Süddeutsche Zeitung

Feiern im Rathaus:Fette Beats vor dem Sitzungssaal

Live-Musik auf dem Marienplatz, Tanzen unter neogotischen Pfeilern: Nach der Corona-Pause dürfen alle 18-jährigen Münchner beim "Rathaus-Clubbing" wieder feiern.

"Die Dunkelheit darf niemals siegen!", ruft Johannes Rögner am Samstagabend kurz nach 21 Uhr laut und ernst in sein Mikro. Rögner, Frontmann von Frittenbude, macht eine kleine Pause nach dem zweiten Song. Er wird politisch. Der Kampf gegen Neo-Nazis und Faschisten, das ist ein großes Anliegen der Rapper aus Geisenhausen, die inzwischen in Berlin wohnen. Sie sind der Haupt-Act der Konzerte auf dem Marienplatz an diesem Abend.

Rögner und seine zwei Bandmitglieder stehen auf der Bühne vor einem großen, gelben Banner, das erklären soll, was hier los ist: das "Rathaus-Clubbing". Seit 17 Uhr gibt's hier Livemusik. Leute mit Einkaufstüten und Touristen wie Mike aus Florida stehen auf dem Marienplatz, wundern und freuen sich: "Music for free, warum?", fragt der blonde Mann mit der Kappe und dem kehligen R. "Weil es was zu feiern gibt", antwortet man ihm. Viele 18. Geburtstage.

Seit 2005 lädt die Stadt ihre jungen Erwachsenen in dieser Form jährlich zur großen Volljährigkeitsparty. Das Clubbing gehört mit zu den aufwändigsten Events der Stadtverwaltung, weil es dafür direkt in ihr Herz geht. Der neogotische Rathausbau und seine Sitzungssäle werden jedes Mal partytauglich leergeräumt und umfunktioniert. Auch dieses Jahr gibt es wieder drei Dancefloors und Pop-up-Bars auf mehreren Ebenen. Erstaunlich: Der Bierpreis ist auf dem Stand von vor zwei Jahren. 3,60 Euro für ein Helles in dieser Münchner Spitzenlage, das dürfte einzigartig sein.

Nur wer in der Stadt lebt, wird auch eingeladen

Allein für das Einladen der Gäste gibt sich die Stadt viel Mühe. Alle 18-jährigen Münchnerinnen und Münchner werden angeschrieben. Allerdings nur diejenigen, die wirklich in der Stadt leben. Wer beispielsweise in Pasing zur Schule geht oder ging, aber in Gauting wohnt, hat Pech gehabt.

In den vergangenen zwei Jahren waren die Rathaus-Partys wegen Corona ausgefallen, so wie vieles andere für junge Menschen: Praktika, Klassenfahrten, Schulabschlussfeiern und überhaupt - unbekümmert Spaß haben. Ende Oktober 2019 hatte das bislang letzte Clubbing stattgefunden. Es war bis dahin immer im Herbst. "Wir wollten mal den Sommer ausprobieren", sagt Angelika Kurtic vom Jugendkulturwerk, das diese Riesenparty mitveranstaltet und stundenlang am Einlass die Gästeliste kontrolliert. Jeder, der rein darf, bekommt ein Bändchen ums Handgelenk. Im Januar habe man sich spontan für Juni entschlossen, in der Hoffnung, dass die Corona-Fallzahlen dann niedriger lägen und man tatsächlich feiern könne, sagt Kurtic. Eingeladen waren nun alle, die vorher noch nicht dabei und bis zum 31. Juli 2021 18 Jahre alt geworden waren. Laut Kurtic gingen 20 000 Briefe raus.

Die Inzidenzen sind zwar derzeit dreistellig, dafür bietet bei wärmeren Temperaturen der Himmel ein luftiges Dach. Erstmals gibt es also nun Konzerte vor dem Rathaus (bis 22 Uhr), und der Innenhof des Rathauses wird zur Open-Air-Disco. Bunte Lichtprojektionen sausen über die Fassaden, während eine DJ aus London elektronische Beats verschränkt. Ihren Namen will sie nicht verraten. Egal. Was sie auflegt, gefällt. Es wird ausgelassen getanzt auf dem holprigen Steinboden. Jedenfalls in dieser Nacht geht der Wunsch von Frittenbude in Erfüllung: Es wird tatsächlich nicht dunkel im Rathaus. Als um drei Uhr morgens die letzten Partygäste nach draußen wanken, kommt das Aufräumteam - und danach wieder die Sonne. Eine gute Idee, diese Terminverlegung: Der Juni bietet die längsten Tage. Allerdings hatten viele Abiturienten ausgerechnet an diesem Samstag ihre Abschlusspartys.

"Ihr seid die Wähler und das politische Personal der Zukunft", sagt Oberbürgermeister Dieter Reiter in seiner kurzen Ansprache auf dem Marienplatz. Die Einladung in die Münchner Kommandozentrale kommt also nicht ganz ohne Hintergedanken. Der Kleine Sitzungssaal wird für einen Abend zur "Polit-Lounge" mit didaktischer Funktion. In dem Raum mit seinen niedlichen Butzenscheiben präsentieren sich die Bezirksausschüsse und junge Vertreter der etablierten Parteien. Manche waren am Vormittag bei der G-7-Demo auf der Theresienwiese dabei und reden sich schon seit Stunden den Mund fusselig. Das plötzliche Einkesseln der Demonstranten durch die Polizei ist ein großes Thema des Abends, jedenfalls bei den Jusos und den Jungen Grünen. Die enorme Präsenz der Polizei befremdet die jungen Leute, so viel wird klar. Aber es sei super, dass sie so viel Aufmerksamkeit bekämen und ihr Anliegen vor den Mächtigsten der Welt hätten zeigen können, sagt eine junge Frau, die gerade ihr Fachabitur gemacht hat. Sie wolle am Sonntag auch in Garmisch dabei sein. In einer Ecke steht auf einer mobilen Wand die Frage "Wie willst du in München wohnen?" Auf Zetteln soll man Antworten schreiben und sie dann an die Wand pinnen. Das Wort "bezahlbar" kann man häufig lesen. Dass München so teuer ist, treibt die Gäste hier um.

Um Mitternacht herrscht dichtes Gedränge auf den Treppen und immer wieder großes Hallo. Ein junger Mann, Max, und eine Blonde im bauchfreien Top hätten sich seit dem Abi vor zwei Jahren nicht mehr gesehen, erzählen sie. Sie fallen sich mit lautem Geschrei in die Arme. Die beiden sind offensichtlich in München geblieben, also noch immer hier gemeldet. Zwei junge Frauen, die in Liegestühlen chillen, wollen möglichst schnell weg. Sie sitzen in der Gaming-Lounge und beobachten, wie hier einige Gäste Spielzeug-Autos über den Parcours steuern. Die Unis der Stadt seien ihnen viel zu arrogant, sagen sie. Aber das Rathaus-Clubbing? Das finden sie super. Auch das gehört eben zu München.

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