. In das digitale Treffen gehe er mit Zuversicht, hatte Grünen-Fraktionschef Florian Roth am Donnerstagmittag gesagt. Es habe ein paarmal "kommunikativ und atmosphärisch geruckelt", räumte er ein. Beide Partner müssten künftig "besser und sensibler" mit dem jeweils anderen umgehen; man müsse diskutieren "ohne Hektik und ohne vorschnelle Urteile über die Ideen der anderen". Was ein bisschen nach Paartherapie klingt, soll das stärken, was Roths Ansicht nach schon gut funktioniert: Grüne und SPD hätten viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede, bei den allermeisten Themen gebe es keinen Streit.

Auch die SPD sah vor dem Koalitionsrat viele inhaltliche Gemeinsamkeiten. Aber die Sozialdemokraten, die jahrzehntelang die Stadtpolitik dominiert haben, müssen sich noch an ihre neue Rolle als Juniorpartner gewöhnen. Wenn jedoch die selbstbewussten Grünen bewusst oder unbewusst immer wieder Salz in diese Wunde streuen, liegen die Nerven schon mal blank. "In den letzten Wochen und Monaten haben zu oft atmosphärische Befindlichkeiten die eigentliche Arbeit der Koalition überlagert", zeigte sich Fraktionschefin Anne Hübner selbstkritisch. Ihr Ziel war es, dass beide Partner "ihre Stärken und Ideen gleichberechtigt in das Bündnis einbringen können."

Die Sozialdemokraten erhoffen sich Zusammenarbeit auf Augenhöhe, was sie bisher vermissten. Bleibt abzuwarten, ob der zweite Start von Grün-Rot so gelingt.

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