Rassimus bei der Kinderbetreuung:"Die sehen dich als Farbe"

Streik im Sozial- und Erziehungsdienst

Kinder schauen beim Spielen erst einmal nicht auf die Hautfarbe der anderen Kinder - eigentlich.

(Foto: Daniel Naupold/dpa)

Eine Tagesmutter kehrt nach 16 Jahren nach München zurück und nimmt drastische Veränderungen wahr. Ende März kündigt sie einer Familie, deren zehnjähriger Sohn sie rassistisch beleidigt haben soll.

Von Korbinian Eisenberger

Der Bub plärrt, und sein Papa sieht aus, als schwitze er trotz der Kälte. Normalerweise würde sie jetzt hingehen und dem Mann helfen. "Ich kann eigentlich an keinem Spielplatz einfach so vorbei gehen", sagt Eleanor-Maryam Smithparker. Ihr Beruf ist Tagesmutter, und nun, um 16 Uhr, ist Spielplatzzeit. Doch die Frau im Wintermantel geht nicht Richtung Rutsche.

Spaziergang durch den Englischen Garten. Luft holen. Es ist November und der Tag nach ihrem 50. Geburtstag. Eleanor-Maryam Smithparker hat nicht gefeiert. Corona, und überhaupt. Die Erlebnisse der vergangen Monate. Smithparkers echter Name und ihr Foto können nicht in der Zeitung erscheinen. Um die Persönlichkeitsrechte der Familien zu wahren, für die sie gearbeitet hat.

Ein Bub radelt vorbei, neun, vielleicht zehn. In dem Alter war auch Max, der in Wahrheit anders heißt und der sonst auch anders sprach als an diesem Tag Anfang März 2020. Smithparker kannte ihn vier Monate. Er war nicht einfach, aber sie sah ihn auf einem guten Weg. Dann jedoch, so erzählt Smithparker es, nannte er sie, seine schwarze Tagesmutter, "f... black piece of s...". Und fügte noch hinzu, dass sie nichts wert sei. Ihrer Erinnerung nach fiel dies an diesem Tag mehrfach. Smithparker hat das tief verletzt und bewegt. Sie kann es nicht verstehen: Ein Kind spricht wie ein Rassist. Wie konnte es dazu kommen?

Die Familie erklärt durch einen Rechtsanwalt, dass die geschilderte Situation nie stattgefunden habe. Entsprechendes Verhalten würde durch die Eltern "in ihrem Haus nicht geduldet". Man dürfe davon ausgehen, "dass unser Mandant und seine Frau ihre Kinder für solche Äußerungen selbstverständlich maßregeln würden". Nach der Schilderung Smithparkers war nur die Mutter anwesend und verzichtete auf die Maßregelung. Welchen Grund hätte Smithparker, die Geschichte zu erfinden? Sie erzählt von einem Rechtsruck, den sie spürt. Smithparker hat knapp drei Jahrzehnte als Tagesmutter gearbeitet, in mehreren Ländern Europas.

17 Jahre ist es her, als sie, damals 33 Jahre alt, nach zehn Jahren in München und im Münchner Umland zurück nach England ging. Mit vielen Eltern, bei denen sie arbeitete, hat sie bis heute Kontakt. Etwa mit Anneliese Leitenbacher, 59, aus Otterfing, die eigentlich anders heißt und am Telefon erzählt, wie Smithparker Anfang der Neunzigerjahre spontan einsprang, wenn sie zum Flughafen musste. Leitenbachers Beruf als Stewardess und später am Check-in-Schalter, schwer vereinbar mit vier Kindern. "Ohne sie hätte ich das nicht geschafft", sagt Leitenbacher. Ähnliches berichten auch andere Frauen aus Italien und aus England, für die Smithparker jahrelang als Tagesmutter gearbeitet hat.

Jemand wie du, geboren, um hart zu arbeiten: So hat sie die Äußerung in Erinnerung

Der Spaziergang führt vorbei am Schwabinger Bach. Smithparker erzählt von ihrem bisher letzten Arbeitgeber in München, auch hier sagt sie, habe sie Rassismus gespürt. Am Vormittag war sie deshalb beim Arbeitsgericht. Sie hat Klage eingereicht. Streitpunkt: Uneinigkeit über Smithparkers Überstunden und Entlohnung. In ihrer Wohnung wird sie den Vertrag hervorholen. 48 Wochenstunden von Montag bis Freitag. Sie hatte sich auf eine lange Zusammenarbeit gefreut. Dann folgten Wochen, in denen sie bis zu 48 Überstunden gemacht habe, sagt sie. Doppelte Arbeit ohne Ausgleich. Also habe sie das Gespräch gesucht, so Smithparker: Es brauche hier eine zusätzliche Kraft, ein Au-pair, so ihre Empfehlung, sagt Smithparker. Es brauche jemanden wie sie, "someone indigenous", soll der Vater erwidert haben. Sie erinnere sich, wie sie sich fragte: eine "Eingeborene"?

Seit Mitte Oktober ist Eleanor-Maryam Smithparker wegen Erschöpfung krankgeschrieben, so steht es auf einem Attest. Tiefer aber, sagt sie, sitze der andere Schmerz. Was er mit "indigenous" genau meine, will sie den Vater gefragt haben. Sie erinnert sich an die Antwort: Jemand wie du. Jemand, geboren, um hart zu arbeiten. Sie spricht von einer Familie mit "sehr netten" Kindern. Die lässt man nicht im Stich, sagt sie. Dann sei allerdings dieser Satz gefallen: geboren, um hart zu arbeiten. Ihrer Erinnerung nach. Als wäre sie eine Sklavin ohne freien Willen, so habe sich das für sie angefühlt. "Hier hat sich etwas verändert", sagt sie. Hier, damit meint sie München.

17 Jahre zurück, ins Jahr 2003. Damals verließ Smithparker Deutschland im Guten. Die Weltenbummlerin suchte eine neue Herausforderung. Es ging nach England, Wales, Italien, Smithparker trat auf die Bühne und sang vor Publikum, ein Kindheitstraum. Vor einem Jahr dann führte ein interessantes Angebot zu ihrer Rückkehr nach München, einer Stadt, an die sie gute Erinnerungen hat: Acht Jahre hatte sie für eine Familie in Harlaching gearbeitet. Sie kümmerte sich um zwei Mädchen bis sie neun und zehn waren.

Smithparker gibt Einblicke in die Welt der Nannys, wie Tagesmütter auf Englisch genannt werden. In 27 Jahren hat sie für 25 Familien gearbeitet, teils parallel. Mit schwierigen Fällen - und unlösbaren. Es ist ein Beruf ohne Tabuzeiten, Flexibilität ist Gebot, man braucht Geduld und Nervenstärke. Für manche Familien war Smithparker eine Ergänzung, in anderen war sie die Ersatzmutter, weil die Mama so selten da war. "Für die Kinder gebe ich alles", sagt sie. Eigener Nachwuchs hat in diesem Leben keinen Platz, das hat Smithparker irgendwann entschieden.

Alltagsrassismus in München hat zugenommen und wird offener artikuliert

Zurück im Englischen Garten. Smithparker kann nicht sagen, auf wie vielen Spielplätzen sie gestanden hat. Aber sie sagt, dass es sich im Sommer 2020 anders anfühlt habe. Sie - meist die einzige Schwarze - und ihre Schützlinge seien gemieden worden. "Wenn ein Kind ein anders Kind sieht, spielen sie sofort miteinander, egal ob sie sich kennen", sagt sie. So war das damals, und so erlebte sie es zuletzt in England und in Italien. Ihre Wahrnehmung jetzt in München: Die schwarze Frau wird gemieden.

Smithparker spricht öffentlich über ihre Erlebnisse, weil sie befürchtet, dass es anderen ähnlich geht. Dass viele schweigen, aus Furcht vor beruflichen Konsequenzen. Sie sagt: "So kann es nicht bleiben." Die 50-Jährige hat einen Stapel an Zertifikaten, Weiterbildungen in Kinderpsychologie, im Umgang mit Behinderten. "Müssen Sie nicht froh sein, dass Sie überhaupt Arbeit haben?" Diesen Satz habe sie in den vergangenen zwölf Monaten nicht nur einmal gehört, wenn sie ihr Gehalt preisgab, sagt sie. Ich habe Arbeit, weil ich qualifiziert bin, entgegnet Smithparker in solchen Momenten. Jetzt sagt sie: "Manchen ist egal, wie gut du in deinem Job bist, die sehen dich als Farbe."

Natürlich ist Rassismus nicht erst jetzt entstanden. Den spürte sie in Bayern auch vor 25 Jahren. Das Schimpfwort "Neger" war damals geläufiger, erzählt sie. Da hörte sie irgendwann weg. Ihre Arbeit aber war stets ein geschützter Raum, fern von fremdenfeindlichen Gesinnungen. Die Menschen, die sie engagierten, sie wussten, wer kam: das Foto im Lebenslauf, das Probetreffen. Als Nanny war sie geschätzt. Dann kamen Max und dessen Äußerungen. Ende März kündigte sie der Familie.

Wo kommen der Hass und die Vorurteile her? Smithparker kann Erlebnisse aus einem guten Jahr erzählen, zählen kann sie diese nicht mehr. In der Supermarkt-Schlange, auf dem Spielplatz, an der Tankstelle - und gar in ihrem Beruf. Ihr letzter Arbeitgeber erklärt über einen Anwalt, dass Smithparkers Darstellung "falsch" sei - die Zahl ihrer Überstunden sowie der zentrale Wortwechsel stimme so nicht. Geboren, um hart zu arbeiten? "In besagtem Gespräch erwähnte unsere Mandantschaft lediglich, dass Bekannte sehr gute Erfahrungen mit Au-pairs aus Südostasien gemacht hätten."

Nachweisen lassen sich derlei Vorwürfe kaum. Meist steht Aussage gegen Aussage. Aber warum sollte Smithparker lügen? Läuft sie nicht Gefahr, weniger Aufträge zu bekommen, wenn sie an die Öffentlichkeit geht?

Dass Probleme existieren, bestätigt Miriam Heigl. "Der Alltagsrassismus hat zugenommen und er wird offener artikuliert", sagt die Leiterin der Fachstelle für Demokratie im Münchner Rathaus. Er äußere sich in allen Alters- und Einkommensschichten. Begonnen habe dies mit der Sarrazin-Debatte 2010. Allein im vergangenen Jahr listet der Sicherheitsbericht der Münchner Polizei eine Zunahme von Hasskriminalität um 33 Prozent auf.

Beide Familien haben Rechtsanwälte eingeschaltet. Antworten auf ihre Fragen hat Smithparker bisher nicht. Der kleine Max aber, sagt sie, habe sich bei ihr entschuldigt.

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Denis Hedeler (einmalige Nutzung für IPO, auch online, Zahlung nach Anstrich).

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